Im Sommer 2020 feierten hunderte Menschen dicht an dicht eine riesige Poolparty in Wuhan. Die Stadt, in der die Corona-Pandemie Ende 2019 ausbrach, war Monate später wieder zu „Business as usual“ zurückgekehrt. Diese Bilder waren das Ergebnis einer der härtesten Corona-Strategien weltweit. China brachte das Virus mit drakonischen Maßnahmen unter Kontrolle. Auf Infektionsausbrüche reagierte die Diktatur, wie man es von einer Diktatur erwartet: Mit brutalen Mitteln, ohne auch nur einen Gedanken an das Individuum zu verschwenden.
Weil beispielsweise ein Tourist in Peking positiv getestet wurde, stellte die Stadt einen ganzen Milionenbezirk unter strenge Quarantäne. Das ging manchmal so weit, dass man sogar Türen zuschweißte und Menschen in ihren Wohnkomplexen hungern ließ. Massen-PCR-Testungen, härteste Quarantäneregelungen nur bei Verdacht einer Infektion – all das nutzte China, um auch international als Musterstaat darzustehen, der die Pandemie längst besiegt hätte.
Die Bilder aus Shanghai strafen diesen Eindruck jetzt Lügen. Die Küstenmetropole befindet sich in einem Mega-Lockdown. Erneut werden positiv getestete Kinder von ihren Eltern getrennt, Menschen in ihren Gebäuden eingesperrt. Erneut drohen vielen Menschen Versorgungsengpässe und Hunger. „Provisorische Krankenhäuser“, die eigentlich drakonische Quarantäne-Lager sind, werden reaktiviert und Menschen auf den kleinsten Verdacht hin deportiert (TE berichtete). Omikron lässt sich kaum aufhalten – was die ganze Welt weiß und selbst in Deutschland langsam eingeräumt wurde, übersetzt sich in China nicht in politisches Handeln.
Denn die streng hierarchisch organisierte Diktatur kommt nicht aus der „ZeroCovid“-Politik heraus: Der neuerliche Fokus auf die brutale Pandemiebekämpfungs-Strategie unterstreicht das. Örtliche Regierungsvertreter, oft mit viel Macht ohne wirkliche Kontrolle ausgestattet, wollen vor allem in gutem Licht dastehen. So führt Stadt nach Stadt wieder Massentests ein – auch, wenn gar keine Fälle bekannt sind – , um aufs Trittbrett aufzuspringen.
Das ist nichts ungewöhnliches für sozialistische Diktaturen, in denen vor allem die Treue zur Vision der Partei und ihres Führers gilt. Die Abwägung von Kosten und Nutzen der Politik ist nicht mehr eine rationale Frage, sondern hochgradig politisiert: Eine Abkehr von der Null-Covid-Politik würde die persönliche Führungsposition von Staatspräsident Xi Jinping untergraben, und das genau zu dem Zeitpunkt, an dem er eine dritte Amtszeit anstrebt. In einem kürzlich erschienenen Artikel der Propagandazeitung Xiuha hieß es, dass Xi in Chinas Kampf gegen Covid-19 „persönlich Befehle erteile“ – seine Person ist unmittelbar mit der Coronapolitik verknüpft.
So wird die Coronapolitik zum Propagandamittel – und der gesundheitliche Nutzen zweitrangig. „ZeroCovid“ muss fortgesetzt werden – koste es, was es wolle. Durch die Verstrickung mit der Systemfrage gibt es für Peking keinen gesichtswahrenden Weg aus der Extrempolitik. Oppositionelle chinesische Stimmen schreiben schon, China sollte sich „darauf vorbereiten, mindestens zehn Jahre mit ZeroCovid zu leben.“