Tichys Einblick
Die EU-Opposition formiert sich

Wie der niederländische Ministerpräsident Rutte ein Deutscher wurde

Mark Rutte trägt seine Opposition gegen die Merkel-Macron-Schulz-EU nach Berlin. Einen Verbündeten hat er in Wien.

© Remko de Waal/AFP/Getty Images

Ministerpräsident Mark Rutte (VVD) wird seine Ideen zur Europäischen Union (EU) in einer Rede in Berlin am Freitag, dem 2. März vorstellen. Der Ort ist nicht zufällig. Die EU ist zu einem großen deutschen Imperium geworden, wie der britische Ex-Botschafter in Berlin Paul Lever in seinem Buch Berlin Rules schreibt. Rutte sollte daher in Deutschland besonders dann kampieren, wenn er deutsche EU-Wildpläne sabotieren will.

Wie Bundeskanzlerin Angela Merkel die EU sieht, erklärt sie in Reden in Berlin. Der französische Präsident Emmanuel Macron macht das in Paris. Und der niederländische Premierminister Mark Rutte? Das tut er nun auch in Berlin, bei der Bertelsmann Stiftung.

Das Niederländische Parlament ist besorgt, dass Rutte es nicht konsultiert hat. Die Sorgen sind verständlich. Das Repräsentantenhaus ist in einer parlamentarischen Demokratie der geeignete Ort, um der Regierung den Rahmen zu geben. Es gibt nur ein Problem: Das Repräsentantenhaus spielt in der Europäischen Union keine Rolle. Die deutsche Öffentlichkeit und das Establishment umso mehr.

Machtloses Repräsentantenhaus

Dies wurde während der Diskussion im Jahr 2015 zwischen Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) über Griechenland deutlich. Schäuble wollte Griechenland ohne Euro. Merkel entschied anders und Griechenland wurde ein drittes Mal gerettet. Der italienisch-britische Professor Guglielmo Verdirame von der London School of Economics sagte in Elsevier Weekblad: „Ein deutscher Bundeskanzler und ein deutscher Minister diskutieren und entscheiden über die Zukunft eines anderen Landes.“

Das ist die Realität. Berlin entscheidet. Nicht nur für Griechenland. Rutte hatte nicht den Mut, seine Versprechen zu halten, schluckte ein drittes Hilfspaket, das rituell wütende Parlament folgte ihm knurrend. Als ob das Heilige Römische Reich zurück wäre. Mark Rutte zeigte sich als lokaler Feudalherr eines deutschen EU-Imperiums.

Berlin Rules

In Berlin Rules (2017) skizziert der britische Ex-Botschafter Paul Lever, wie dieses neue deutsche Reich unter dem Namen EU entstand und was das bedeutet. Er hat genau gesehen in seiner Zeit in Berlin und Brüssel, wie die Deutschen nach der Wiedervereinigung von 1990 allmählich in der EU an Macht gewannen. Wie sieht Deutschland die EU? Lever schreibt: „Klar ist, dass die deutsche Führung in der EU grundsätzlich auf der Verteidigung nationaler deutscher Interessen beruht. Deutschland nutzt seine Macht, um die deutsche Wirtschaft zu schützen und sicherzustellen, dass sie in der Welt eine einflussreiche Rolle spielen kann. Darüber hinaus gibt es keine Vision oder Ziel.

Laut Lever werden die Deutschen niemals mehr Geldtransfers von Reich zu Arm zulassen und Deutschland wird niemals die Kontrolle über seine Finanzen abgeben, wie es Frankreich will. „Die deutsche EU ist ein kalter Ort, vor allem für ärmere Länder, aber sie können nirgendwo anders hin.“ Die Franzosen werden auch in Levers Augen enttäuscht sein, aber auch sie können nirgendwohin anders hin.

Aber was Lever 2017 nicht wissen konnte, ist, dass es in Paris viel Hoffnung gibt. Der deutsche Koalitionsvertrag von CDU, SPD und CSU ist stark vom Ex-SPD-Parteivorsitzenden und EU-Enthusiasten Martin Schulz geprägt. Berlin will für einen Europäischen Währungsfonds und einen höheren EU-Haushalt bezahlen. Mehr Transfers von Reich zu Arm und mehr Machttransfer an die EU drohen. Aber im deutschen Koalitionsvertrag gibt es viele Unklarheiten. Das gibt Merkel Raum für noch mehr Zugeständnisse an den französischen Präsidenten Emmanuel Macron und an Schulz und seine Kameraden. Umgekehrt bietet das deutsche Koalitionsabkommen auch Raum für Gegner von mehr Geldtransfers.

Da Rutte es nicht wagt, „Nein“ zu deutschen Entscheidungen zu sagen und das Repräsentantenhaus nicht wieder zu züchtigen, gibt es nur einen Weg, um allzu schlimme EU-Pläne in Berlin zu stoppen. Nach Berlin gehen, um Schulz’ Koalitionsvertrag so weit wie möglich zu sabotieren. Nicht umsonst verbreitete Rutte eine Botschaft, in der er deutlich sagte, dass er kein höheres EU-Budget will (zusammen mit seinem österreichischen Kollegen Kurz, Anm. der Redaktion). Das berichtete die Süddeutsche Zeitung am letzten Montag unter der Überschrift „Ein klares Nein“. Ruttes ‚Nein‘ gefällt auch vielen Deutsche.

Debatten müssen in Berlin gewonnen werden

Rutte, als ob er ein deutscher Politiker wäre, lehnte die mögliche bevorstehende Regierung Merkel IV, die eigentlich Schulz I ist, ab, obwohl Schulz inzwischen als SPD-Vorsitzender gegangen wurde. FDP-Kapitän und Ruttes liberaler Parteikollege Christian Lindner sieht Rutte als Inspirationsquelle und hat in Verhandlungen mit CDU/CSU und den Grünen die Skepsis des EU-Paragraphen des niederländischen Koalitionsabkommens eingebracht: nein, nein, nein.

Der niederländische ‘Feudalherr’ Rutte versucht mit Reden, Medienkampagnen und politischen Bündnissen in der Hauptstadt des deutschen EU-Imperiums die neue Bundesregierung umzujustieren.

Dort, in Berlin, müssen in dieser Zeit und vielleicht immer Debatten gewonnen werden. Nicht im nicht-ätzenden Niederländischen Parlament in Den Haag. Und nicht bei EU- und Euro-Gipfeln in Brüssel, denn dort wird Rutte den Entscheidungen Berlins folgen. Berlin Rules. Mark Rutte ist in den deutschen Feldzug eingetreten: als größter innenpolitischer Opponent von Schulz I/Merkel IV. Rutte ist ein Deutscher geworden.


Jelte Wiersma schrieb diesen Beitrag am Sonntag auf Elsevier WEEKBLAD.

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