Tichys Einblick
Südamerika-Reise des Bundeskanzlers

Wettlauf um Lithium: Der chinesische Igel ist dem deutschen Hasen voraus

Der Bundeskanzler reist nach Lateinamerika, weil ohne Lithium eine „Mobilitätswende“ unmöglich ist. Die Staatssekretärin mit Aktivistenvergangenheit, Jennifer Morgan, hat er schon vorgeschickt. Doch die Vorstöße kommen zu spät – und erinnern an einen früheren Fehlschlag auf dem Kontinent.

IMAGO / ZUMA Wire

Eine deutsche Firma, angeleitet und gefördert von der Bundesregierung, macht Verträge mit einem südamerikanischen Land um die Schlüsselressource Lithium abzubauen. Das soll die Zukunft der Elektromotor-Industrie in Deutschland sichern. Ein deutscher Minister jubelt über den „direkten Zugriff“ auf einen Rohstoff der Zukunft. In harter Konkurrenz mit den Chinesen setzt sich Deutschland durch. Der Staatschef gibt den Zuschlag.

Das Land hieß Bolivien, der Minister Peter Altmaier und der Staatschef Evo Morales. Es war das Jahr 2018, das Unternehmen ACI aus Baden-Württemberg sollte in einem Joint Venture das begehrte „weiße Gold“ abbauen. Die deutsche Firma hatte auch deswegen den Auftrag bekommen, weil man gegenüber der bolivianischen Regierung glaubhaft machen konnte, dass man nicht nur den Profit im Auge hatte. Umweltschonender sollten die deutschen Methoden sein, sozial verträglicher und der lokalen Bevölkerung nützen.

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Das deutsche Engagement – so richtig es war – endete in einem Fiasko. 2019 brodelte es in Bolivien. Morales, bis dato fest im Sattel, wurde gestürzt. China, das eigentlich als Schutzmacht galt, griff nicht ein, um dies zu verhindern. Der Unmut der Bevölkerung gründete auch auf dem Vorwurf, Morales und die Deutschen stopften sich die Profite in die eigene Tasche und beuteten die Arbeiter aus. Kurz vor seinem Sturz suchte Morales den Befreiungsschlag, indem er den Vertrag auflöste. Doch es nützte ihm nichts.

Mit Morales stürzte damit auch die Lithiumoption Deutschlands in Bolivien. Und das zu einem höchst prekären Zeitpunkt. Denn während die USA und China längst dazu übergegangen waren, nicht nur Elektro-Autos zu bauen, sondern auch die Förderungs- und Herstellungskette direkt zu kontrollieren, baute die deutsche Wirtschaft bis zu diesem Zeitpunkt darauf, die Rohstoffe am Weltmarkt kaufen zu können. Tesla-Chef hatte zum selben Zeitpunkt bereits angekündigt, sein Lithium in Zukunft selbst abbauen zu wollen.

Im Wettlauf um den Lithiumzugang hat China den größten Vorsprung. Der chinesische Staatskonzern Tianqi war schon zu diesem Zeitpunkt eine der führenden Firmen in diesem Bereich. Stand 2020 kontrollierte es rund die Hälfte der weltweiten Lithiumproduktion. In Chile und Australien besitzt Tianqi Schlüsselbeteiligungen. Die Corona-Krise und der von ihr verursachte Preisverfall haben zwar den Lithiumpreis in den letzten Jahren gedrückt und dem Unternehmen deswegen massive Verlust beschwert. Doch der Staatsführung dürfte es um langfristige Ressourcenkontrolle und nicht kurzfristige Gewinne gehen.

Mit diesem Vorwissen ist der Besuch von Olaf Scholz zu werten, der am Samstag in Argentinien eintraf und auch die Folgetage in südamerikanischen Ländern verbracht hat, vornehmlich die, die als Lithiumlagerstätten dienen. Von den weltweit 80 Millionen Tonnen Lithium lagern rund 50 Millionen im Länderdreieck Bolivien, Chile und Argentinien. Dennoch hat nicht nur die Regierung Merkel nach dem politischen Ende von Evo Morales das Thema begraben. Im gesamten ersten Regierungsjahr hat die Ampelkoalition bisher so gut wie keine Südamerika-Strategie gezeigt – und das, obwohl der grüne Regierungspartner ohne Schlüsselressourcen kaum seine energetischen Versprechen halten kann.

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Scholz kommt deswegen schlicht zu spät: weitere vier Jahre sind vergangen, ohne eine Änderung der Ressourcenpolitik. Die Gefahr wächst, dass Deutschland mit seiner Mobilitätswende nicht zuletzt deswegen scheitert, weil Konkurrenten sich die Lagerstätten gesichert haben, die selbst im E-Auto-Geschäft führend sind. Das Wort eines Akku-Herstellers gegenüber der Wirtschaftswoche aus der Zeit des bolivianischen Lithium-Deals steht immer noch: „Bei den Rohstoffen, überwiegend Metallen, die man für den Bau von Batterien für Elektroautos benötigt, ist die deutsche Wirtschaft völlig auf Importe angewiesen.“

Vorgeschickt hatte die Koalition die Staatssekretärin des Außenministeriums, Jennifer Morgan, bereits im November. Welche vorrangige Absicht die ehemalige Greenpeace-Chefin bei ihrer Reise im Namen der Bundesregierung hatte, bleibt dabei nebulös. Denn einerseits agiert Morgan als Protagonistin im Kampf gegen den Klimawandel, weil Annalena Baerbock der Ukraine-Krieg bindet. Andererseits müsste sie eigentlich geostrategische deutsche Interessen vertreten. Da ist ein Thema wie der wenig umweltfreundliche Lithiumabbau zweischneidig: ähnlich wie Deutschland Klimaschutz predigt und Kohle verbrennt, empfiehlt es Südamerika grüne Technologien und braucht hunderttausende Liter Wasser zum Lithiumabbau in einer wasserarmen Region.

Die Tagesschau spricht davon, Morgan sei als „Sonderbeauftragte der Bundesregierung für internationale Klimapolitik“ vor Ort gewesen, um „unter Wahrung der Menschenrechte und Umweltstandards“ neue Partner zu finden. Die Stellungnahme zeigt das Dilemma grüner Weltinnenpolitik. Menschenrechte und Umweltstandards sind noble Ziele, doch insbesondere China hat in den letzten Jahren seine Kunden durch Infrastrukturprojekte gewonnen.

„Wir sind mittendrin in einer Klimakrise, einer Energiekrise und wir brauchen eigentlich Rohstoffe und grünen Wasserstoff, um unsere Energiewende umzusetzen“, erklärte Morgan damals. Aber wie hilft grüner Wasserstoff einer regenarmen Region, in der Unmengen von Wasser benötigt werden, um chinesische, US-amerikanische und deutsche Automobilherstellerwünsche zu befriedigen? Die Aktivistin spricht von Umweltschutz, aber Deutschland geht es letztlich darum, dass die Bagger von Lützerath nur woanders fahren.

Morgan reiste als Menschenrechtsfreundin an, hat aber im Grunde wenig zu bieten, was die Argentinier wirklich reizen könnte. Die Tagesschau schreibt von den großen wirtschaftlichen Problemen Argentiniens, aber die werden nicht durch eine grüne Energiewende gelöst. Welches Land soll für einen solchen gelungenen Versuch Vorbild sein? Deutschland? In dem Fall werden die Argentinier lieber zur chinesischen Konkurrenz wechseln. Verübeln könnte man es ihnen nicht.

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Zuletzt bleibt nur die Panikmache. Auf einer Veranstaltung warnt Morgan davor, dass man die Folgen des Klimawandels in Patagonien schon spüre, wenn dort die „Gletscher schmelzen und in den Provinzen Corrientes und Chaco die Wälder in Flammen stehen“. Fehlte eigentlich nur noch, dass sie den Argentiniern frei nach Wirtschaftsminister Robert Habeck erklärt, dass man Handelsabkommen nutze, um die eigenen Werte zu exportieren.

Auch in dem Tagesschau-Beitrag zeichnen sich ungute Erinnerungen aus der Vergangenheit ab. Wie schon in Bolivien haben die Menschen vor Ort Angst vor dem „Ausverkauf“. Der ÖRR verniedlicht die Situation, lässt den Artikel mit einem Ballon enden, der „mit Wind und Sonnenwärme“ in die Luft steigt, so, als handele es sich um eine Bejahung der deutschen Energiewende. In Wirklichkeit sagt die Anwohnerin: Argentinien soll für den grünen Traum von der Energiewende herhalten, „ohne dass die Konsequenzen klar seien“.

Das klingt nach einem Bolivien 2.0. Und nicht nur dort. In Chile will der Bundeskanzler einen Lithium-Deal unterstützen. Wieder war der chinesische Igel vor dem deutschen Hasen da. Bereits im Mai 2018 kaufte Tianqi rund ein Viertel der Anteile des chilenischen Minenbetreibers SQM. Scholz nannte Chile jetzt einen „Wunschpartner“. „Im globalen Wettbewerb des 21. Jahrhunderts reicht es nicht, Rohstoffe einfach nur abzutransportieren – ohne Rücksicht auf die Umwelt, ohne vernünftige Arbeitsbedingungen, ohne Wertschöpfung vor Ort“, erklärte der Kanzler in Santiago de Chile. Lithium sollte nicht nur vor Ort abgebaut, sondern auch verarbeitet werden.

Das sind hehre und noble Ziele. Doch es ist auffällig, dass bei all diesen Ankündigungen die Medien merkwürdig still sind, obwohl sich die Parallelen zum gescheiterten Bolivien-Abenteuer anbieten. China und Russland hielten ihre Hand über Venezuela, als dort ein Regierungssturz drohte. Peking schwieg, als Morales stürzte und der Deutschland-Deal platzte. Wie wird sich Deutschland verhalten, wenn die Regierung in Santiago wankt? In Bolivien haben die Südamerikaner öffentlich exerziert bekommen, dass Deutschland keine „hard power“ besitzt, um seine geostrategischen Interessen durchzusetzen.

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