Tichys Einblick
Seehofer-Plan

Werden Migranten bald mit deutschen Mitteln in Griechenland versorgt?

Bis heute unbeachtet von der deutschen Öffentlichkeit, hat Horst Seehofer ein Integrationsprojekt für anerkannte und geduldete Asylbewerber in Griechenland mit der griechischen Regierung verabredet. Dass Sekundärmigranten nach Griechenland zurückkehren, ist aber nicht vorgesehen.

IMAGO / IPON

Akronyme, also aus Anfangsbuchstaben gebildete Kurzworte, sind heikel, auch ihre Deutung kann es sein. Aber man kann nicht sagen, dass sie nie ohne Hintergedanken gewählt werden. Wenn also das neue Programm zur Integration von Asylbewerbern in Griechenland mit deutschen Finanzmitteln unter dem Kurznamen ISBIG läuft, könnte auch das Rückschlüsse auf die Absichten seiner Urheber zulassen.

Problem Sekundärmigration
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Es droht ein Quantensprung in den Beziehungen der beiden Länder, auch wenn nicht ganz klar ist, in welche Richtung er führen würde. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und der griechische Minister für Migration und Asyl Notis Mitarakis (Nea Dimokratia) haben ein „Integrationsprogramm“ für anerkannte und geduldete Asylbewerber in Griechenland verabredet. Der Zweck der Abmachung ist klar: Der deutsche Innenminister will verhindern, dass weitere Migranten, die bereits einen Schutztitel in Griechenland haben, nach Deutschland kommen. Ob dieses Ziel mit den vorgeschlagenen Mitteln erreichbar ist, bleibt aber vollkommen ungewiss.

Wie griechische Medien melden – die deutsche Presse schweigt sich einstweilen noch aus –, will die Bundesregierung Griechenland finanziell unterstützen, um die sogenannte Sekundärmigration von Migranten aus dem Mittelmeerland zu verhindern. In der Tweetosphäre erhob sich alsbald Kritik gegen den Plan. Einen Zahn zog der griechische Asylminister Notis Mitarakis seinen Landsleuten allerdings sogleich. Als ein Beobachter feststellte, dass nun tausende in den europäischen Norden Weitermigrierte nach Griechenland zurückkehren sollen, antwortete der Minister: »Die Nachricht ist falsch und desinformiert.«

Im Einklang damit stellte auch das griechische Ministerium für Asyl und Migration fest, dass durch die Einigung keine »Flüchtlinge« nach Griechenland zurückgeführt würden. Diese könnten allerdings »freiwillig« zurückkehren. Auch innerhalb der EU funktioniert eine erzwungene Umsiedlung bekanntlich nicht – genauso, wie Abschiebungen in die Transit- oder Herkunftsländer überwiegend nicht gelingen. Es geht also nicht um eine Rückführung der 13.000, die bisher in Deutschland strandeten, sondern nur um die Vermeidung einer weiteren Sekundärmigration aus Griechenland.

Hege-und-Pflege-Programm unter griechischer Sonne

Dazu will man – »in einer gemeinsamen Anstrengung«, aber bezahlt mit deutschen und EU-Mitteln – eben jenes ISBIG-Projekt (Integration Support of Beneficiaries of International Protection in Greece) ins Leben rufen, also ein Unterstützungsprogramm für die »Integration der Nutznießer internationalen Schutzes in Griechenland«. Gespräche dazu sollen »unverzüglich« beginnen. Wer aber bei dem Namen des Projekts zuerst an den Goscinny-Großwesir Isnogud (vom englischen »is no good«) denkt, der wäre nun wirklich ein Schelm.

Immer wieder allein
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Mit den Zahlungen soll für die Unterbringung, die medizinische Versorgung und die »Bereitstellung aller notwendigen Artikel« gesorgt werden. Das besagt eine gleichlautende Erklärung, die die beiden zuständigen Minister schon vergangene Woche parallel veröffentlicht haben. Was ist das also? Eine Art Versorgung mit den Naturalien des alltäglichen Lebens? So kann man es verstehen. Das neue EU-deutsch-griechische Programm liefe demnach parallel zum griechischen Helios-II-Programm, das bereits für die Unterbringung von Schutzbedürftigen sorgen soll, auch wenn sich dagegen hier und da Protest in der Bevölkerung erhebt.

Mit diesem Hege-und-Pflege-Programm will Seehofer also vermeiden, dass sich weitere Migranten aus Griechenland nach Deutschland aufmachen. In Deutschland wurden die Asylanträge der 13.000 bis jetzt »rückpriorisiert«, mit anderen Worten: Sie wurden in der Hoffnung auf eine Lösung des Dilemmas, das sie darstellen, nicht bearbeitet. Eine Lösung des Dilemmas Sekundärmigration ist mit dem Treffen von Bundesinnenminister Horst Seehofer und dem griechischen Migrationsminister Notis Mitarakis allerdings um keinen Deut nähergerückt, wie der Twitter-Dialog mit dem griechischen Migrationsminister zeigt.

Mitarakis: Primäre und sekundäre Migration stoppen

Direkt nach dem Treffen mit Seehofer hatte Mitarakis die Notwendigkeit der Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Griechenland betont, damit sowohl primäre als auch sekundäre Migrationsströme gestoppt würden. Das war einer der deutlicheren, weniger in Regierungsflor gehüllten Sätze. Die primären Migrationsströme führen, was Griechenland angeht, meist über die Türkei. Und so wird Mitarakis nicht müde, ebenso den sicheren Schutz der EU-Außengrenzen zu fordern wie auch die Erfüllung der EU-Türkei-Erklärung von 2016 durch den Nachbarn im Osten. Dem stimmte auch Seehofer zu.

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Es ist das Ceterum Censeo des griechischen Migrationsministers: Vor einem neuen EU-Türkei-Pakt muss die Erfüllung der bestehenden »gemeinsamen Erklärung« stehen. Dabei geht es de facto weniger um Rückführungen irregulärer Migranten in die Türkei als vielmehr um die Verhinderung der illegalen Einwanderung durch den EU-Nachbarn. Dafür wäre sicher auch ein eigener Grenzschutz im Osten nützlich, der aber keineswegs vorhanden ist, wie Meldungen und Videos zeigen (TE berichtete). Verbunden mit der Großmachtpolitik Erdogans ergibt sich der Eindruck von absichtlichem Handeln. Allerdings sind bereits seit Monaten Nachfolgeregelungen von Türkei und EU vereinbart, die diverse Projekte in der Türkei finanzieren, darunter auch »graue Pässe« für Staatsbeamte, die im Rahmen von Städte- und Gemeindepartnerschaften vergeben werden.

Wie griechische Medien berichten, befürwortet auch Seehofer den effizienten Schutz der EU-Außengrenzen. Mitarakis stellte fest: »Griechenland verfolgt eine strenge, aber faire Migrationspolitik und will nicht das Einfallstor für Schlepperbanden nach Europa sein.« Das Beispiel Litauen zeige die Notwendigkeit einen EU-Grenzschutzes nicht nur in Griechenland. Man kann die Seehofer-Mitarakis-Gespräche auch so zusammenfassen, dass beide quasi für alles sind: Ausbau des griechischen Grenzschutzes? Ja. – Eine Türkei, die dabei assistiert? Ebenso ja. – Verteilung der dennoch ankommenden Migranten in der EU? Auch ja.

Wird es Stöckchen geben, die sich nicht überspringen lassen?

Dennoch weisen die Äußerungen des griechischen Ministers, der formal für Asyl und Migration zuständig ist, eher in die Richtung Grenzschutz, während sein für Inneres, Bau und Heimat zuständiger deutscher Gegenpart sich vor allem um die EU-Binnendynamik zu kümmern scheint. Es sieht fast so aus, als sähe Horst Seehofer diese Fragen als eine gigantische Versorgungsaufgabe europäischen Ausmaßes an. Er sieht nur das letzte Glied der Kette – doch das ist vielleicht den Zwängen der Bundesregierung geschuldet, der er angehört.

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Schon im Mai hatte Seehofer angekündigt, die Unterbringung und Versorgung der Migranten in Griechenland finanzieren zu wollen. Im Gespräch mit der Bild-Zeitung hatte Premierminister Kyriakos Mitsotakis erwidert, dass er ein solches Angebot natürlich diskutieren würde. Er bestand aber darauf, dass sein Land den Neuankömmlingen keine Unterstützung zukommen lassen könne, die nicht auch die griechischen Bürger erhalten. Das war ein Hinweis auf die griechische Arbeitslosen- und Sozialhilfe, die klar unter bundesdeutschem Niveau liegt.

Eine EU-deutsche Subventionierung des eigenen Asylsystems scheint die konservative Regierung sich allerdings gefallen zu lassen. So stellt sich vor allem die Frage, ob sich die schutzbedürftigen Migranten mit EU-deutschem Logis und etwas Naturalienversorgung unter der griechischen Sonne zufrieden geben werden oder den direkten Bezug von Barzuschüssen bevorzugen. Es muss sich freilich erst zeigen, wie das Programm anläuft und wie groß es am Ende ausfällt. Vielleicht liegen ja bald auch noch irgendwo Stöckchen im Weg, ob in der griechischen Verwaltung oder bei den Bürgern, die sich am Ende nicht überspringen lassen.

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