Tichys Einblick
#RumoursAboutGermany

Weißrussland: Gerüchte von Bussen aus Deutschland – Auswärtiges Amt spricht von »Lügen«

Äußerungen der neuen Bundestagspräsidentin Bärbel Bas und rechtswidrige NGO-Aktionen sorgen für Unruhe im weißrussischen Migrantenlager. Am Ende stand ein bemerkenswertes Dementi des Auswärtigen Amts. Die Polen beobachten derweil eine gewisse Mobilmachung auf der Gegenseite.

Bärbel Bas, Präsidentin des Deutschen Bundestages

IMAGO / Political-Moments

Es ist sozusagen die Feuertaufe der Bärbel Bas (SPD), ihr Gesellenstück auf dem Weg zur Polit-Meisterin. Die neue Bundestagspräsidentin verlangt »rasche Hilfe« für die auf unerhörte Weise eingeschlossenen Migranten an der weißrussisch-polnischen Grenze. Eine »schnelle Einigung« müsse her, so Bas, nur mit wem? »Diesen Menschen« müsse geholfen werden, und zwar – natürlich –  von »Europa«. Dabei geschieht das doch bereits. Das europäische Weißrussland hilft den Migranten schon heute. Und jetzt sagte dessen Machthaber Alexander Lukaschenko laut der staatlichen Nachrichtenagentur Belta: »Es wird aktiv daran gearbeitet, die Menschen davon zu überzeugen, dass sie bitte nach Hause zurückkehren sollen. Aber niemand will zurückkehren.«

Früher hatte man Bas sehen können – freilich, ohne ihren Namen oder auch nur ihr Gesicht zu kennen –, wie sie dem Kämpfer gegen den Faschismus Martin Schulz gemessenen Applaus zollte. Ihre Kunst bestand darin, so mit dem Klatschen zu beginnen, dass man ihren Applaus für eine individuelle Willensäußerung halten konnte – auch wenn sie sich damit nur als Teil einer Masse erwies, die jeden ihrer Schritte lenkte. Oder hatte Bas damals schon gegen die Ausgrenzung von Ungeimpften protestieren wollen, wie mancher findige Memologe auf Twitter in den Raum stellte?

— Patrick Haas (@memolab) November 9, 2021

Heute bläst Bas in dasselbe Horn wie vor ihr Robert Habeck und einige andere. Nur wird auf die Parlamentspräsidentin als zweithöchste Repräsentantin dieses Staates und Vertreterin der baldigen Kanzlerfraktion mehr gehört. Und das ist fatal.

Denn glaubwürdigen Berichten zufolge verbreiten sich Botschaften wie die genannte wie ein Lauffeuer unter den Grenzbelagerern in Weißrussland. Sie werden, selbst im Fall eines offiziellen Dementis, einen ermutigenden Effekt auf die irregulären Migranten haben. Denn die Hoffnung stirbt zuletzt, vor allem wenn man schon einen erklecklichen Geldbetrag vorgestreckt hat, um so weit zu kommen. Ans Umkehren dürfte derzeit jedenfalls keiner dort denken.

Hashtag #RumoursAboutGermany

Doch auch die polnischen Kräfte reagierten prompt und nahmen eine neue Botschaft in ihre Lautsprecherdurchsagen auf, wie der Sprecher des Ministers für Spezialdienste Stanisław Żaryn mitteilte: Danach wird Polen einem Migrantentransfer nach Deutschland auf keinen Fall zustimmen. Die Grenze werde auch weiterhin von den Streitkräften geschützt.

Doch die Sache zog noch weitere Kreise. Am Sonntagabend twitterte auch das deutsche Auswärtige Amt die folgende Botschaft auf Kurdisch, Englisch und Arabisch: »Die Gerüchte, dass Deutschland Busse schicken will, um Personen aus Weißrussland über Polen nach Deutschland zu holen, sind falsch. Wer immer solche Lügen verbreitet, bringt Menschen in große Gefahr. #RumoursAboutGermany«

Doch wie konnten die Migranten nur auf solch eine Idee kommen? Der einzige Bus, von dem man weiß, stammte jedenfalls nicht von der deutschen Bundesregierung, sondern war von Seebrücke Deutschland e.V. und anderen privaten Vereinen in unverantwortlicher Weise in die Grenzregion gesteuert worden (TE berichtete). Man sieht: Auch kleine Taten von noch kleineren Nicht-Regierungs-Organisationen können große Folgen haben. Tatsächlich sieht sich das Auswärtige Amt gezwungen, in dieser Sache von »Lügen« zu sprechen – ein Ausdruck, den man nicht unbedingt für Diplomatensprache gehalten hätte.

Die Reaktion auf die Twitter-Botschaft des Außenamts war fast einhelliger Unglaube: »Screenshot this«, hieß es im Bemühen, die einmalige Botschaft festzuhalten. Manche erkannten den Beginn einer vernünftigen Politik des Auswärtigen Amtes in dem Statement.

Wieder andere nahmen es mit vorauseilendem galligem Humor:

Polen sieht »Bewegung unter den Migranten«

Laut polnischem Verteidigungsministerium sind am Sonntag zusätzliche weißrussische Beamte beim Grenzübergang Kuźnica angekommen. Man beobachtete zudem eine »merkliche Bewegung unter den Migranten«. Auch weißrussische Medienvertreter seien angekommen. Große Gruppen von Migranten sollen sich erneut zum Grenzübergang Kuźnica aufgemacht haben.

Die anrückenden Uniformierten sind zum Teil mit Scharfschützengewehren ausgerüstet, wie der Journalist Tadeusz Giczan bemerkte. Man deutet all das als Vorbereitung kommender Durchbruchsversuche. Die Polen rüsten sich für einen neuen Sturm. Auch einige Zelte in Grenzzaunnähe wurden abgebaut. Doch das eigentliche Migrantenlager wird mit einem Stromgenerator und Militärzelten winterfest gemacht. Der Sprecher des Ministers für Spezialdienste Żaryn warnt auch auf Arabisch davor, dass weißrussische Einheiten die Migranten zu Angriffen auf die Grenze aufreizen könnten.

Der Medien- und Propagandakrieg ist weiterhin in vollem Gange. Das polnische Innenministerium macht darauf aufmerksam, dass Lukaschenko versuchen werde, den Eindruck einer humanitären Krise zu erzeugen. Doch handle es sich um »eine politische Krise«. Die »Wirtschaftsmigranten« hielten sich »legal« in Weißrussland auf. 

Bundespolizei ergriff in drei Monaten 329 Schleuser

Man habe es mit vielen Provokationen von weißrussischer Seite zu tun. Dennoch interpretiert das Innenministerium dieselben nicht als »Intervention eines anderen Staates auf unser Territorium«. Auch diese Deutung dürfte politisch sein und kann sich ändern. Denn immerhin waren es die polnischen Grenzschützer, die vor zwei Tagen von der Zerstörung eines Grenzabschnitts durch weißrussische Uniformierte berichtet haben.

Am Samstagabend haben 50 Migranten laut einem Sprecher der polnischen Polizei die Grenzbarriere durchbrochen und gelangten bei dem Dorf Dubicze Cerkiewne auf polnisches Territorium. 22 Iraker wurden festgenommen. Etwas weiter südlich konnte eine Gruppe am Grenzübertritt gehindert werden. Die Angreifer bewarfen die polnischen Grenzschützer mit Steinen, verletzten einen Beamten leicht. Die Polizei ertappte zudem vier Schlepper auf frischer Tat: zwei Georgier, einen Polen und einen Syrer.

Die Bundespolizei hat laut Bild in den vergangenen drei Monaten insgesamt 329 Schleuser an der deutsch-polnischen Grenze festgenommen. Es wäre eine Illusion zu glauben, dass eine derart leicht befestigte Grenze wie die polnisch-weißrussische illegale Grenzübertritte zu einhundert Prozent abwehren könnte. Dazu gehört etwas mehr. Es besteht aber kein Zweifel daran, dass Polen heute tut, was es kann, um seine Grenzen zu sichern. 15.000 Soldaten wurden dazu mobilisiert.

Beistand für verschiedene Seiten

Interessant ist ein weiterer Punkt: Der polnische Innenminister hat inzwischen zwar freundliche Anrufe aus verschiedenen Ländern erhalten (auch von seinem deutschen und seinem österreichischen Amtskollegen). Doch militärische Hilfe hat die polnische Regierung nur aus Großbritannien und der Ukraine angenommen – ausgerechnet aus zwei Ländern, die nicht EU-Mitglieder sind. Daneben wird gelegentlich betont, dass es sich im Osten des Landes nicht nur um eine EU-Außengrenze, sondern auch um eine NATO-Grenze handele. Der britische Chef des Verteidigungsstabes, Sir Nick Carter, geht davon aus, dass auch Großbritannien jederzeit auf einen Krieg mit Russland vorbereitet sein muss. Allerdings wolle Wladimir Putin derzeit wohl keinen »heißen Krieg«.

Für den Spiegel-Autor und Beobachter bei WDR 2 Markus Feldenkirchen muss die »Prämisse« in dieser Situation sein, die Migranten »aus dieser tödlichen Zone herauszuholen«. Warum überlässt Feldenkirchen das aber nicht demjenigen, der die Menschen dort hingebracht hat, also Alexander Lukaschenko und seinen Soldaten? Überhaupt, was für eine »Prämisse«? – Wir kennen das Wort als logische Voraussetzung, nicht als Ausdruck des inneren Alarms. Feldenkirchen meint eher so etwas wie »der erste Schritt, das Wichtigste«. Das sind Wertsetzungen und Haltungsjournalismen.

Übrigens empfahl das Sonntagsblatt des Evangelischen Presseverbands für Bayern e.V., der direkt der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (ELKB) angeschlossen ist, unter anderem Spenden an die bewussten Vereine Seebrücke und #LeaveNoOneBehind, die wirklich mit jenem XL-Bus losfuhren, um Migranten aus Weißrussland nach Deutschland zu bringen – ohne die Erlaubnis des Innenministeriums abzuwarten. Am Rechtsbruch schlitterten die NGOs knapp vorbei. Die Spendenaufrufe der beiden Vereine übernahm das evangelische Blatt kritiklos und bewegt sich damit auch selbst in einem juristischen Graubereich.

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