Im Schatten der internationalen Aufregung um die angeblich »schrecklichen Bedingungen« (CNN) an der weißrussischen Grenze setzen sich die hybriden Angriffe auf Polen fort. In der vergangenen Nacht haben erstmals reguläre Soldaten des osteuropäischen Landes damit begonnen, den polnischen Grenzzaun zu demolieren. Das berichtet der polnische Grenzschutz. In der Nähe von Czeremcha wurden demnach Zaunpfähle aus dem Boden gerissen und Concertina-Draht mit einem Fahrzeug aus dem Weg geräumt. Dabei kamen auch erneut die Laserstrahler zum Einsatz, die den polnischen Grenzschützern schon in anderen Nächten – damals noch funktionslos – aufgefallen waren. Nun wurden die Polen sehr gezielt während der Gewaltaktion mit Laser- und Stroboskoplicht geblendet. Doch damit nicht genug: Ganz in der Nähe standen 100 Migranten, die zudem offenbar von den Weißrussen mit Tränengas ausgerüstet worden waren, das im folgenden auch zum Einsatz gekommen sein soll. Die folgenden versuchten Grenzübertritte konnten dennoch verhindert werden.
Polen meldet, dass weißrussische Soldaten Grenzbarrieren zerstören
Laut polnischen Grenztruppen haben uniformierte Weißrussen Migranten aktiv geholfen, Grenzbarrieren nach Polen zu durchbrechen. Die Krise im Osten wird zum Sicherheitsrisiko für EU und NATO aus. Derweil zeigt sich der geringe EU-Einfluss auf den Nahen Osten – und auf Russland.
Das Ganze ist nach klassischen Maßstäben ein Casus Belli. Und es macht deutlich, was die weißrussische Truppenkonzentration in der Region mit der Migrantenkrise zu tun hat. Doch das nächtliche Ereignis ist zugleich nur die neueste Spitze der Ereignisse. Seit Tagen haben es die Polen immer wieder mit hunderten Grenzverletzungen zu tun. 219 waren es am Freitag, wobei drei Grenzübertreter festgenommen wurden. In 78 Fällen erging ein förmlicher Ausweisungsbeschluss. In der vergangenen Nacht kamen rund 100 Versuche dazu. Daneben fanden die polnischen Beamten einen leblosen Syrer in der Nähe des polnischen Dorfes Wolka Terechowska. Die von der weißrussischen Führung heraufbeschworene Lage forderte inzwischen mehrere Menschenleben, meist durch wilde Grenzübertritte an der grünen Grenze.
Immer wieder haben es die polnischen Grenzschützer mit brenzligen Situationen zu tun, so wenn Schüsse von weißrussischen Soldaten abgefeuert werden oder Uniformierte auf polnisches Territorium vordringen. Dazu kommt die weißrussische Propaganda, die sich immer wieder der Kinder und Frauen unter den Migranten bedient.
Weißrussland regiert mit Gewehrsalven und Schokolade
Unweit der Grenze besuchte Präsident Andrzej Duda die 16. Pommersche mechanisierte Division in Olsztyn (deutsch: Allenstein), wobei auch Grenzschützer und Polizisten anwesend waren. Auf Twitter schrieb er: »Im Namen der Republik Polen möchte ich allen Soldaten, Polizisten, Grenzwächtern und allen, die unserem Land dienen, danken. Heute hatte ich die Gelegenheit, einigen von ihnen die Hand zu schütteln. Sie schützen unsere Sicherheit mit ihrem hingebungsvollen Dienst. Ihnen gebührt unser Lob und Dank!«
Durch die wenigen Video-Dokumente, die aus Weißrussland durchdringen, wird klar, dass die Führung des Landes durchaus in der Lage ist, für die Migranten zu sorgen, und dies auch tut. Und dass sie, zweitens, bislang in der Lage ist, die Migranten zu disziplinieren und diese damit konsequent für ihre eigenen Zwecke einzusetzen. Das oppositionelle Recherchenetzwerk Nexta veröffentlichte ein Video von weißrussischen Soldaten, die inmitten einer großen Menge an Migranten in die Luft schießen, während wohl eine Essensausgabe stattfindet. Die interviewten Migranten zeigen sich zum Teil unzufrieden mit der Lebensmittelversorgung. Ein Schwarzer berichtet von Tagen, an denen er nur Süßigkeiten (»chocolates«) zu essen bekam. Die Methode der Weißrussen könnte man unter dem Motto »Schokolade und Gewehrsalven« zusammenfassen.
Laut Nexta könnte Polen in nächster Zeit alle Grenzübergänge sowie Zugverbindungen mit Weißrussland schließen. Diese Maßnahme wird als Druckmittel auch gegen Russland und China angesehen. Außerdem berichtet das Recherchenetzwerk von einer großen Gruppe von Migranten, die erneut an die litauische Grenze verfrachtet wurden, und zwar zwangsweise durch Uniformierte, die sie auf einen Lastwagen verluden.
EU-Einfluss endet derzeit vor den Grenzen Syriens
Derweil wäscht der Kreml seine Hände in Unschuld, ebenso wie zuvor die türkischen Autoritäten: Mit den Schleusungen irregulärer Migranten nach Weißrussland habe man nichts zu tun. In den letzten Tagen meldeten EU-Vertreter gleich mehrere Erfolge bei den Verhandlungen um türkische und auch Aeroflot-Flüge aus Istanbul und Beirut mit dem Ziel Weißrussland. Die Türkei verkündete Einschränkungen für Fluglinien und für Reisende aus bestimmten nahöstlichen Staaten wie dem Irak, Syrien und dem Jemen. Aus dem Libanon gab es »Versicherungen« zur Zusammenarbeit für den EU-Vizekommissionspräsidenten Margaritis Schinas. Auch aus Dubai meldete Schinas in allgemeinen Worten ein starkes Bekenntnis der Behörden dazu, mit der EU kooperieren zu wollen.
Wie die FAZ bemerkt, endet der EU-Einfluss derzeit allerdings vor den Grenzen Syriens. Die dort sitzende Fluggesellschaft Cham Wing Airlines bieten auch weiterhin zwanzig Flüge pro Woche nach Minsk an. Laut EU-Außenkommissar Josep Borrell sind auch die kommenden Flüge ausverkauft. Nachdem der Irak nun zum wiederholten Male alle Flüge nach Minsk strich, will er nun sogar seine Staatsbürger aus Weißrussland zurückholen.
Zur gleichen Zeit stärkt Putin dem weißrussischen Präsidenten militärisch den Rücken: Knapp hinter der polnischen Grenze, in der Nähe der weißrussischen Stadt Grodno (Hrodna), fanden gemeinsame Militärübungen russischer und weißrussischer Kräfte statt. Zum von Lukaschenko angedrohten Gas-Stopp für Westeuropa (zwei wichtige Trassen führen durch Weißrussland) sagte Putin: »Er hat das nicht einmal erwähnt. Aber er kann das tun. Aber das führt zu nichts Gutem, und ich spreche natürlich mit ihm über das Thema. Ich hoffe, dass es dazu nicht kommt.« Ausgeschlossen ist also weiterhin nichts, Putin reizt auch diese Karte voll aus.
Deutsche Erstaufnahmezentren laufen über
Und auch die Innenminister der drei deutschen Länder an der polnischen Grenze, Sachsen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, melden sich wieder und fordern ein konsequenteres Vorgehen gegen Lukaschenko. Daneben sprechen die Minister sich für eine »geordnete Aufnahme von Asylsuchenden« aus und wollen Herkunftsländern, die abgelehnte Asylbewerber nicht zurücknehmen, mit Mittelkürzungen bei der Entwicklungshilfe drohen. Alles das wird allerdings erst Anfang Dezember auf der Innenministerkonferenz besprochen werden.
Nach den brandenburgischen Erstaufnahmen sind nun auch die Einrichtungen in anderen Bundesländern voll ausgelastet, wie aus Pressemeldungen hervorgeht. So will das Land Hessen Sonderstandorte in Fuldatal-Rothwesten, Friedberg und Bensheim nutzen. Auch in der LEA Bochum ist man bereits emsig bemüht, die Wartezeit und »Verweildauer« der Neuankömmlinge auf dem Gelände zu verkürzen. Die überbelastete hessische Erstaufnahme in Gießen berichtet von »Lagerkoller«.
Unterstützen