Tichys Einblick
Kunst, Fest, Identität?

Was die Schöpfer der Eröffnungszeremonie von Paris uns wirklich sagen wollten

Die Diskussion um die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele hält an. Es war weniger eine Zeremonie als eine künstlerische Performance von eher experimentellem Charakter. Die Macher wollten uns ihre Sicht der Welt mitteilen, was sie wohl geschafft haben. Ob sie angenommen wird, ist eine ganz andere Frage.

picture alliance/dpa | Sven Hoppe

Zuschauer hat die Olympia-Eröffnungsfeier auch in Deutschland genügend gefunden. Zehn Millionen verfolgten das Spektakel angeblich an den Geräten, was einen Marktanteil von fast 46 Prozent ausmachte. In Frankreich waren es wohl sogar 23 Millionen Fernsehzuschauer. Interessant auch: Bis 20 Uhr sammelte die übertragende ARD immer mehr Zuschauer ein, die sie dann praktisch über die gesamte Dauer der Sendung, jedenfalls bis etwa 23.30 Uhr halten konnte. Das mag jetzt nicht für den Geschmack der Deutschen sprechen, aber sicherlich für ihr Interesse.

Nur Interesse woran? Das muss man dann auch fragen: Olympia im Nachbarland Frankreich war sicher eines der Einschaltargumente. Frankreich, das für sein Stilbewusstsein bekannt ist, mit der an sich unsterblichen Hauptstadt Paris. Da konnte man sich etwas erhoffen. Die Figur des Staatschefs Macron, der viel Wert auf diese Zeremonie gelegt und kurz davor auch politisch für viel Wirbel gesorgt hatte, erhöhte die Spannung. Und sogar die Kritiker – wie sie auch im Autorenstamm von TE zu finden sind – konnten nicht leicht wegschauen.

Rücksichtslose Politisierung eines Events
Eurotrash holt Olympia ein: Eröffnungsfeier als Diversity-Lektion
Die äußerlich vielleicht auf einige unschuldig, auf andere zerfahren wirkende Eröffnungszeremonie zu den 33. Olympischen Sommerspielen war eines gerade nicht: zerfahren oder unschuldig. Die Gesamtkosten der Spiele werden in der Presse auf 8,8 Milliarden Euro geschätzt, wohlgemerkt ohne Sicherheitskosten und Beamtenprämien. Wie viel davon auf die Eröffnungszeremonie entfallen ist, sollten wir eigentlich gar nicht wissen. Aber schon Mitte Juli hatte die satirische (gelegentlich aber auch ernstzunehmende) Wochenzeitung Le Canard enchaîné eine interne Note veröffentlicht, in der die Kosten auf 120 bis 130 Millionen Euro geschätzt wurden – Kosten, die zu 96 Prozent vom IOC durch Werbeerlöse getragen werden. Nun gibt es noch die genannten Eigenkosten Frankreichs (Polizei, Bürokratie etc.), aber so gesehen, war das sicher gut angelegtes Geld. Zumal auch der Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon nun durchaus treffend feststellte: Niemand werde das Schauspiel vom Samstag vergessen, und das zeige, dass der oder die Urheber ihr Ziel erreicht hätten.
Diese Diskussion hielt lange an: Blasphemie, Respekt, Verletzung

Auch Tage nach der feierlichen Eröffnung der Olympischen Spiele in Paris hält die internationale Diskussion über diese Eröffnungszeremonie an. Vor allem das parodierte Letzte Abendmahl mit dem darin erkannten Spott erregt die Gemüter auch in Frankreich. Die französische Bischofskonferenz beklagte die „Szenen des Spotts und der Verhöhnung des Christentums“. Haben die Bischöfe etwa ein Ding gesehen, das gar nicht da war?

Emmanuel Gobilliard, Bischof der katholischen Kirche in Frankreich für die Olympischen Spiele, ging weiter und zeigte sich auch persönlich „tief verletzt“. Diese Verletzung hätten auch viele Christen empfunden, die sich dadurch zurückgewiesen fühlten, was bekanntlich das Gegenteil von Inklusion ist. Auch christliche Sportler seien kurz vor den Wettbewerben in dieser Weise beleidigt, sozusagen an ihrem seelischen Sympathicus getroffen worden.

Die Charta der Olympischen Spiele besagt zudem, dass keine „politische, ideologische oder religiöse Meinung“ in einer solchen Zeremonie zum Ausdruck kommen darf. Und in der Tat: Das Jesus-Design eines brasilianischen Surfers wurde nicht zugelassen.

Der Sportbischof der Deutschen Bischofskonferenz, Stefan Oster, fand ebenfalls kritische Worte. Ein großes Spektakel für alle Sinne sei das sicher gewesen, das „queere Abendmahl“ sieht Oster aber als auch dramaturgisch „völlig überflüssigen … Tiefpunkt der Inszenierung“ an. Der Philosoph Alain Finkielkraut sprach von einem „grotesken Spektakel“, zusammengesetzt aus den „Stereotypen unserer Epoche“, so obszön wie konformistisch.

Finkielkraut: groteskes Spektakel, obszön und konformistisch

Und auch Finkielkraut zählt die Dragqueens auf, erwähnt die feministische Feier der „Schwesterlichkeit“ und die Darstellung der enthaupteten Marie-Antoinette, die er allerdings zu den „glorreichsten Blättern unserer Geschichte“ zählt. Insgesamt gab es aber also kein günstiges Urteil von Finkielkraut, der den Wokismus 2023 als „Installation des Hasses auf den Westen im Herzen des Westens“ erkannt und beschrieben hatte. Um woke Inhalte ging es auch am Freitag meist, egal ob es um die Harmonie zwischen den Hautfarben ging oder um die „gleichberechtigte“ Teilhabe der LGBT-Gemeinde, auch die Bevorzugung der Schwesterlichkeit vor der allgemeinen Brüderlichkeit darf als woke gelten.

Eröffnung der Olympischen Spiele
Die Kulturkämpfe können beginnen
Wen darf man nun als Urheber der Inszenierung ansehen? Der Theater- und Opernregisseur Thomas Jolly war künstlerischer Leiter der Eröffnungszeremonie und erarbeitete sie zusammen mit der Kostümbildnerin Daphné Bürki und anderen, auch dem Historiker Patrick Boucheron, der am Morgen danach in einem Radiointerview mit anderen erklärte, wie das Ganze zu verstehen sei. Es gab keinen Zweifel an der Grundaussage: Genauso, wie am Freitagabend gezeigt, sollen wir leben. Das ist aber einem Großteil der Bevölkerung mangels Trans-Identität eben (noch) nicht möglich. Das bleibt nur ein kleiner Stolperstein bei dieser Konzeption. Zudem ist Boucheron aus Sicht des konservativen Kommentators Mathieu Bock-Côté ein Historiker des Postnationalismus.

Das Regieteam hat sich also wirklich angemaßt, eine umfassende Gesellschaftskonzeption zu entwerfen und in theatralischer Form zu propagieren. Damit ist der Grundzug des ganzen Spektakels benannt. Und die Leitidee war natürlich die der Diversität.

So wie in der Feier gezeigt, sollen alle leben

Nach der Feier dankte auch Emmanuel Macron als Auftraggeber dem künstlerischen Leiter Thomas Jolly über X: „Danke an Thomas Jolly und sein kreatives Genie für diese grandiose Zeremonie. Danke an die Künstler für diesen einzigartigen und magischen Moment. (…) Wir werden in 100 Jahren wieder darüber reden! WIR HABEN ES GETAN!“ Aber was eigentlich haben Jolly und Macron getan?

Kurz vor der Eröffnung hatte Macron einen merkwürdigen Tweet in vier Worten veröffentlicht: „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.“ Und dann abgesetzt: „Stolz.“ Das war noch so eine merkwürdige Äußerung eines Staatspräsidenten, der allerdings wirklich in einem Delirium des Stolzes ob dieser Olympischen Spiele gefangen sein könnte, wenn man nach seinem schier überlaufenden X-Feed urteilt.

Auch ein pures, unkommentiertes „This is France“ konnte da nicht fehlen. Manche kommentierten es mit: „This ist Trans.“ Und nein, es soll nicht die These befördert werden, Macron sei insgeheim ein Anhänger des systematischen Geschlechterwechsels, den er noch im Wahlkampf als „grotesk“ denunzierte. Aber Zweifel erheben sich nun schon. Bedenklich erscheint auch dieser Tanz der ersterbenden Diversität, oder auch „Myokarditis-Tanz“.

Während der Feier fiel es Macron dann genau beim Auftritt der malisch-französischen Hiphopperin Aya Nakamura mit der Nationalgarde ein, drei Worte zu tweeten: „Zur gleichen Zeit.“ Das ist so etwas wie das inoffizielle Motto der Regierung Macrons: das eine tun, ohne das andere zu lassen. Fortschritt und Tradition vereint, die Macronie als (derzeit schrumpfendes) Zentrum der Parteienlandschaft. Merkwürdig waren in der Tat auch die – vielleicht koordinierten – Kommentare des amtierenden Premierministers Gabriel Attal („Name a better duo, I’ll wait.“) und Finanzminister Bruno Le Maire („Masterclass. Quelle cérémonie!“), jeweils bebildert mit Nakamura vor dem Pantheon.

Die Mimikry der Kulturzersetzer

Am Sonntag äußerte sich dann auch Jolly selbst im Doppelinterview mit Bürki. Und nun sollte die Tafelszene also kein christliches Abendmahl, sondern ein Festgelage auf dem Olymp gewesen sein. Das sagte Jolly am Sonntag gegenüber dem Nachrichtensender BFM TV. Die Idee wäre demnach gewesen, „ein großes heidnisches Fest zu veranstalten, das mit den Göttern des Olymps verbunden war“. Ja, die Idee einer solchen Götterversammlung gibt es durchaus. Aber sie ist als Bild eigentlich nicht besonders stark im allgemeinen Gedächtnis verankert. Verwiesen wird auf das Gemälde „Das Mahl der Götter“ eines Jan van Bijlert, das eine eher wilde, düstere Szene mit tanzenden, bockbeinigen Satyrn zeigt. Und die Ähnlichkeiten zum Da-Vinci-Gemälde sind dann doch zu groß.

Man muss zudem sagen, dass sich Spötter gerne so herausreden und auch ein paar heidnische Motive unterbringen, um ihre eigentlich im Grundsatz antireligiöse Stoßrichtung zu verbergen. Daneben gab es noch mehr Motive, die vielen biblisch vorkamen. Meist ging es dabei um das Buch der Offenbarung, also nicht das am positivsten gestimmte Buch des Neuen Testaments – etwa wenn man an den gesichtslosen Reiter über die Seine denkt. Darüber soll hier nicht weiter spekuliert werden.

Jolly beharrte jedenfalls: „Ich wollte eine Zeremonie abhalten, die Dinge in Ordnung bringt und versöhnt.“ Er zeigte sich enttäuscht über die Reaktion auf seine Aktion. Wenn man seine Arbeit dazu nutze, „erneut Hass und Spaltung zu erzeugen, dann wäre das sehr schade“. Doch wer hat diesen Schaden wirklich angerichtet?

Mélenchon hasst fast alles an diesem Paris

Daneben hat auch die Darstellung der enthaupteten Königin Marie-Antoinette das Land gespalten, und das sogar an unerwarteter Stelle. So zeigte sich ausgerechnet der Erzlinke Jean-Luc Mélenchon in seinem Blog erstaunlich besorgt über die ganze Zeremonie. Er begann mit den Worten: „Ich hasse Paris in Käfigen und Palisaden, mit leeren Straßen, Bistros und Restaurants, mit Ein- und Ausfallstraßen in Thrombose, nur von den Sirenen gewisser Wagen gestört.“

Mélenchon hasst auch die „kilometerweit verbarrikadierten“ Seine-Ufer – so wurde den „Armen“ eine weitere Freude entzogen, wenn auch nur für einige Tage oder Wochen. Dann aber kam die eigentliche Kritik des Politikers an der Inszenierung dieses Freitagabends. Zum ersten gefiel ihm die kopflose Marie-Antoinette keineswegs: „Die Todesstrafe und die Hinrichtung von Marie-Antoinette sind aus einem Zeitalter der Bestrafung, das wir nicht mehr sehen wollen. (…) der Tod kann niemals ein Schauspiel sein. Und gar die Erniedrigung der dazu Verurteilten!“ Das ist erstaunlicher Feinsinn von einem politischen Grobschmied.

Doch es ging noch weiter: Auch der „Spott über das christliche Abendmahl“ missfiel Mélenchon, immerhin handelt es sich dabei um „das letzte Mahl Christi und seiner Jünger, das den Sonntagsgottesdienst begründete“. Mélenchon kritisierte wohlgemerkt nicht die Blasphemie daran, stellte aber die Frage: „Wozu dient es, wenn man riskiert, Gläubige zu verletzen?“ Das scheint eine berechtigte Frage. Vermutlich denkt der palästinafreundliche Linkssozialist hier aber nicht nur an christliche Wähler.

Jollys nächster Irrtum: Die Zeremonie als reine Kunst verstanden

Den Auftritt Marie-Antoinettes mit Kopf unter dem Arm kommentiert Jolly so: Er habe einfach „sehr theatralisch“ sein wollen. Eine Theatralität „à la Grand Guignol“, das ist der französische Name für das Kasperle-Theater, zugleich ist damit ein Theater gemeint, das durch Splatter-Effekte wirkt. Diese Übertreibung sollte die Zuschauer angeblich davon überzeugen, dass es sich nur um Theater, um Kunst handelt. Und nein, das Todesinstrument Guillotine wollte er natürlich nicht verherrlichen, sagte Jolly nun im Fernsehsender BFM TV, auf die Vorwürfe Mélenchons reagierend.

Fellini in Paris
Die Eröffnung der Olympischen Spiele 2024 – ein Fiasko
Aber das war schon der nächste Irrtum Jollys. Denn die Eröffnung eines Sportereignisses ist im Grunde keine künstlerische Aufführung reinen Wassers. Sie hat eher den Charakter eines Festes für alle Bürger – auch jene, die sich um die Innendiskurse der Kunst wenig scheren und eigentlich eher für Sport interessieren. Kunst im emphatischen Sinne darf durchaus selbstgenügsam sein, ganz nach der Devise „l’art pour l’art“. Die Darbietungen auf einem öffentlichen Fest können das per definitionem aber nicht sein. Eigentlich sollte es ja um Sport gehen an diesem Abend, nur konnte man die Sportler auf den weit entfernten Booten kaum erkennen.

Der ehemalige Abgeordnete der konservativen Republikaner Julien Aubert fand es insgesamt eine „ayanakamureske, wokistische Olympiaparade, in der der Sport durch politische und gesellschaftliche Botschaften unsichtbar gemacht wurde, die dort keinen Platz hatten“.

Jedes Fest verbindet immer zwei Dinge: die Repräsentation einer Vision und ein eindeutiges Identifikationsangebot an das Publikum. Nimmt man die angestrebte Identifikation weg, dann definiert man das Fest als seelenloses Ausstellungsstück. Außerdem sollte auch Kunst idealerweise auf diesem einigenden Charakterzug des Festes aufbauen, wie wohl Hans-Georg Gadamer einmal in einem Büchlein schrieb („Die Aktualität des Schönen: Kunst als Spiel, Symbol und Fest“, Vorlesungen von 1974).

Macron bewies die mangelnde Reife Jollys – und seine eigene

Und auch insgesamt war der Eindruck nicht, dass Jolly für eine abgetrennte Kunst-Konzeption votiert hätte. Er widerspricht sich also selbst, wenn er einen Kunstcharakter im Sinne von „ l’art pour l’art“ behauptet. Vielmehr waren alle Bilder Jollys darauf ausgerichtet, unmittelbar zu wirken. Er wollte also eine ältere Version der Geschichte Frankreichs, die bisher auf öffentlichen Festen gezeigt wurde und die ihm vielleicht langweilig und blass vorkam, durch eine andere ersetzen, die er lebendig und packend fand.

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Linker Abgeordneter: Israelische Sportler nicht willkommen bei Olympia in Paris
Die Gestaltung der französischen Revolution durch eine Heavy-Metal-Band inklusive Splattereffekten gehörte sicher nicht auf eine Olympia-Eröffnung, sondern allenfalls auf ein Konzert, das reinen Kunstcharakter trägt. Auch dort wäre sie vielleicht noch umstritten, aber jeder Konzertgänger kann selbst entscheiden, ob er solches erleben möchte. Kurzum: Emmanuel Macron hat durch die Bestellung von Thomas Jolly zum künstlerischen Leiter dessen mangelnde Reife bewiesen – aber auch seine eigene, indem er dem gebotenen Spektakel noch im Nachhinein zujubelte.

Nebenbei gefragt: Wie begeistert wären tausende Schützenvereine in Deutschland, wenn es auf ihren Umzügen die Novemberrevolution mit der Landesflucht Wilhelms II. zu sehen gäbe? Da es keine Karnevalsvereine sind, vermutlich sehr wenig. Man muss es noch einmal ganz klar sagen: Wenn man allein nur die beiden herausragenden Punkte der Abendmahls-Parodie und der Revolutionsepisode nimmt, dann haben Jolly und Konsorten die Heiligkeit des Heiligen und jene des Lebens zugleich tentativ aufgelöst und ignoriert. Und diese Ignoranz haben sie dann in die Welt hinausgeschrien.

Unterdrückung von Kritik ist die Bedingung der Propaganda

In dem Moment, da Frankreich „seinen Stolz und seine Geschichte“ feiern wollte, konnte es nicht anders, als „den Geist der Provokation und Zwietracht aus seinen revolutionären Eingeweiden zu schöpfen, der seit Urzeiten die Paradoxa des Landes nährt – und seine Spaltungen“, fasst ein Kommentar des Figaro die Eröffnung recht gültig zusammen. Es ist wie eine Versuchung, die zu gut ist, um ihr zu widerstehen: Die allzeit diskutierenden Franzosen lieben es auch am Feiertag, zu streiten und das Einigende hintanzustellen. Das ist aber so sympathisch wie unpraktisch, wo es um ein Fest geht.

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Denn eine feierliche Zeremonie, egal in welchem Land, ist eben ein denkbar ungeeigneter Ort für Streit. Zumal es nicht wahrscheinlich ist, dass beide Streit-Parteien sich gleichberechtigt im Spektakel ausdrücken können, und so endet alles in einer Übervorteilung des Publikums durch die Organisatoren, die ihre Version der Geschichte ausbreiten, ohne doch ernstlich Widerspruch ernten zu wollen. Das Vereinende ist eigentlich der einzig mögliche Modus der Feier, des Festes. Doch der wurde hier ausgeschlagen und wie ein Fehdehandschuh zu Boden geworfen.

Für die Rechtfertiger dieses insofern durchaus diabolischen Rituals scheint es nun von eminenter Bedeutung zu sein, dass die propagandistische Wirkung der Zeremonie nicht gestört wird. Und deshalb durfte keine Kritik an den zentralen Inhalten geäußert werden. Höchstens das technische Detail durfte halbkritisch besprochen oder bewundert werden – wie etwa die Lasershow, die aber keine Auskunft über den gemeinten Sinn des Ganzen geben konnte. Dieser Inhalt sollte von den Zuschauern und Kommentatoren möglichst passiv hingenommen werden, um die Reflexion über das, was hier ausgesagt wurde, zu verhindern. In der ARD war der Kommentar, soweit man hören konnte, folglich unselbständig-geschwätzig, aber nicht kritisch-diskret.

Zemmour: Der wirklich Subversive riskiert seine Haut

Von seiner Warte aus nahm der Journalist und Parteigründer Éric Zemmour (Reconquête) einen gewissen Druck wahr, bei Meinungen zur Olympia-Zeremonie kein Spielverderber zu sein oder gar als „Reaktionär“ zu gelten. Die Lasershow am Eiffelturm wusste er zu schätzen, auch einige Szenen im Louvre seien charmant gewesen. Zum größeren Teil sieht aber auch Zemmour das gesehene Spektakel als durch und durch politisiert an, und zwar „bis ans Ende der fluoreszierenden Fingernägel der Dragqueens“.

Ein „Schauspiel des schlechten Geschmacks“, angefangen von der enthaupteten und doch das Lied ihrer Henker singenden Königin („Ah! ça ira“ – „Wir schaffen das!“). Die Inszenierung habe die „neue moralische Ordnung“ verinnerlicht, schließt Zemmour. Das kam auch im Nackttanz des Sängers Philippe Katerine auf der Tafel des parodierten Abendmahls zum Ausdruck. „Der wirklich Subversive riskiert seine Haut“, doch das gelte nicht für Katerine. Mit seiner blasphemischen Parodie Christi trug der zwar seine Haut zu Markte, riskierte aber nichts. Letztlich hätten die eigentlichen Urheber (Macron und andere politische Größen wie Bürgermeisterin Hidalgo) die Schönheit von Paris als Geisel genommen.

Katerines Performance des Liedes „Nu“ („Nackt“), das seinen Ausgangspunkt angeblich bei der traditionellen Bekleidung der olympischen Sportler nahm, während der Sänger nicht gerade einen gestählten Körper zur Schau tragen konnte, wurde nicht in allen Ländern gezeigt. In den USA zeigte der Sender NBC lieber Bilder vom Défilé der Boote auf der Seine. Das marokkanische Staatsfernsehen wich auf Bilder von Paris aus. Auch China und Australien waren eher negativ überrascht. Übrigens erinnerte auch die Metallkuppel, die unter der Katerine zum Vorschein kam, durchaus an den Grundgedanken „Mahlzeit“, also auch Abendmahl. Zuletzt hat auch Teheran den französischen Botschafter einbestellt – wegen der beleidigenden Darstellung des islamischen Propheten Jesus.

Das Entsetzen der normalen Franzosen

Marion Maréchal (ehemals Reconquête) erregte sich über die „enthauptete Marie-Antoinette, das sich küssende Dreier-Paar (trouple), die Drag-Queens, die Erniedrigung der republikanischen Garde, die zu Aya Nakamura tanzen musste“ und über „die allgemeine Hässlichkeit der Kostüme und Choreographien“. Andernorts sprach Maréchal von einer „Sezession der politischen und kulturellen ‚Eliten‘“ vom Rest des Landes. Sie glaubt aber auch an negative Folgen der Zeremonie im Ausland: „Wir werden nicht respektiert oder gar gehört werden, wenn wir den Ausdruck unserer Einzigartigkeit und unsere Zivilisation auf Progressivität und Wokismus reduzieren… Haben wir der Welt also nichts anderes zu sagen und anzubieten?“

Eine weise Zusammenschau präsentierte aus Mailänder Sicht der Corriere della Sera: „Eine Performance zeitgenössischer Kunst: Bald schien es, als wären wir auf der Biennale, dann wieder auf einer Gay Pride, bald auf einer Modenschau.“

Doch es gibt auch Versuche in Schadensbegrenzung: So wandte der durchaus kritische Causeur ein, dass ja vielleicht auch die Hässlichkeit mit der Größe zeitweise koexistieren könne. Die Einlagen von Cancan und anderen Symbolen aus der Geschichte Frankreichs fand der Autor Gabriel Robin etwa „reduzierend“, aber dem Ausland gefalle so etwas. Die enthauptete Marie-Antoinette mit den Strömen von Blut (rote Papierschlangen) findet Robin eher „pubertär“ als wirklich bösartig, gleichwohl unpassend für ein großes öffentliches Schauspiel mit weltweiter TV-Übertragung. Das fanden auch einige Franzosen vor dem Fernseher.

Richtigerweise stellt Robin fest, dass diese Zeit – trotz und entgegen Philippe Katerine als nacktem Dionysos – eigentlich des Apollinischen bedürfte. Das scheint nach dieser zum größten Teil dionysischen Darbietung durchaus am Platz. Nur die Lasershow und die properen Auftritte einiger Sportler am Ende mit der Fackel verströmten ansatzweise etwas von der männlich-klaren Kraft des Apollinischen. Macron hat dieses Element getötet. Er wollte kein Versinken in der vergangenen Größe Frankreichs, das sieht auch Robin als lobenswert an. Aber hier gab es keine Moderne mehr, nur noch postmodernen Wokismus.

Das Thema der Abschlusszeremonie am 11. August soll angeblich die „Archäologie“ sein, und man kann sehr gespannt sein, wie das Team diesen Rahmenbegriff wiederum mit denselben Grundideen zusammenbringt.

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