Im Bundestag haben AfD und CDU/CSU Claudia Roth und Annalena Baerbock in einer Aktuellen Stunde dafür kritisiert, dass sie die Benin-Büsten an Nigeria zurückgegeben und damit indirekt in den Privatbesitz des Königs von Benin gebracht haben – das Oberhaupt einer Familie mit reicher Tradition als Sklavenhändler und Volksunterdrücker. Diesen Schritt verteidigten Grüne, SPD, Linke und FDP.
Die linkste Rechtfertigung kam von der FDP, von Anikó Glokowski-Merten. Sie sprach sich gegen „neo-koloniale Zuckungen“ aus, die Übergabe der Büsten fand sie „richtig und wichtig“, und es gebe ja im Zusammenhang mit der Rückgabe von Kunstgütern an anderer Stelle eine „bereichernde Zusammenarbeit“.
Offensichtlich haben Afrikaner kulturell bedingt eine völlig andere Vorstellung von Schuld als die Deutschen. Es gibt dort die Schuld der Vorfahren nicht, obwohl die afrikanischen Vorfahren furchtbare Massenverbrechen – nach heutigen Maßstäben – begangen haben. Die grundlegenden Unterschiede liegen hier in der Kultur: In den nichtwestlichen Ländern gibt es eine tiefe Beziehung zu den Vorfahren und Ahnen, welche eine Grundlage der Spiritualität der Kultur bildet.
Die christliche Schuldkultur des Westens
Die westliche Kultur basiert auf dem Christentum, das den Ahnen zumindest kritisch, oft negativ gegenübersteht. Das beginnt schon bei den Urahnen Adam und Eva, die aufgrund ihres Fehl-Verhaltens aus dem Paradies vertrieben wurden. Als ihre Nachkommen tragen auch wir diese „Erbsünde“. Dadurch ist im christlichen Denken der Mensch grundsätzlich schlecht und kann nur von außen, also durch den Opfertod Jesu gerettet werden.
Im Ersten Petrusbrief heißt es: „Ihr wisst, dass ihr aus eurer sinnlosen, von den Vätern ererbten Lebensweise nicht um einen vergänglichen Preis losgekauft wurdet (…), sondern mit dem kostbaren Blut Christi.“ (1 Petr 1, 18-19) Das heißt, die von den Vorfahren vererbte Lebensweise ist sinnlos. Aus dieser Sklaverei wurden die Christen durch das Menschenopfer Christi erlöst. Und das bestimmt mitunter auch das Lebensgefühl. Mea culpa, mea maxima culpa – die Schuld und das Schuldgefühl bestimmen in überwölbender Weise das Lebensgefühl des Christentums.
Ein vollkommener Gegensatz bildet dazu der Buddhismus, in dem sich jeder Mensch bedingungslos selbst vervollkommnen kann und dazu nur der Anleitung des Lehrers (Buddha) bedarf. Der Karma-Gedanke kennt auch keine religiös bedingte Schuld und Sünde. What you do, is what you will get. Thats all.
In Afrika und Asien werden die Ahnen verehrt
In Afrika ist christliches Denken meist nur aufgesetzt, darunter lebt die alte Kultur in tiefen Schichten weiter. Das Ehren der Vorfahren und das Ahnengedenken ist in allen afrikanischen und asiatischen Kulturen tief verankert. In jeder Familie gibt es Ahnenaltäre. Die Ahnen zu respektieren, verlangt schon die Selbstachtung, leben die Ahnen doch in einem selbst weiter.
Und das stimmt auch naturwissenschaftlich gesehen, sind wir doch das genetische Erbe unserer Ahnen. Schuld bei den Vorfahren zu suchen, gilt als in jeder Hinsicht pervers. So werden in Japan im Yasukuni-Schrein neben Millionen Kriegstoten gleichzeitig die verurteilten Kriegsverbrecher Japans offiziell im Schrein geehrt. Es geht um ein Denken, in dem die Seelen Verstorbener besänftigt werden sollen, damit sie ihre Nachfahren in ihrem Leben unterstützen.
Im Gegensatz zu Deutschland gibt es in Nigeria, aber auch in Asien keine kulturelle Grundlage, sich für die Verbrechen der Vorfahren zu entschuldigen.
Hierzu ein Auszug eines Interviews der Berliner Zeitung mit Prinz Okpame Oronsaye, einem Mitglied der Königsfamilie:
„… Wir hatten Sklaven, bevor die Europäer nach Afrika kamen. Sklaverei ist falsch, aber damals hielt jeder Sklaven …
… Unter meinen Vorfahren gibt es auch Sklavenhändler. Aber ich habe damit nichts zu tun und fühle mich nicht schuldig. Das gilt auch für Sie als Deutsche. Sie sollten sich nicht dafür schuldig fühlen, was Ihr Vater oder Ihr Großvater gemacht hat. Ich gebe auch den Museen keine Schuld, die die Bronzen denen abgekauft haben, die sie gestohlen haben. Das war eben ein Geschäft.
… Es tut mir leid, aber Ihre Außenministerin (Baerbock) ist zu jung. Sie hat keine Erfahrung, und manchmal merkt man das, wenn sie spricht. Sie hat es übertrieben. Das ist das Problem mit Ihrer Außenministerin. Sie weiß nicht, wie man sich diplomatisch ausdrückt. Und anscheinend hat sie keine guten Berater. Die Deutschen haben uns nichts gestohlen. Das waren die Briten.“
Wokeness, die säkularisierte Sündenideologie
Im Westen wird indes die zeitliche Vorgabe, für die man sich zu entschuldigen habe, immer länger. War es in Deutschland zunächst angebracht, sich für die Verbrechen während des Dritten Reichs zu entschuldigen, gilt es jetzt als dringend notwendig, auch für den westlichen Kolonialismus der letzten 400 Jahre Abbitte zu leisten.
Von den Nachkommen der brutalsten afrikanischen und arabischen Sklavenhaltergesellschaften der gleichen Zeit wird dies hingegen nicht erwartet. Im Gegenteil, es wird geradezu unter den Tisch gekehrt, als ob die Geschichte ein Schuldwettbewerb sei, bei dem man nur selbst siegen dürfe und die Gegner weit hinter sich lassen müsse. In der heute herrschenden woken Kultur scheint also immer mehr ein säkularisiertes christliches Verständnis von Opfer, Schuld und Sünde auf.
Diese narzisstische Weltsicht der herrschenden Moralisten kann sich nicht vorstellen, dass in anderen Zeiten und anderen Kulturen andere Werte als die eigene Wokeness gelten. Es ist ihr auch völlig undenkbar, dass die Zukunft ihre Weltsicht als absurd verurteilen wird. Es fehlt in der moralischen Überheblichkeit jegliche Demut vor dem Denken, obwohl dies ironischerweise angeblich ein wichtiger Programmpunkt ist.
Auch Rudi Dutschke, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof – so unterschiedlich ihre Biografien auch sein mögen: Die religiöse Sozialisation war relevant für ihre Überzeugungen, ihre Entscheidungen und ihre Lebenswege. Das Schlüsseljahr 1968, die Studentenbewegung. Auch all das wäre nicht zu verstehen ohne die Sozialisation der Protagonisten im Protestantismus.
Der Sklavenhalterstaat Benin
Das Königreich Benin war kein Staat, in dem es am Rande auch Sklaverei gab. Benin war ein Reich, das sich über die Unterwerfung und Versklavung der Nachbarstämme definierte. Dazu gehörten auch weibliche Amazonen-Armeen, die sich durch besondere Grausamkeit hervortaten. (In Berichten liest man, dass eine junge Amazone ihre Machete insgesamt 3-mal herumwirbelte, bevor sie den Kopf eines Gefangenen vom Nachbarstamm mit einem einzigen Hieb abtrennte. Dann wischte sie das Blut von ihrem Schwert ab, leckte es sauber. Ihre Amazon-Kameradinnen jubelten vor Begeisterung. In der Region war es für die Kriegerinnen der damaligen Zeit üblich, mit Kopf und Genitalien der Gegner nach Hause zurückzukehren. – Nun wäre es natürlich interessant, wie sich die Baerbocksche feministische Außenpolitik dazu verhielte.)
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Hätten die versklavten Nachbarn die Macht erlangt, hätten diese wiederum ihre Nachbarn versklavt. Das ist die im Westen tabuisierte Geschichte Afrikas.
Es gibt von der nigerianischen Seite kein Unrechtsbewusstsein gegenüber der Versklavung, dem Verkauf der Nachbarvölker. 2022 erklärte Buhari laut eines Berichts der nigerianischen Zeitung Premium Times: „Meine Anweisung, diese Artefakte an den Oba von Benin zurückzugeben, markiert den Beginn eines weiteren Aspekts in der hochgeschätzten Beziehung zwischen der nigerianischen Bundesregierung und unseren traditionellen Institutionen, die in der Tat die wahren Hüter unserer Geschichte, Bräuche und Traditionen sind.“
Die wahren Hüter von Geschichte, Bräuchen und Traditionen sind also Sklavenhalter. Nahezu alle Sklaven wurden von Arabern (17 Millionen) oder afrikanischen Stämmen versklavt. Die Engländer haben Sklaven von Benin gekauft. Sie waren also nicht die Räuber, sondern die Hehler.
So wurde in Nordnigeria die Sklaverei erst 1936 verboten, während sie in anderen Teilen Nigerias auch erst um 1885 abgeschafft wurde. Das Sokoto-Kalifat im Norden Nigerias hatte um 1900 noch zwischen 1 Million und 2,5 Millionen Sklaven. Die Sklaverei wurde besonders aufgrund des Druckes von Großbritannien abgeschafft.
Anfang Mai hieß es in einem Kommentar auf der Nachrichten-Webseite Modern Ghana in diesem Zusammenhang, Westler sollten sich vorsehen, den Sklavenhandel zu einer rein afrikanischen Angelegenheit zu machen. Genau das Umgekehrte ist der Fall: Man möchte oft gegen den Widerstand der Afrikaner und Araber und gegen den Widerstand der deutschen Moralschickeria AUCH deren Verantwortung thematisieren.
Wissenschaftler kritisieren die Geschichtsklitterung der woken Politik
Die Schweizer Ethnologin Brigitta Hauser-Schäublin kritisiert die Rückgabe an Nigeria als auf Basis der historischen Fakten kaum gerechtfertigte Entscheidung. „Abgesehen davon, dass in Nigeria 250 verschiedene Ethnien leben, von denen jede ihre eigene konfliktreiche Vergangenheit hat“, schrieb sie Anfang Januar in einem Gastbeitrag in der FAZ, „kommt es einer Geschichtsklitterung gleich, wenn die Geschichte der Bronzen auf die Konfiszierung der Königsinsignien durch die Briten und den Erwerb deutscher Museen von Teilen der Kriegsbeute reduziert wird. Die ans Larmoyante grenzenden Schuldeingeständnisse und Wiedergutmachungsanstrengungen der deutschen Politik verdecken die bluttriefende Vorgeschichte der Benin-Bronzen.“ Diese seien aus einem Berg von Leichen und durch Schiffsbäuche voller Sklaven – vom Königreich Benin in Kriegen gegen Nachbarvölker gejagt, versklavt, teilweise den bronzenen Herrscherköpfen als Blutopfer dargebracht und in Massen gegen Bronze-Manillen aus Europa verkauft – hervorgegangen.
Wenn also grüne Gutmenschen aus der Sklaverei erlangte Kulturgüter, die auch die Sklaverei feiern, an die Nachkommen der Sklavenjäger zurückgeben, dann ist das kein Gut- sondern ein Bösmenschentum hinter der Maske des Guten.
Die wirklichen Opfer werden verhöhnt
In dieser woken Kultur geht es aber nicht mehr um die wirklichen Opfer in Nigeria. Sondern den Täternachkommen werden Triumphsymbole über die Opfer zurückgegeben.
Die im Jahr 2000 gegründete US-amerikanische Restitution Study Group kritisierte im August 2022 die Absicht der Universitäten von Oxford und Cambridge, Bronzen nach Nigeria zurückzugeben, und schrieb eine Petition an die Charity Commission, der Rückgabe nicht zuzustimmen. Stattdessen lehnte die Gruppe jegliche Rückgabe ab, da das Königreich Benin aus dem Sklavenhandel Profit geschlagen hatte. Die Bronzen sind vielfach aus den Manillen hergestellt, die das Königreich Benin als Zahlung für den Verkauf der Sklaven erhielt.
Deadria Farmer-Paellmann von der Restitution Group spricht daher von „Blut-Metall“. Die Gruppe forderte Frankreich, Großbritannien, die USA und Museen anderer Länder auf, die Bronzen weiterhin auszustellen, da sie in westlichen Museen den tatsächlichen Nachfahren von Sklaven zugänglich seien, die dafür „mit ihrem Leben bezahlt“ hätten, und nicht den Nachfahren von Sklavenhändlern. Die Gruppe schreibt: „Das Königreich Benin würde, durch Nigeria, durch die Rückführung dieser Relikte ungerechtfertigt bereichert. Schwarze Menschen unterstützen Sklavenhändler-Erben nicht, nur weil sie schwarz sind. Nigeria und das Königreich Benin haben sich nie für die Versklavung unserer Vorfahren entschuldigt.“
Speziell von Deutschland forderte die Restitution Study Group, keine neuen Transferverträge mit Nigeria zu unterzeichnen und alle bestehenden Verträge aufzuheben. Stattdessen wünsche man sich Miteigentumsverträge mit den Nachkommen der versklavten Menschen und die treuhänderische Aufbewahrung der Metallgüsse in den deutschen Museen.
Wer sich mit den Nachfahren der Sklavenjäger gemein macht und ihnen huldigt, indem er ihnen die Trophäen zurückgibt, die aus den bronzenen Armringen gefertigt wurden, mit denen die Sklavenjäger bezahlt wurden, sollte wissen, was er tut. Das ist keine postkoloniale, sondern menschenverachtende neokoloniale Außenpolitik.
Die schwarzen US-Nachfahren der Sklaven profitieren heute
Aber wer in Nigeria oder Ghana mit schwarzen US-Amerikanern diskutiert, wird hören, dass ihr Vorteil sei, dass sie die Nachkommen afrikanischer Sklaven sind. Hätte der Nachbarstamm nicht ihre Vorfahren überfallen und sie in die USA verkauft, wären sie heute Ghanaer oder Nigerianer. Und das wollten sie bei Gott nicht sein. Das wird man aber in den deutschen Medien nicht lesen können.
Der Witz ist natürlich auch, dass Deutschland nie Kolonialmacht in Nigeria war. Wollte man dem Recht jenseits der Moral folgen, müsste man Großbritannien auffordern, das Geld, mit dem die Bronzen von Großbritannien zu dieser Zeit rechtmäßig gekauft wurden, Deutschland zurückzuzahlen.
Historische Handelsverbindungen von Deutschland und Benin
Um die Sache noch etwas zu komplizieren, muss man sagen, dass das Messing, das die damaligen Künstler in Benin verarbeiteten, aus dem deutschen Rheinland zwischen Köln und Aachen stammt. Dies wurde nun durch Isotopenanalysen bewiesen. Zu ganz ähnlichen Schlussfolgerungen ohne Isotopenanalysen kam freilich auch schon eine Studie aus dem Jahr 1932: „Negerkunst von Benin und deutsches Metallexportgewerbe im 15. und 16. Jahrhundert“. Der deutsche Wirtschaftshistoriker Jakob Strieder rekonstruierte in diesem Artikel für die „Zeitschrift für Ethnologie“ erstmals die Beziehungen zwischen dem Haus Fugger, den Portugiesen und den Künstlern in Benin.
Strieder lieferte vor fast hundert Jahren aber noch einige interessante Einblicke. Auf einigen der afrikanischen Kunstwerke, die in deutschen Museen lagern, sind nämlich eindeutig europäische Händler in der Tracht des 16. und 17. Jahrhunderts abgebildet, einige davon in jener Kleidung, die damals in Deutschland üblich war. Und es gibt sogar eine Benin-Plastik, auf der – man glaubt es kaum – drei Tirolerhüte abgebildet sind. Ist dies nun kulturelle Aneignung? Müssen diese Kunstwerke zurück nach Tirol?