Auf Lesbos setzt sich der allgemeine Notstand fort. Die Migranten leben noch immer auf den Straßen und Parkplätzen der Insel, auf den Vorhöfen von Betrieben, in Olivenhainen und Kapellen.
Warum die Migranten nicht nach Kara Tepe wollen
Inmitten der unruhigen Lage auf der Ägäis-Insel Lesbos wird immer klarer, wie es eigentlich zu ihr kam. Die konservative Regierung von Kyriakos Mitsotakis hat ein Problem von Alexis Tsipras geerbt. Ihre Antwort darauf war zweigeteilt: klare Grenzen und klare Verfahren. Doch das kommt nicht bei allen gut an.
Nahrungsmittel und Wasser werden angeblich nur einmal am Tag verteilt, wie engagierte Journalistinnen berichten. Doch gekocht wird trotzdem, viele zünden dazu Feuer an. Und das bedeutet Brandgefahr auf der vom Sommer ausgetrockneten Ägäisinsel. Die aufgestockte Polizei versucht, diese Feuer zu unterbinden und die Migranten dazu zu überreden, in die neue Zeltsiedlung am Meer zu ziehen. Ja, so ist es wirklich: Die griechischen Sicherheitskräfte bitten die Asylbewerber, ein für sie fertig aufgebautes Zeltlager zu beziehen. Doch nur in der höchsten Not ziehen die Migranten dort ein, wie auch Isabel Schayani für die ARD berichtete.
Auch die örtliche Wirtschaft sieht im neuen Lager nur eine neue Quelle von Problemen. Das ist klar. Die Insulaner fordern eine Normalisierung der Lage, die Öffnung ihrer Straßen und Geschäfte. Die Hotelzimmer auf der Insel sind laut Schayani auch ausgebucht: alles voll mit »Ärzten, NGOs, Journalisten und Militär/Polizei«. Da beschwere sich noch einmal jemand, dass die Griechen sich auf ihren Inseln nicht um Ordnung (Militär/Polizei) und Humanität (Ärzte) bemühen. Vielleicht kommt manches zu spät, aber ob man von Kyriakos Mitsotakis innerhalb eines Jahres – mit der Evros-Krise zwischendrin – erwarten konnte, fünf Jahre Lagergeschichte in Moria umzudrehen, muss man noch einmal überlegen.
Bis Montagabend haben sich 800 Migranten in dem neuen Zeltlager in Kara Tepe eingefunden, von denen 21 positiv auf das Coronavirus getestet und einzeln untergebracht wurden. Ebenfalls am Montag war der Bürgerschutzminister Michalis Chrysochoidis auf Lesbos und sagte, dass jeder Migrant zunächst in das neue Lager von Kara Tepe müsse. Erst danach werde, in geordneter Form, über sein Verfahren entschieden.
Warum die Menschen nicht nach Kara Tepe wollen
Doch eine Gruppe von Afghanen hintertreibt dieses Ziel angeblich auch mit Drohungen und Gewalt gegen die anderen Ex-Lagerbewohner. Chrysochoidis sagte: »Ich warne alle diejenigen, die meinen, sie könnten Probleme in der griechischen Demokratie hervorrufen. Ich möchte ihnen sagen, dass die griechische Demokratie stark ist und wir nicht die kleinste Störung hinnehmen werden.« Den Störern drohte Chrysochoidis mit »Sanktionen und Konsequenzen«. Man liest, dass diesen Gewalttätern – die auch hinter den Brandstiftungen im Lager Moria vermutet werden – ablehnende Asylbescheide ins Haus standen oder sogar schon mehrmals zugestellt wurden. Auch jetzt hoffen sie noch immer, ihren Transfer aufs Festland durch einen Straßensitzstreik erzwingen zu können und streuen angeblich entsprechende Gerüchte. Diese Dynamik der Gewalt und des Widerstands hatte die Regierung wohl unterschätzt. Die schlimmen Aufrührer sind aber – gemessen an den gezeigten Fernsehbildern von protestierenden Migranten nicht ganz alleine und auf sich gestellt.
Auf Flugblättern versucht die griechische Regierung, die Migranten in ihre neue Unterkunft zu locken. Dort würden ihnen anständige Lebensbedingungen geboten, ebenso wäre dort für die öffentliche und private Gesundheit gesorgt. Vor allem Familien und schutzbedürftige Personen haben dabei Vorrang. In dem Lager würden dann auch die Asylverfahren der Bewohner fortgesetzt, ja, sie wurden sogar schon wieder aufgenommen. Nur wenn die Migranten in das neue Lager gingen, können sie gemäß dem Flugblatt »so bald wie möglich« ihre Abreise von Lesbos erwarten, immer in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Bestimmungen.
Der Brand war nur der Höhepunkt einer Welle der Gewalt
Für die griechische Regierung gilt es jetzt, die Fäden zusammenzuhalten. Sehr sicher ist man sich bei einem: Die Anstrengung, ein neues, funktionierendes Asylsystem aufzubauen, will man sich nicht von einer Brandstiftung, auf die eine Reihe von Aufständen oder weiteren Brandstiftungen folgen könnten, kaputt machen lassen.
Da seit dem März strikte Ausgangsbeschränkungen wegen der Pandemie für die Lagerbewohner galten, stiegen die Spannungen im Lager immer mehr an. Auch andere Straftaten waren in den Jahren zwischen 2016 und 2018 zu berichten: Vergewaltigungen, Entführungen, neun Morde und 162 ernste Körperverletzungen, außerdem 46 mehr oder weniger ausgedehnte Brände. Fast 1.000 Festnahmen gab es in 20 Monaten. Das berichtet der Beamte über die Jahre unter der radikal-sozialistischen Regierung von Alexis Tsipras.
Viele der Migranten fürchten ordentliche Verfahren
Die heutige Regierung besitzt – im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin – durchaus ein asylpolitisches Konzept. Dasselbe hatte Kyriakos Mitsotakis schon 2018 bei seinem Besuch in einem ebenfalls überfüllten Lager auf Samos erläutert. Deutlich griff er damals die Politik der Linksregierung an, die für offene Grenzen gesorgt hatte, nicht aber für eine ordentliche Unterbringung der daraus resultierenden Menschenmassen. Und auch das Konzept seiner späteren Regierung klang schon an. Man könnte, wenn diese Worte noch etwas wert sind, von Menschlichkeit und Ordnung sprechen. Menschlichkeit insofern, dass man Menschen nicht wie Vieh einpferchen will, Ordnung insofern, dass man Asylverfahren durchführt und auch ablehnende Entscheidungen durchführt.
Es lässt sich mithin feststellen: Bleibt die griechische Regierung ihrem Programm der Souveränität treu, dann kann und darf sie keine Entlastung der Inseln durch die EU-Partner erwarten. Einzelne Politiker bringen dieses Argument zwar immer wieder in etwas opportunistischer Manier vor, aber am Ende führt der Weg zu Freiheit und Souveränität nur über ordentliche Prozesse und Verfahren. Doch niemand sagt, dass die sämtlich auf den idyllischen Inseln stattfinden müssen, die anders leichter Geld verdienen könnten. Dieser Teil der Lösung – Verlagerung der Verfahren in weniger dicht besiedelte Gebiete – müsste wohl noch mehr in den Vordergrund gerückt werden. Isabel Schayani ist übrigens gegen Lager »in der Wallachei«.
Unterstützen