Zu den markantesten Eigenschaften der wenigen Warschau-Korrespondenten, die zum „erlesenen“ Kreis gehören und sich hierzulande einvernehmlich den Ball zuspielen, gehört der unbedingte Wille zur Diffamierung der PiS-Regierung. Seit Jahren wird keine Gelegenheit ausgelassen, den polnischen Präsidenten, Regierungsparteichef oder Justizminister als hemmungslose „Despoten“ darzustellen. Es ist nicht auszuschließen, dass solche Erzählweisen von ideologischen Prämissen und politischen Zwängen diktiert werden. Nun wäre es naiv, zu glauben, dass die zunehmende Abhängigkeit der Medien von einflussreichen Konzernen und diversen „Förderern“ den Redakteuren deutscher Zeitungen einen unverstellten Blick oder mehr argumentative Handlungsmöglichkeiten garantieren wird. Auch künftig wird die Berichterstattung über Polen mit kuriosen Verdrängungsleistungen und Verfälschungen historisch verbürgter Fakten einhergehen. Die Möglichkeit, sich dagegen erfolgreich zur Wehr zu setzen, bleibt gering. Man kann jedoch versuchen, in die „weißen Flecken“ kleine Mosaiksteinchen zu legen und bestimmte Sachverhalte neu zu belichten.
Gelegentlich reicht es aus, vergilbte Ausgaben alter Zeitschriften hervorzuholen und festzustellen, dass sich praktisch seit dem Regierungsantritt der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) im Herbst 2015 nicht viel geändert hat. Ein nicht unerheblicher Prozentsatz unter den Korrespondenten bedient sich fortwährend der gleichen Grundmuster. Obwohl die konservative Koalition in Warschau seit über fünf Jahren fest im Sattel sitzt und die Umfragen nach wie vor anführt, wird in den westlichen Medien pro Quartal mindestens eine „Regierungskrise“ ausgemacht.
Nein, sie wurden nicht aufgrund etwaiger „Putschversuche“ verurteilt oder „massiven Repressalien“ ausgesetzt, sondern scheiterten kläglich an ihrer programmatischen Unglaubwürdigkeit. Es gibt in Polen glücklicherweise immer noch Wähler, die ihr kritisches Gespür nicht verloren haben, sich der „zivilisatorisch-fortschrittlichen“ Sogwirkung einiger Bürgermeister zu entziehen wissen und an interessanten Gegenmodellen zur neomarxistischen Monologizität festhalten. Wobei die Redakteure im Westen den gescheiterten „Revolutionären“ in Polen keineswegs lange nachtrauern. Warum denn auch? Bald erscheint auf der Bühne ein neues „Wunderkind“, das die heruntergewirtschaftete Opposition neu aufstellen wird. Jüngstes Beispiel? Szymon Hołownia. Laut deutscher Medien ist er zwar ein politischer Neuling, konnte jedoch bei den Präsidentschaftswahlen 2020 auf Anhieb einen „ehrenvollen dritten Platz“ belegen. Das Problem dabei ist nur, diesen Erfolg würde auch jeder andere erringen, der neben seinen Begabungen auch „betuchte“ Freunde vorzuweisen hätte. Nun ist Hołownia gewiss nicht ganz talentfrei, wenngleich er jahrelang höchstens durch seine Moderation der polnischen Ausgabe von Got Talent für Aufsehen sorgte. Sein politischer Höhenflug liest sich wahrlich wie ein Märchen: Er hatte es zuletzt geschafft, einige Abgeordnete von der Bürgerplattform abzuwerben und somit im Sejm einen eigenen Zirkel zu gründen, noch bevor seine Bewegung „Polska 2050“ zur rechtmäßigen Partei wurde. Wird sein überschaubares Warschauer Büro aber auch irgendwann mal zu einer bedeutenden Machtzentrale? Wohl kaum, wobei es sicherlich nicht nur an Hołownia liegt.
Zum politischen Sargnagel für einige oppositionelle „Lichtgestalten“ nach 2015 wurde nicht nur die häufig anzutreffende Inkompetenz, sondern insbesondere deren unreflektierte Angriffslust gegen jegliche Reformversuche der PiS. Szymon Hołownia war gleichfalls von Beginn an auf Krawall gebürstet und übernimmt (wie übrigens einige deutsche Medien) nahtlos die Narrative der Koalicja Obywatelska, wonach Duda und Kaczyński insgeheim als „Handlanger Putins“ fungierten. Wie kann ein potenzieller Oppositionsführer in Polen – ganz gleich welchen politischen Couleurs – mit staatsmännischer Miene so einen Unfug behaupten? Sind es doch allen voran die Konservativen, die mit zahlreichen wirtschaftspolitischen Projekten den Abbau von Abhängigkeiten gegenüber Russland anstreben. Die Realitätsferne der Opposition tritt besonders dann zutage, wenn unter Rückgriff auf die genannten Argumente Hołownia, Trzaskowski oder Budka zeitgleich den Schulterschluss mit der postkommunistischen Linken suchen, die mit ihren offenen Sympathiebekundungen für den Kremlchef nicht nur an der Weichsel für Irritationen sorgt.
Diese widersprüchliche Haltung ist zweifellos von der Ratlosigkeit einiger Akteure geprägt, kann aber auch auf ein Nachholbedürfnis nach verpasstem Erfolg zurückgeführt werden. Mit seiner diffusen Strategie setzt Hołownia klammheimlich auf vorgezogene Wahlen. Nach einhelligen Medienberichten werden sich die Koalitionspartner nämlich alsbald „selbst zerfleischen“. Gibt es denn im konservativen Regierungslanger tatsächlich Probleme? Natürlich, wie in jeder Koalition. Beschämend billig wäre der Erklärungsversuch, dass es zwischen den Parteien PiS, Solidarna Polska und Porozumienie ausnahmslos harmonisch zuginge. Nicht jeder in der Vereinigten Rechten möchte beispielsweise einem EU-Aufbaufonds zustimmen, der mit nebulösen „Rechtsstaatsmechanismen“ ausgestattet ist. Dies sind jedoch normale Diskussionen, deren demokratischer Ablauf sicherlich nicht von überhöhten Ambitionen oder politischer Kurzsichtigkeit bestimmt wird. Denn genau darauf sind die Versagensgründe der Opposition zurückzuführen, die mit ihrer programmatischen Unbelehrbarkeit auch bei früher angesetzten Wahlen den Kürzeren ziehen dürfte. Wenn es folglich in der Tat zu einer Verschiebung der politischen Tektonik käme, dann wohl nur im konservativen Spektrum, in dem Demokratie noch gelebt wird.
Wojciech Osiński ist Deutschland-Korrespondent des Polnischen Rundfunks