Tichys Einblick
Bauern protestieren

Von der Leyen: Agrarberater erhielt fast doppelt so viel wie erlaubt

Bauern protestierten, das ließ Ursula von der Leyens Bedürfnis nach Rat wachsen. Ein neuer Bericht zur „Zukunft der EU-Landwirtschaft“ wurde von einem Literaturprofessor aus Wien zusammengetragen, für 150.000 Euro. Laut Bauernverband ist es ein großes, teures Signal zum Weiter-so.

IMAGO / ZUMA Press Wire

Es war die Zeit der Massenproteste europäischer Bauern in mehreren Ländern der EU. Die Proteste wurden aus unterschiedlichen Gründen begonnen, fanden aber einen gemeinsamen Nenner in der bauern- und damit letztlich verbraucherfeindlichen Politik. Denn wo es weniger Höfe gibt, weil sie schlechtere Überlebenschancen haben, da steigen die Preise für die produzierten Nahrungsmittel, und die Qualität dürfte zurückgehen. Oft wurden politische Entscheidungen mit angeblich ökologischen Gründen untermauert, immer standen sie unter dem Bann des „Green New Deal“ der EU.

Daneben bringen auch Freihandelsabkommen viele Bauern auf, oder die Einbeziehung der günstig produzierenden Ukraine in den EU-Binnenmarkt, das Vordringen des Wolfs und viele andere Themen mehr. So produzieren spanische Landwirte dank migrantischer Hände günstiger als Frankreich.

Da dachte sich eine Ursula von der Leyen offenbar, sie könnte einen Beraterbericht zur Landwirtschaft brauchen, um zum einen die verschiedenen widerstreitenden Interessen (vor allem Lobby- und Industrieinteressen und den verordneten „Green Deal“) doch noch unter einen Hut zu bekommen und andererseits ihre eigene Kehrtwende dabei nicht allzu offensichtlich werden zu lassen. Dabei signalisiert die mögliche Abschwächung des Schutzstatus für den Wolf, dass auch das EU-Parlament (mit neuen Mehrheiten) hier durchaus zum Treiber werden kann.

Es sollte also ein Professor sein, zudem ein von der deutschen Regierung erprobter. Der Deutsche Peter Strohschneider ist freilich Germanist, vor allem für seine Arbeiten zur Literatur des Mittelalters bekannt und also sicher kein Experte in moderner Agrartechnik. Das behauptet auch keiner. Das Geschick des Professors soll vielmehr in „seiner Persönlichkeit und seiner Fähigkeit“ liegen, „sich als vertrauenswürdiger Vermittler in komplexen Verhandlungsprozessen zurechtzufinden“, so ein Sprecher der Kommission gegenüber Politico. Der Professor findet sich zurecht. Das ist gut. Er navigiert durch alle schwierigen Fragen irgendwie hindurch.

Ein Dialog über die Landwirtschaft, nicht mit den Bauern

Doch dieser Sonderberater der EU-Kommission, den Ursula von der Leyen mit einem Bericht zur Zukunft der Landwirtschaft in der EU betraute, erhielt zudem ein Honorar, das um 85 Prozent über der eigentlich vorgesehen Maximalrate für Kommissionsberater liegt (laut einer Studie von 2021 wären das 526,84 Euro pro Tag). Das Honorar wurde also im Vergleich mit dem üblichen Maximalsatz beinahe verdoppelt.

Der übersetzte Titel dieses Berichts ist „Strategischer Dialog über die Zukunft der EU-Landwirtschaft“. Strategisch und dann auch noch Dialog, das hat die Sache anscheinend teuer gemacht. Strohschneiders Doktorarbeit von 1984 handelte von „Gesprächen und Gefährlichkeiten“ in der ritterromantischen Versepik – das könnte dann doch prophetisch gewesen sein.

Der Präsident des Deutschen Bauernverbands, Joachim Rukwied, kritisierte Strohschneiders Bericht, der lese sich vielerorts „wie eine Bestätigung des bisherigen Kurses der Kommission ohne den notwendigen kritischen Rückblick“. Rukwied kann darin „nicht die aus Sicht der Landwirtschaft notwendige politische Kursänderung“ erkennen, für „die wir Anfang des Jahres auf die Straße gegangen sind“.

Strohschneider wies diese Kritik am Bericht umgehend zurück:  „Bevor jemand erklärt, wie etwas zu verstehen ist, empfehle ich die Lektüre des Berichts, und die Lektüre beginnt mit dem Titel.“ Das ist zunächst eine unglaublich brüske und schon herablassende Reaktion.

Und was den Titel angeht: In einer Pressemitteilung des DBV war in der Tat von einem „Dialog mit der Landwirtschaft“ die Rede – das hätte man sich offenbar gewünscht. Das war aber gar nicht gemeint. Es ging – so hob Strohschneider hervor – um einen „strategischen Dialog zur Landwirtschaft in der EU“. Man könnte nun böse sagen, über die Köpfe der Landwirte hinweg. Jedenfalls hat Strohschneider damit den gesprächswissenschaftlichen Kern des Schreibwerks beschrieben: Dialog ja, aber nur zweckfrei „über“ etwas, nicht „mit“ jemandem. Ein Dialog über die Landwirtschaft, nicht mit den Bauern.

Oder in Strohschneiders eigenen Worten: „Das Gewicht des Berichts ergibt sich nicht aus der Konkretion der jeweils einzelnen Empfehlung, eventuell auch so, wie manche die sich gewünscht haben.« Entscheidend sei vielmehr die Summe „aus gewichtigen Empfehlungen und ihrem Verhältnis zueinander“. Das heißt auf Deutsch: Euch mag es nicht gefallen, anderen hat es sehr wohl gefallen, und da müsst ihr Bauern – auch wenn es um eure Arbeit, euren Verdienst geht – jetzt durch, weil wir auch andere Interessengruppen mit am Tisch hatten, also vor allem die mächtige Nahrungsmittel-Industrie und die Umweltlobby.

EU-Prinzip: Missachte die selbst gesetzten Regeln

Der aktuelle Skandal dreht sich aber nicht um den Inhalt des Berichts, wie es vielleicht eigentlich sein sollte, sondern um Strohschneiders überproportionale Bezahlung. Fast 1000 Euro pro Arbeitstag bekam der Mittelalter-Philologe für seine Vermittlungsarbeit, genau waren es 973,79 Euro für jeden von 154 Tagen. Das entspricht dem Tagessatz für einen Generaldirektor der Kommission. Insgesamt ergab sich so ein Honorar von rund 150.000 Euro. Experten sprechen von einer „Verschwendung öffentlicher Gelder“.

Der Politikwissenschaftler Christoph Demmke von der finnischen Vaasa-Universität findet die 150.000 Euro „unrealistisch hoch und wahrscheinlich auch nicht notwendig“. Die meisten der Sonderberater für die Kommission waren unbezahlt, so etwa der Franzose Michel Barnier (und jetzige Premierminister) im Jahr 2016, der 40 Diensttage verzeichnete. Der italienische Ex-Premier Mario Monti war dreimal für insgesamt 64 Tage als Kommissionsberater tätig und nahm dafür auch kein Honorar, wohl aber Reisekostenerstattung. Die kommen bei Strohschneider offenbar noch dazu.

Aber nicht die Höhe des Betrags 150.000 Euro ist angesichts eines Kommissionshaushalts von etwa 200 Milliarden Euro im Jahr das Problematische, sondern die Missachtung der selbst einst gesetzten Regeln. So zeigt sich, dass diese EU ein Selbstbedienungsladen von Graden ist. Und Ursula von der Leyen ist auch in dieser Disziplin einsame Spitze – man könnte von der personifizierten Regel-Abweichung aus Gutdünken sprechen. Pfizer, Green-Deal-Diktatur mitsamt misslungener E-Mobilität, die EU-weiten Bauernproteste, nun die Art des Zurückruderns – alles zeigt, wie eine ungewählte Repräsentantin dieser EU ihr Amt in weiten Teilen für Alleingänge missbraucht.

Daneben ist auch die Dauer von Strohschneiders Anstellung, das Ausmaß seiner Verpflichtungen, außergewöhnlich, wenn man eine Studie des EU-Parlaments von 2021 über die Sonderberater der Kommission zwischen 2014 und 2019 ansieht. In dieser Zeit lag die durchschnittliche Dienstzeit von Sonderberatern bei 18,9 Tagen. Strohschneiders Auftrag erwies sich als besonders zeitaufwendig mit 154 verwendeten Tagen. Die starke Steigerung des Tagessatzes tat ein Übriges für die Aufblähung der Kosten. Warum die Subtilitäten des professoralen Berufs bei diesem Thema erforderlich waren, wird wie bei fast allen Entscheidungen der Kommission nicht deutlich.

Erinnerungen an die Pieper-Affäre

Der Fall weckt allgemein Erinnerungen an die Pieper-Affäre, als von der Leyen unbedingt einen CDU-Parteifreund zum Mittelstandsbeauftragten der Kommission machen wollte. Ein gewisser Thierry Breton (damals noch Kommissar für Binnenmarkt) brachte Pieper durch ein kritischen Brief zu Fall. Und das erklärt wohl hinreichend Bretons eigenen Fall, den er in einen prachtvollen Köpper verwandelte, als er kurz vor der Präsentation der neuen Kommission erklärte, derselben nicht mehr anzugehören. Übrigens sind auch drei weitere Politiker, die den Anti-Pieper-Brief mitunterzeichneten, nicht mehr zur neuen Kommission. Es sind Josep Borrell, Paolo Gentiloni und der Luxemburger Nicolas Schmit, bei den Wahlen von diesem Jahr Spitzenkandidat der EU-Sozialdemokraten, der durchaus gerne Kommissar geblieben wäre. Aber die schwarze Mamba UvdL hatte zugegriffen.

Markus Pieper hatte nach allgemeiner Überlieferung nicht die allerbesten Qualifikationen für das Amt, das ihm zugewiesen werden sollte. Erst in der Phase der Auswahlgespräche wurde er zum Favoriten der Kommission. Von der Leyen wollte offenbar selbst bestimmen, wer unter ihr für das Mittelstandsressort zuständig sein würde. Diese autokratische Willkür einer Ungewählten war hier an Grenzen gestoßen.

Die Affäre Strohschneider erscheint als neuer Fall derselben Willkür, mittels derer wiederum alte (deutsche) Netzwerke der Macht wirken und die Oberhand gewinnen. Strohschneider war 2020 auch von der Bundesregierung ausgewählt worden, um einer bundesdeutschen „Zukunftskommission Landwirtschaft“ vorzusitzen – damals noch für Gotteslohn und Reisespesen.

Laut einer Sprecherin des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft beruhte die „Entscheidung, ihn mit dieser Aufgabe zu betrauen, auf seiner umfangreichen Erfahrung als wissenschaftlicher Administrator und seinem ausgezeichneten Ruf als Moderator komplexer gesellschaftspolitischer Fragen“.

Wer die Berufung von Professor Strohschneider zum hochbezahlten EU-Moderator außerdem begrüßte, das war Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne). Der blickte positiv auf die Zusammenarbeit seines Ministeriums mit Strohschneider im Jahre 2020 (noch unter Julia Klöckner) zurück. In der Zukunftskommission Landwirtschaft ging es laut Özdemir um eine „zukunftsfeste Landwirtschaft“, natürlich immer im Zwiegespräch mit Ernährungsbranche und Umweltschutz.

Wie in den 90ern Édith Cresson – nur größer

Es gab schon einmal eine EU-Kommissarin, die Französin Édith Cresson, die 1995 Wert auf Beratung durch einen ihrer Bekannten, den Zahnarzt Philippe Berthelot legte und ihm einen Vertrag als „Gastwissenschaftler“ bei der Kommission verschaffte, weil er für das Kabinett mit 66 Jahren zu alt war. Berthelot verbrachte mehr als zwei Jahre in dieser Rolle, obwohl 24 Monate eigentlich die Grenze für eine solche Gastrolle waren. Am Ende trat die gesamte Kommission Santer zurück.

Das war ein Zeichen der Krise, aber auch der zugelassenen Erkenntnis, dass manche Dinge nicht gehen. Inzwischen hat sich die Krise an die Spitze der Kommission vorgetastet. Man könnte sagen: UvdL agiert so wie in den 90ern Édith Cresson, nur eine Dimension größer. Ein kollektiver Rücktritt der heutigen Kommission ist nicht zu erwarten, weil die durchweg UvdLs Geschöpf ist. Der Krug geht solange zum Brunnen, bis er bricht. Es wird Skandal um Skandal geben, ohne dass die Mächtigen in Brüssel sich daran stören. Der autokratische Charakter dieser Kommission bestärkt dieses Verhalten. Haltesignale müssen offenbar von ganz weit draußen – aus der Tiefe der Länder – kommen, im Brüsseler Kosmos scheinen sie inexistent.

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