Niemand hat eine Prognose gewagt für die Wahl. Zwar gingen viele, ob Befürworter oder Kritiker der Politik von Viktor Orbán, davon aus, dass er die Wahl gewinnen würde, aber möglicherweise knapp. Knapp ist es nun ganz und gar nicht ausgegangen, sondern Viktor Orbán hat die Wahl mit einem so deutlichen Ergebnis gewonnen, mit dem in dieser Höhe nicht einmal seine Anhänger gerechnet haben.
Ähnlich wie im deutschen Wahlrecht gibt es eine Parteien-Liste und die Wahlkreise, in denen die Direktkandidaten gewählt werden; anders als in Deutschland kommt den Direktkandidaten jedoch ein größeres Gewicht zu. Während Orbáns Fidesz mit der christlich-demokratischen Partei KDNP ins Rennen ging, haben sich die Oppositionsparteien zu einem Bündnis zusammengeschlossen, weil darin die einzige Chance bestand, die Wahl zu gewinnen.
Für den Fidesz-KDNP stimmten nach jetziger Auszählung 53,10 Prozent der Wähler, für die Opposition 35,05 Prozent, für die rechtsextreme Partei Unser Land 6,17 Prozent. Fidezsz-KDNP holte fast alle Wahlkreise auf dem Land, bis auf zwei im Süden Ungarns, in Budapest gewann die Opposition 16 von 18 Wahlkreisen. Während die Opposition 18 Direktmandate einfuhr, gewann Fidesz-KDNP 88 Wahlkreise. Das Parlament hat 199 Sitze. Fidesz-KDNP schickt 135 Abgeordnete ins Hohe Haus. Die Opposition 56, Unser Land 7 und die deutsche Minderheit einen Abgeordneten. Damit dürfte Viktor Orbán nicht nur in den nächsten vier Jahren weiterregieren, sondern sogar mit einer Zweidrittel-Mehrheit.
Der Spitzenkandidat der Opposition, Peter Márki-Zay hat inzwischen seine Niederlage eingestanden, weigert sich aber, Viktor Orbán zum Wahlsieg zu gratulieren. Besonders bitter für ihn: Márki-Zay war auch in seinem Wahlkreis im Komitat Csongrád-Csanád dem Kandidaten der Fidesz, János Lázár, unterlegen. Für Lázár stimmten 52,14 Prozent der Wähler, für Márki-Zay 39,86 Prozent.
Das Problem der Opposition bestand darin, dass außer dem Willen, dass Viktor Orbán abgewählt wird, kein gemeinsames Programm zu erkennen war. Márki-Zoy hatte im Wahlkampf Viator Orbán persönlich für den Krieg in der Ukraine verantwortlich gemacht, und das Oppositionsbündnis plakatierte Bilder, die Orbán zusammen mit Putin zeigten. Wir kennen in Deutschland ein weitaus innigeres Bild von Steinmeier und Lawrow.
Orbán hingegen stellte sich von Anfang an als der Mann dar, der Ungarn durch die unsicheren Zeiten führen wird, der vernünftig und bedächtig vorgeht. Er verdeutlichte, dass Ungarn keine Kriegspartei sei und er alles unternimmt, dass Ungarn in den Krieg nicht mithineingezogen wird, dass man seine humanitäre Pflicht erfüllt, die ukrainischen Flüchtlinge aufnimmt und die Sanktionen mitträgt, doch wird man weder Waffen liefern, noch Waffenlieferungen über ungarisches Territorium zulassen. Er sei der Ministerpräsident Ungarns und habe dementsprechend die nationalen Interessen Ungarns zu vertreten. Auf die Forderung der Opposition, kein Erdgas und kein Erdöl mehr aus Russland zu kaufen, entgegnete er, dass dann die ungarische Wirtschaft stillsteht und zusammenbricht. Gleichwohl legte er einen Plan vor, die Energieabhängigkeit von Russland zu beenden, indem er Atomkraftwerke bauen will und im Bereich der erneuerbaren Energien den Ausbau der Photovoltaik vorantreiben möchte.
Ein Bild, das der Fidesz plakatierte und in Spots zeigte, bildete den Kern der Fidesz-Kampagne. Man sah im Vordergrund den Spitzenkandidaten der Opposition und hinter ihm mächtig, aus dem Dunkeln kommend wie ein Strippenzieher, Ferenc Gyurcsány. Gyurcsány gilt nicht nur als Architekt des Oppositionsbündnisses, sondern auch als der unbeliebteste Politiker Ungarns. Von 2004 bis 2009 war Ferenc Gyurcsány Ministerpräsident. Für Empörung sorgte seine Sozialpolitik, die er auf dem Kongress der Kommunalgemeinden der MSZP 2004 in die Worte fasste: „Wie kann man diese öffentlichen Einnahmen – das werden demnächst so um die 22-23 tausend Milliarden Forint sein – diese öffentlichen Einnahmen so verteilen, zumindest den Anteil, den wir beschlossen haben, von den Menschen wegzunehmen, nicht weil die das so wollen, sondern weil wir die Stärkeren sind, weil die Staatsmacht uns gehört und wir das wegnehmen können, dass das, was wir ihnen wegnehmen, wir wenigstens so verteilten, dass die Mehrheit denkt, dass es so, na ja, so in etwa in Ordnung ist.“
Gyurcsány regierte Ungarn in den Bankrott, was er in einer parteiinternen Rede auch zugab. In der Rede gestand er ein, die Öffentlichkeit jahrelang belogen zu haben, weil er sich Sorgen machte, dass dieses Verhalten nicht länger vor der Öffentlichkeit geheim zu halten ist. Er sagte: „Wir haben das Geheimnis so gehütet, dass wir indessen wussten, und ihr wusstet es auch: wenn der Wahlsieg gekommen ist, muss man danach sehr zusehen, dass wir solche Probleme nie gehabt haben.“ Über seine Arbeit und seiner Gefolgsleute Arbeit sagte er wörtlich: „wir haben’s verfickt“ und äußerte über Ungarn abfällig, dass es ein „Drecksnutten-Land“ sei. Die Empörung über diese Rede, als sie bekannt wurde, führte anlässlich der Gedenkfeiern zum 50. Jahrestag des Volksaufstandes zu Massendemonstrationen, gegen die Gyurcsány brutale Polizeigewalt einsetzte. Im März 2009 gab Gyurcsány seinen Rücktritt vom Amt des Ministerpräsidenten bekannt. Laut Spiegel wird Gyurcsánys Privatvermögen auf „über zehn Millionen Euro“ geschätzt.
Orbán stellte den Ungarn eine einfache Frage, ob sie in die Vergangenheit zurück möchten oder weiter voran in die Zukunft gehen wollen. An dieser Stelle konnte er dann auf seine Bilanz als Ministerpräsident verweisen, die sich sehen lassen kann, auf seine Wirtschaftspolitik, auf seine Arbeitsmarktpolitik und vor allem seine Familienpolitik. Die Förderung der traditionellen Familie, seine Vorstellung: Die Mutter ist eine Frau, der Vater ein Mann und unsere Kinder soll man in Ruhe lassen, teilt die große Mehrheit der Ungarn. Sich darauf beziehend resümierte Viktor Orbán zum Abschluss der heutigen Wahl: „Wir haben die gescheiterte Vergangenheit nicht zurückkehren lassen, wir haben Ungarns Unabhängigkeit und Freiheit, seinen Frieden und seine Sicherheit verteidigt und wir haben unsere Kinder und Familien geschützt.“
Vielleicht ist das der größte Wahlsieg, den Viktor Orbán in seiner politischen Karriere eingefahren hat, dass er haushoch gegen die vereinigte Opposition gesiegt hat. Gestern am späten Abend hielt Orbán eine Rede vor seinen Anhängern, in der er sagte: „Wir sehen ganz gut aus, wir sehen immer besser aus, vielleicht haben wir noch nie so gut ausgesehen wie heute Abend … Wir haben einen großen Sieg errungen. Wir haben so viel gewonnen, dass man es sogar vom Mond aus sehen kann, aber von Brüssel aus ist es ganz sicher.“
Und in Richtung Europa sagte er: „Die ganze Welt konnte heute Abend in Budapest sehen, dass die christdemokratische, die bürgerlich-konservative, die patriotische Politik gewonnen hatte. Wir senden eine Botschaft an Europa, dass dies nicht die Vergangenheit ist, dies ist die Zukunft.“ Über die ausländische Unterstützung der Opposition mit einem Seitenhieb auf Soros spottete Orbán: „Jeder Cent, der der ungarischen Linken gegeben wurde, war Geldverschwendung.“
Der Premierminister sagte aber auch, dass die Welt nicht nur Gegner, sondern auch Freunde habe, sie hätten ein gutes Herz für ihre amerikanischen Freunde, Polen, Italiener, Spanier, Serben und Österreicher. Deutsche nannte er nicht mehr, er, der als letzter Helmut Kohl besuchen durfte.
Man kann es ihm nicht verdenken, die Welt lässt vor der Wahl einen Pamphletisten zu Wort kommen, der Orbán Putinismus unterstellt, die Öffentlich-Rechtlichen insinuierten zu einem Zeitpunkt, als bereits die ersten Zahlen vorlagen, die den großen Abstand zeigten, mit dem Fidesz-KDNP vor der Opposition in Führung lag, dass es knapp werden würde. Wie immer erwartet man in den Mainstreammedien, dass die Wirklichkeit sich nach ihren Gesinnungen richtet – und regiert man äußerst beleidigt, wenn die Wirklichkeit sich das Recht herausnimmt, die Wirklichkeit zu sein.
Unter Helmut Kohl war Deutschland Anwalt der mitteleuropäischen Demokratien und dort geschätzt – nicht zuletzt zum Schaden der deutschen Wirtschaft. Damit hat Angela Merkel radikal gebrochen, in diesem Stil machen auch der deutsche Europapolitiker Manfred Weber und die deutsche Kommissionspräsidentin von der Leyen weiter – eben zum Schaden Deutschlands – Politik.
Heute werden wir mit Sicherheit Dönekes von der angeblichen Benachteiligung der Opposition lesen und man wird wohl wieder über Wahlbetrug schwadronieren. Fest steht hingegen: Viktor Orbán hat die Wahl gewonnen – und zwar haushoch.