Der Truppenabzug der Bundeswehr aus Afghanistan und die folgenden Bemühungen um die Evakuierung der deutschen Ortskräfte und weiterer Afghanen entwickeln sich immer mehr zum Fortsetzungsroman der deutschen Politik. Andere Staaten mit stärkerer Truppenpräsenz konnten die Personen, denen sie sich verpflichtet fühlten, ziemlich rasch ausfliegen. Dagegen tat sich die Bundesregierung zum einen schwer damit, der deutschen Öffentlichkeit zu erklären, wer überhaupt ausgeflogen werden sollte, und stieß zum anderen auch in der praktischen Durchführung immer wieder an Grenzen.
Inzwischen geht es durch die Ausweitung des deutschen Ortskräfte-Begriffs weniger um die Verpflichtungen aus dem jahrzehntelangen Truppeneinsatz als um ein neues Kapitel in der deutschen Migrationspolitik, in dem Kontingente „besonders gefährdeter“ Personen definiert und dann eingeflogen werden. Dass auch dies nicht die „saubere“ Lösung ohne Legalitätseinbußen ist, zeigt sich erst auf den zweiten Blick. Derzeit kann die Bundesregierung die von ihr bestimmten Personen nur über die pakistanische Hauptstadt Islamabad ausfliegen. Dort haben sich inzwischen diverse NGOs angesiedelt, denen man in einigen Fällen mehr als nur eine Nähe zur neuen Regierung, insbesondere zu Grünen und Sozialdemokraten, nachsagen kann.
Besonders heraus sticht die sächsische Migrations-NGO „Mission Lifeline“ mit Gründer und Sprecher Axel Steier, der regelmäßig mit provokanten Wortmeldungen jedes Rest-Vertrauen in die Legalität der NGO-Aktionen untergräbt. Die Rede ist von Passfälschung und Passkauf zur Ermöglichung der Ausreise nach Pakistan.
Nach der Antwort auf eine parlamentarische Frage aus den Reihen der AfD sieht es so aus, dass die Bundesregierung über diese Dinge informiert ist, es aber vorzieht, nicht zu genau hinzusehen. „Augen zu und durch“ würde damit auch offiziell zum neuen Motto der deutschen Migrationspolitik. Die Lage in Islamabad wird so zu einem Sinnbild der sich anbahnenden rot-grün-gelben Einwanderungspolitik, die darauf abzielt, aus irregulärer reguläre, also aus illegaler legale Einwanderung zu machen. Die Frage ist nur, ob das auf Anhieb gelingt.
Gelingt die Transformation der illegalen in legale Zuwanderung?
Dass man es an allen Fronten versuchen wird, daran besteht allerdings kein Zweifel. Ende Dezember kündigte die frischgebackene Außenministerin Annalena Baerbock an, die Ausreisemöglichkeiten für Afghanen erweitern zu wollen. Ein erwartbares Versprechen an ihre grüne Basis, und tatsächlich benutzte Baerbock auch das Wort von den „bürokratischen Hürden bei der Visa-Erteilung“, die fallen sollten. Ihr Parteifreund Erik Marquardt scheiterte mit seiner NGO „Kabulluftbrücke“ an derlei Beamtenbedenken und wetterte seitdem heftig gegen die „deutsche Ministerialbürokratie“.
Sogar mit den Nachbarstaaten Iran, Usbekistan und Tadschikistan will Baerbock sprechen, um weitere Flüge zu ermöglichen. Ein erstaunliches Maß an Realpolitik für die grüne Idealpolitikerin. Aber sie hat ja auch ein hehres Ziel im Sinn: „Über 24 Millionen Menschen brauchen in diesem Winter humanitäre Hilfe, um überleben zu können“, weiß sie von Afghanistan zu erzählen. Da braucht man Verbindungen in die Region.
rgendwo in diesem Bereich liegt vermutlich die Zahl der von deutschen Ministerien anerkannten „Ortskräfte“ – plus den 10.000 Afghanen, die laut Baerbock schon in Deutschland sind. In dieser Zahl verstecken sich laut Auskunft der Bundesregierung allerdings nur 1.600 echte Ortskräfte. Weitere 3.100 seien noch in Afghanistan. Die Listen sind aber laut offizieller Sprachregelung „nicht geschlossen“. So ergibt sich eine potenziell unermessliche Anzahl an „besonders gefährdeten Afghanen und Afghaninnen“, über die die beteiligten Ministerien ganz allein entscheiden konnten.
Das überdehnte Schutzversprechen der alten Bundesregierung wird so von der neuen umgesetzt. Die sogenannte „Zivilgesellschaft“ des alten Afghanistan wird nach Deutschland eingeflogen: „Menschenrechtlerinnen, Künstler, Wissenschaftlerinnen, Journalisten oder andere Menschen, die die Bundesregierung als besonders gefährdet einstuft“ (Die Zeit). Eigentlich müsste es „besonders rettungswürdig“ heißen. Aber das ist nur ein weiterer Mosaikstein der herrschenden Doppelmoral: Die afghanische Oberschicht muss kein Leben unter den Taliban führen, der einfache Afghane eben doch. Der Brain-Drain aus Zentralasien ist zur offiziellen Berliner Politik geworden.
Augenzwinkernder Humor am Rande der Legalität
Aber es gibt auch Probleme: Um Afghanen aus Islamabad nach Deutschland zu fliegen, müssen diese zunächst einmal die afghanisch-pakistanische Grenze passieren. Hier kommen nun die Hilfsvereine ins Spiel, bei denen der Name „Nichtregierungsorganisation“ einen immer faderen Beigeschmack gewinnt. Denn am Beispiel Afghanistan zeigt sich erneut: Es handelt sich um Helfer der jeweiligen Staatsgewalt, die dort in die Lücke springen, wo es für Regierungen heikel würde.
Seit dem Truppenabzug engagiert sich neben der „Kabulluftbrücke“ des Grünen Erik Marquardt auch die gemeinnützige und folglich steuerfreie Mittelmeer-Migrations-NGO „Mission Lifeline“ zwischen Afghanistan und Pakistan. Zur Überwindung dieser Grenze ist den Organisationen, wie schon gewohnt, jedes Mittel recht. So rief der „Mission Lifeline“-Gründer Axel Steier zu Spenden auf, um ausreisewillige Afghanen mit Reisepässen zu versorgen. Die Pässe wurden zum „Kauf“ durch Spenden angeboten: 610 Euro pro Pass.
Daneben suchte Steier sogar explizit nach „Passfälschern“, nicht ohne zu versichern, dass die zu fälschenden Papiere ausschließlich „der Ausreise aus Afghanistan, nicht zur Einreise in die EU“ dienen, was am Ende wohl niemand garantieren oder überprüfen kann. Aber derlei augenzwinkernder Humor am Rande des Gesetzes gehört eben zum Gestus dieser NGO und ihres Gründers.
Steier behauptet aufgrund „eigener Erfahrungen“, es gebe noch 50.000 „Ortskräfte“ in Afghanistan, wobei er den von der Bundesregierung ohnehin mit Fleiß ausgeleierten Begriff noch weiter ausdehnt. Eigentlich nimmt er nur das Verfahren der „offenen Listen“ ernst, das am Ende bedeutet, dass jeder Afghane, den die Bundesregierung für verfolgt hält, zur „Ortskraft“ mutiert. Insofern könnte er in seiner Privatrechnung ebenso gut auf 50.000 wie auf 100.000 oder 500.000 kommen. Dass staatliches Handeln an einheitlichen, nachprüfbaren Verfahren hängt, ist in diesen Kreisen weitgehend in Vergessenheit geraten.
Es geht ihnen um Deutschland – und seine Auflösung
Sein eigentliches Anliegen hat Steier auch im letzten Herbst als „Buntermachen“ der deutschen Gesellschaft benannt. Während seine NGO sich ursprünglich der „Seenotrettung“ im Mittelmeer – also dem Abernten der dort verkehrenden Schlepperboote – widmet, hat er sich nun einen zweiten Arbeitsschwerpunkt in Afghanistan zugelegt. Wen genau er da oder anderswo einschleust, das ist Steier naturgemäß egal. Vor allem will er durch die Ermöglichung von illegaler oder jetzt auch halblegaler Zuwanderung die deutsche Gesellschaft möglichst weitgehend transformieren. Der Ort, an dem er seine NGO gegründet hat, das sächsische Dresden, ist ihm wegen diverser Meinungsverschiedenheiten zuwider. Man ist nicht besonders linksradikal in Sachsen. „Massiver Zuzug“, ja „Umvolkung“ sollen dieses Problem lösen.
Die Nähe der Steier-NGO zu den Grünen ist schon aus ideologischen Gründen unübersehbar. Die grünennahe Heinrich-Böll-Stiftung hat den Film „Die Mission der Lifeline“ gleich mehrfach präsentiert und zum Anlass für Diskussionsveranstaltungen genommen. Bei der „Kabulluftbrücke“ des Europa-Abgeordneten Erik Marquardt ist „grünennah“ schon ein zu schwacher Ausdruck. Marquardt ist Mitglied im Grünen-Parteirat und dürfte damit auch einen direkten Draht zum Parteivorstand haben, den Baerbock mit Robert Habeck führt. Marquardts NGO hat sich inzwischen von der eigentlichen „Luftbrücke“ auf die Evakuierung „über den Landweg“ verlegt und laut eigenen Angaben bereits mehr als 1.100 Afghanen zur Ausreise nach Pakistan verholfen – man darf annehmen, mit ähnlichen Modellen wie Steier.
Nun könnte man sagen: Warum eigentlich nicht Pakistan? Eine Ansiedlung in diesem oder einem anderen Nachbarland Afghanistans erscheint als gute, ja ideale Möglichkeit für Regime-Gegner. So hätte die afghanische Intelligenz die Möglichkeit, in der Nähe ihres Heimatlandes zu bleiben und langfristig auf einen Wandel hinzuarbeiten, was im deutschen Exil eher unwahrscheinlich sein dürfte. Allerdings ist das Ziel der Migrations-NGOs eben – wie im Steier-Tweet angedeutet – ein ganz anderes: Es geht um Deutschland, letzten Endes um seine Auflösung.
Probleme, die der Staat nicht lösen kann, überlässt er anderen
Mit Datum vom 18. November zeigt „Mission Lifeline“ auf ihrer Website Bilder und Texte zur „Flucht auf dem Landweg“ aus Afghanistan. In der Grenzstadt Torcham gebe es „hunderte Meter lange, eingezäunte Gänge zum Durchschleusen“. Da ist das Wort… Tatsächlich geht die Steier-NGO auch mit der Bezeichnung „Schlepper“ seit Langem offensiv um. Neuerdings inszeniert man sich gar wie Mafia-Bosse bei einer Schwarzgeldübergabe, mit großem Augenzwinkern natürlich. Tatsächlich hat die scheinkritische Anti-Partei „DIE PARTEI“ in Sachsen zu privaten Spenden aufgerufen und der Mission Lifeline den doppelten Spendenbetrag zukommen lassen, derart einen Teil der staatlichen Parteienunterstützung weiterreichend.
Bei der Schleusung über die afghanische Grenze fallen angeblich 600 bis 1.200 Euro Kosten an, um die Durchgeschleusten in Pakistan rechtlich zu vertreten und sie finanziell zu unterstützen. Weiterhin steht im Raum, dass man mit dem Geld Pässe gekauft hat oder fälschen ließ. Bald wurde klar, dass auch die Bundesregierung von diesen Vorgängen weiß. Das Auswärtige Amt erwiderte der Deutschen Welle im vergangenen November, dass man „Gerüchte über Möglichkeiten, Pässe zu kaufen“, zur Kenntnis genommen habe. Dann die aufschlussreiche Ergänzung des damals noch von Heiko Maas geführten Ministeriums: „Da sich die Bundesregierung aber an Recht und Gesetz halten muss, können wir den Kauf von Pässen nicht unterstützen.“
Man kann ihn nicht unterstützen, aber hinnehmen vielleicht schon. Regierungssprecher Christofer Burger fand das Engagement von „Mission Lifeline“ und anderer NGOs durchaus „begrüßenswert“. Am Ende gebe es Dinge, die „zivilgesellschaftliche Organisationen“ besser könnten als der Staat. Dass die strikte Unterscheidung von Regierung und Nichtregierungsorganisation so nicht trägt, weiß man seit Längerem. Schon klassische NGOs wie die britische Amnesty International wurden bald nach ihrer Gründung zu einem Instrument der Innen- oder Außenpolitik des jeweils tragenden Staates.
Fraglose Autorität strahlen die Bundesministerien eher nicht aus
In der Antwort auf die parlamentarische Frage des AfD-Abgeordneten Jürgen Braun und seiner Fraktion im Deutschen Bundestag gab die Bundesregierung nun erneut zu, von der „Übernahme der Kosten (Passgebühren)“ durch Mission Lifeline zu wissen. Auf die Frage nach weiteren NGOs, die ähnliche Dienste anbieten, wird lapidar erwidert: „Eine abschließende Liste von Organisationen, die sich entsprechend engagieren, liegt der Bundesregierung nicht vor.“
Abgesehen davon, dass bis dahin von Passkauf (das klingt eher nicht nach einer Gebührenzahlung) und Passfälschung die Rede war, gleicht die Antwort der Regierung damit den Auskünften zu den „offenen“ Ortskräfte-Listen aus dem vergangenen Jahr: Überblick über die Lage in einem ihrer Operationsgebiete ist von dieser Bundesregierung offenbar nicht zu erwarten. Und auch wenn deutsche Behörden nicht für die Verfolgung der mutmaßlichen Delikte zuständig sind, stellt sich die Frage, auf welchen Grundlagen die fortgesetzte Evakuierung von Afghanen über den Flughafen Islamabad ruht und wie sie funktioniert.
Eine ähnliche Diskussion wie zwischen deutschen NGOs und der Bundesregierung fand Ende des Jahres in der BBC statt. Großbritannien hatte mehr als doppelt so viele Truppen in dem zentralasiatischen Land wie Deutschland. Laut einem Whistleblower aus dem Außenministerium versuchten insgesamt zwischen 75.000 und 150.000 Personen, aus Afghanistan nach Großbritannien zu gelangen. Ausgeflogen wurde nur ein Bruchteil, darunter 8.000 Menschen mit afghanischem Pass. Die überwältigende Mehrheit der Anträge kam nicht zum Zuge. Doch kaum jemand verliert ein Wort über die Entscheidungen der britischen Regierung, deren Ermessensspielraum in diesen Dingen beinahe fraglos anerkannt wird.