Tichys Einblick
Berlin: Wasch mich, aber mach mich nicht nass

Opposition in Venezuela beklagt Wahlbetrug. Baerbock kuscht vor dem sozialistischen Diktator

Es wird eng für Maduro, schon stürzen die Statuen seines Ziehvaters Chávez. Das Volk und die meisten Nachbarn haben massive Zweifel an den offiziellen Zahlen. Nur Brüssel und Berlin scheint das kaum zu kümmern. Man bleibt neutral und fordert Transparenz – von beiden Seiten. Die soll nun tatsächlich kommen.

Protest gegen die Wiederwahl von Nicolas Maduro, Caracas, Venezuela, 29. Juli 2024

picture alliance / Anadolu | Pedro Rances Mattey

Vor seinem Präsidentenpalast stand Nicolás Maduro, gehüllt in eine Jacke, die wie eine Fahne des Landes aussah, und verkündete seinen Sieg: „Ich bin Nicolá Maduro Moros, Präsident der bolivarischen Republik Venezuela.“ Doch einer der fünf Rektoren, deren Anwesenheit und Unterschrift erforderlich gewesen wäre, nahm gar nicht an der Veranstaltung teil. Juan Carlos Delpino wurde seit Sonntag nicht mehr gesehen, was so gedeutet wird, dass er der „Auszählung“ durch die Maduro-Getreuen nicht zustimmt.

An anderem Ort stand die Oppositionsführerin Maria Corina Machado und sagte, die Opposition habe Beweise für den Sieg ihres Kandidaten, Edmundo González Urrutia. 73 Prozent aller abgegebenen Stimmzettel besitzt die Opposition demnach in digitaler Form, dank der Mitarbeit vieler Sympathisanten. Unter diesen Stimmen seien aber nur 2.759.256 Stimmen für den Amtsinhaber, aber 6.275.182 für den Herausforderer González. Und der fügte hinzu, sein Vorsprung sei „mathematisch unumkehrbar“. González weiter: „Ich möchte der internationalen Gemeinschaft für ihre Unterstützung danken. Unser Triumph ist historisch.“

Der Rest der Akten wurde von chavistischen Beamten oder Militärs gewaltsam beschlagnahmt, wie die spanische Zeitung El Mundo berichtet. Dabei seien auch „paramilitärische Kollektive der Revolution“ beteiligt gewesen.

Auch die Nachwahlbefragungen (Exit Polls) vom Sonntag hatten González mit mehreren dutzend Prozentpunkten Vorsprung als Sieger gesehen. Die Umfrage des Instituts Meganalisis sah gar 65 Prozent für González und nur 14 Prozent für Maduro. Die überzeugte Marktwirtschaftlerin Machado konnte selbst nicht antreten, weil sie für unwählbar erklärt worden war – ein Wahlausschluss aus fadenscheinigen Gründen. Als Präsident Maduro ihr einst Inlandsflüge untersagt hatte, stieg Machado auf das Motorrad um und kam so im Land herum.

Die Ergebnisse der eigenen Auszählung der digitalisierten Wahlakten will die Opposition bald auch auf einem Webportal veröffentlichen: „Jeder Venezolaner wird in der Lage sein, dieses Portal zu besuchen und das Votum des Ortes zu sehen, an dem er abgestimmt hat.“ Der Nationale Wahlrat (CNE) wirft Machado vor, sich als „Hackerin“ betätigt zu haben.

Landesweite Proteste, Statuen von Chávez gestürzt, ein Toter

Der Vorsitzende dieses Wahlrates, Elvis Amoroso, ein Mann des chavistischen Regimes, nannte Maduros Wahlsieg derweil „unumkehrbar“. Laut Amorosos Zahlenwerk erhielt Maduro 5,15 Millionen Stimmen (51,2 Prozent), während Edmundo González Urrutia, sein 74-jähriger Herausforderer, nur 4,5 Millionen Stimmen erhielt (44,2 Prozent). Maduro sprach vom Versuch eines „faschistischen und konterrevolutionären Staatsstreiches“. Vor dem Präsidentenpalast versprach er „Frieden, Stabilität und Gerechtigkeit“ für seine dritte Amtszeit. Immer mal etwas Neues, könnte man das sarkastisch kommentieren.

Auf den Straßen von Caracas kam es zu Demonstrationen gegen das Regime, zuerst mit Töpfen und Pfannen, wie man sie aus Frankreich kennt. Aber bald schon mussten die Demonstranten hinter Pappschildern Zuflucht suchen. Auf Videos schießen Ordnungskräfte in die Luft, zum Teil auch tiefer. „Er soll die Macht sofort zurückgeben“, riefen tausende Demonstranten, vor allem in den einfachen Vierteln der Hauptstadt. Es kam zu schweren Zusammenstößen mit den Ordnungskräften. Steine flogen. Als sich die Demonstranten der Innenstadt näherten, setzte die Polizei Tränengas ein.

Auch in anderen Regionen des Landes tobt der Aufstand. Dabei kam ein Demonstrant ums Leben, 46 Demonstranten wurden in verschiedenen Bundesstaaten festgenommen, wie der Präsident der Menschenrechtsorganisation Foro Penal, Alfredo Romero, am Montag auf X mitteilte. An mehreren Orten des Landes wurden Statuen des ehemaligen Präsidenten Hugo Chávez gestürzt.

Lateinamerika überwiegend auf Seiten der Opposition

Der chilenische Präsident Gabriel Boric teilte mit: „Das Regime Maduro muss verstehen, dass die Ergebnisse, die es veröffentlicht, schwer zu glauben sind.“ US-Außenminister Antony Blinken bezweifelt das Ergebnis: „Wir befürchten ernsthaft, dass das verkündete Ergebnis nicht den Willen oder das Votum des venezolanische Volkes widerspiegelt.“

Aus Moskau und Peking kamen bereits Glückwünsche für den Amtsinhaber, ebenso aus Kuba, Nicaragua, Honduras und Bolivien, traditionellen Verbündeten von Maduro. Doch die Mehrheit der lateinamerikanischen Länder haben sich anders positioniert. Der argentinische Präsident Javier Milei wählte wie gewohnt deutliche Worte: „Hinaus mit dem Diktator Maduro!“ Argentinien werde keinen Wahlbetrug akzeptieren. „Die Venezolaner haben sich dafür entschieden, die kommunistische Diktatur von Nicolás Maduro zu beenden. Die Daten verkünden einen überwältigenden Sieg der Opposition. Die Welt wartet darauf, dass er nach Jahren des Sozialismus, des Elends, der Dekadenz und des Todes seine Niederlage anerkennt.“ Maduro antwortete laut der Agentur Efe mit einem Kraftausdruck, in etwa: „Feige Wanze, du hältst nicht eine Runde gegen mich aus!“ Milei erwiderte: „Nicht einmal er selbst glaubt an den Wahlbetrug, den er feiert. Die argentinische Republik ebensowenig.“

Daneben riefen Costa Rica, die Dominikanische Republik, Equador, Guatemala, Panama, Paraguay, Peru und Uruguay zu einer „vollständigen Überprüfung“ des Wahlergebnisses unter den Augen unabhängiger Wahlbeobachter auf. Brasilien und Kolumbien forderten nur eine Neuauszählung. Der sozialdemokratische mexikanische Präsident Andrés Manuel Lopez Obrador will das offiziell verkündete Ergebnis anerkennen.

Ähnlich gespalten ist die Lage in Spanien: Während Partido popular und Vox die Wahlfälschung in unterschiedlicher Schärfe kritisieren, haben der Ex-Premier Zapatero und der aktuelle Pedro Sánchez andere Sorgen. Für Sánchez gilt das buchstäblich: Er hat gerade vor Gericht die Aussage zur Korruptionsaffäre um seine Frau verweigert, was er natürlich darf.

Schon 2018 gab es Zweifel an Maduro – Außenamt aalglatt

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell und UN-Generalsekretär António Guterres riefen unisono zur „totalen Transparenz“ auf. Borrell warf sich in die Bresche: „Glaubwürdige Berichte von inländischen und internationalen Beobachtern deuten darauf hin, dass die Wahlen von zahlreichen Mängeln und Unregelmäßigkeiten überschattet wurden.“ Die Protokolle und Ergebnisse der Auszählung müssten vollständig veröffentlicht werden.

Und aus dem Auswärtigen Amt? Gab es abwartende Stellungnahmen. Sebastian Fischer, Sprecher für Außenministerin Annalena Baerbock, vermied es, auch nur die Möglichkeit der „Anerkennung“ eines Wahlsiegers der einen oder anderen Seite zu erwägen. „Wie Sie wissen, erkennen wir Staaten und nicht Regierungen an.“ Es gehe im Moment darum, dass „die Stimmauszählung transparent und die Wahlergebnisse detailliert ausgewertet werden können, auch durch die Opposition, um festzustellen, wer der wirkliche Wahlgewinner ist“.

Diese aalglatte Stellungnahme erinnerte beinahe schon an die Zeiten Genschers. Aber mit diplomatischem Geschick hat sie eben dann doch nichts zu tun. Tatsächlich zeigt sie das Treibhaus, in dem die Berliner Politik „unter der Glocke“ sitzt. Regierungsnahe Medien ergänzen das Bild mit Schlagzeilen, die Maduro schon fast zum Opfer machen. Insgesamt entspricht diese Ausfaltung der ansonsten höchst moralischen Berliner Außenpolitik der Redensart: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass.

Wirtschaftlich steht Venezuela nach der langen Herrschaft von Chávez und seinem Nachfolger Maduro nicht gut da. Die Erdölförderung ist zusammengebrochen, das Inlandsprodukt in zehn Jahren um 80 Prozent gesunken. Das Gesundheits- und Bildungssystem ist hinfällig. Immer mehr Venezolaner wollen ihr Land verlassen. Auch in der EU hat sich die Zahl der „Schutzanträge“ erhöht. Das zeigt, dass auch für Deutschland und die EU einiges auf dem Spiel steht, wenn am anderen Ufer des Atlantiks die falschen Entscheidungen getroffen werden.

Die Regierung Maduro macht natürlich äußere Mächte für die schwierige Lage verantwortlich. Schon nach der letzten Wahl von 2018 hätten vor allem die Vereinigten Staaten ihr Sanktionsregime verschärft und wollten so, mit einer „kriminellen Blockade“, Maduro von der Macht vertreiben. Auch 2018 gab es bereits Vorwürfe des Wahlbetrugs gegen Maduro, Demonstrationen und deren Unterdrückung durch die Machthaber. Auch die EU erkannte – wie die USA – schon diese Wahl nicht an.

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