Tichys Einblick
Europas und Nordamerikas Linke schweigt

Venezuela – Ein reiches Land, vom Sozialismus ruiniert

Venezuela ist in einer existentiellen Krise. Millionen hungern. Es gibt bedauernswerte Kinder, die nur noch Haut und Knochen sind. Private Helfer organisieren Armenspeisungen – doch das Leiden wird immer schlimmer.

Bild: Meals4Hope, Venezuela

Vor zwanzig Jahren kam Hugo Chávez in Venezuela an die Macht, er wurde eine Ikone für viele Linke weltweit. Der ehemalige Fallschirmjägeroffizier übernahm ein Land zwar mit hoher Ungleichheit, das aber dennoch wohlhabend war. Venezuela stand mit dem zweithöchsten Pro-Kopf-Einkommen in der Spitzengruppe in Lateinamerika.

Die Öleinnahmen sprudelten, so konnten Chávez‘ Sozialisten teure Sozialprogramme finanzieren (und auch die eine oder andere Milliarde in die eigene Tasche wirtschaften). Aber die Investitionen wurden vernachlässigt, folglich sank die Ölproduktion. Private Unternehmer und Investoren haben die Sozialisten verschreckt und aus dem Land getrieben. Der Ölpreisverfall vor vier Jahren verschärfte dann eine schon begonnene Krise drastisch.

Um mehr als 40 Prozent ist die Wirtschaft eingebrochen seit 2013, als Nicolás Maduro nach Chávez‘ Tod die Präsidentschaft übernahm. Zudem gibt es eine Hyperinflation. Der Internationale Währungsfonds schätzt sie zuletzt auf 1,35 Millionen Prozent! Das bedeutet, dass die Preise rasend schnell steigen, ein Monatseinkommen ist praktisch über Nacht nichts mehr wert.

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Inzwischen leben mehr als 80 Prozent der Bevölkerung unter der Armutslinie, mehr als 60 Prozent sogar in extremer Armut – so die Schätzungen privater Institute, denn offizielle Statistiken werden nicht mehr veröffentlicht. Das reiche Ölland ist bettelarm geworden. Und die Herrschaft der Sozialisten mutierte unter Maduro immer mehr zu einer harten Diktatur, die brutal gegen die Opposition und Demonstranten vorgeht.

Erstaunlich ist dabei, wie still die europäischen und nordamerikansichen Linken geworden sind, die noch vor nicht allzu langer Zeit Venezuela als Traumland – zumindest als höchst interessantes Experiment – eines scheinbar funktionierenden „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ ansahen. Jetzt hört man kaum noch etwas von der Linken zu Venezuela.

Rund drei Millionen Venezolaner haben laut UN-Angaben ihr Land seit Aufbruch der Krise verlassen, die meisten sind in die Nachbarländer Kolumbien und Peru gewandert. Unter den verbliebenen etwas mehr als 30 Millionen hat sich die humanitäre und wirtschaftliche Krise dramatisch verschärft. Das Leiden der Zivilbevölkerung ist inzwischen kaum noch beschreibbar. Millionen sind schwer unterernährt, besonders Kinder hungern.

„Es gibt Kinder, die vor Unterernährung sterben, die Situation ist dramatisch“, sagt Carolina de Oteyza, Direktorin der privaten Hilfsorganisation Meals4Hope. „Wir sehen mehr und mehr Kinder, die ganz allein sind. Mehr und mehr Eltern geben ihre Kinder weg, weil sie sie nicht mehr ernähren können. Einige verkaufen ihre Kinder. Viele Frauen schaffen es vor Armut oder aus Krankheit nicht mehr, für ihre Kinder zu sorgen.“

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Ein Beispiel ist Natalia, elf Monat alt. Sie wiegt bloß vier Kilogramm – etwa halb so viel, wie für ein gesundes Kind ihrer Größe normal wäre. Wie tausende andere Frauen hat ihre alleinerziehende Mutter das Mädchen nicht mehr versorgen können, sie arbeitet jetzt in einer der illegalen Minen. Natalie kam in eine Versorgungsstation von Meals4Hope in der Stadt San Felix im Bundesstaat Bolivar. In derselben Woche wie Natalia kamen zwölf weitere Kinder, acht davon unterernährt und vier in einem sehr kritischen Gesundheitszustand.

Meals4Hope wurde vor drei Jahren von Venezolanern aus dem Ausland gegründet. Heute liefert die Organisation in Suppenküchen und Notfallzentren an 29 Orten für etwa 1.800 Kinder Essen, Nahrungsergänzungsmittel, Milchpulver sowie Medizin und Pflegemittel. Die Kinder, die dorthin kommen, sind in der Regel verlassen worden und ganz auf sich gestellt. Viele leben auf der Straße.

Offizielle Zahlen des sozialistischen Regierung von Nicolás Maduro über die humanitäre Lage gibt es keine mehr. Maduro hat alle Veröffentlichungen stoppen lassen. Die letzten Zahlen wurden im April 2017 veröffentlicht. Damals hieß es, dass die Kindersterblichkeit in den Geburtskrankenhäusern um 30 Prozent gestiegen sei und dass 66 Prozent mehr Mütter sterben. Zudem gibt es einen gefährlichen Anstieg von Malaria- und Diphterie-Erkrankungen. Eine Woche nach der Veröffentlichung dieser Daten wurde der Gesundheitsminister entlassen. Seitdem gibt es keine offiziellen Berichte mehr.

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Nach Erzählungen von Ärzten und Augenzeugen sind die Zustände in den Krankenhäusern fürchterlich. Es fehlen Medizin, Geräte und Personal. Patienten liegen auf dreckigen Matratzen auf dem Boden. Selbst sauberes Wasser ist in manchen Krankenhäusern Mangelware. Aufgrund von Stromausfällen können die Ärzte nicht richtig arbeiten.

Staatschef Maduro bleibt bei seiner Behauptung, dass es gar keine breite Versorgungskrise und keinen Massenhunger in seinem Land gebe. Dies seien alles „falsche Nachrichten“ der Opposition, um die Regierung zu diskreditieren.

Die Regierung gibt den privaten Hilfsorganisationen keine Unterstützung. Im Gegenteil: Es kam vor, dass Helfer von den regierungsnahen „revolutionären Milizen“ bedroht wurden. Ihre Arbeit wird auch durch ein Gesetz erschwert, das das „Horten“ von Lebensmitteln unter Strafe stellt. Jeder Transport von Hilfsgütern kann damit beschlagnahmt werden. Carolina de Oteyza erzählt all diese Dinge mit Trauer in der Stimme. „Wir bitten die Regierung nicht um Unterstützung, wir bitten nur darum, dass sie uns nicht noch blockiert.“

Trotz aller Schwierigkeiten gibt sie nicht auf. Sie will ihren Landsleuten etwas Hoffnung geben, gerade auch in der Vorweihnachtszeit. Allerdings ist klar, dass solche Initiativen nur ein Tropfen auf den heißen Stein sind in einem Land, in dem Millionen hungern.

Wer möchte, kann hier spenden:
https://www.meals4hope.org/donate

Für 2 Dollar kann eine Suppenspeisung für 30 Kinder finanziert werden, für 10 Dollar gibt es eine ganze Woche lang Mittagessen für sechs Kinder.


Marcela Vélez-Plickert hat lange als Journalistin in Lateinamerika gearbeitet und lebt nun in Frankfurt.

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