Tichys Einblick
Albtraumland

Venezuela als Debakel der Linken

Der Absturz des einst reichen Öllandes ist Folge der sozialistischen Misswirtschaft. Das einstige Traumland der Linken wird zum Albtraumland. Doch bis heute fehlt das Unrechtsbewusstsein.

RONALDO SCHEMIDT/AFP/Getty Images

Es gibt zahlreiche dokumentierte Lobpreisungen von maßgeblichen Linken weltweit für das sozialistische Experiment in Venezuela. „Ich hoffe, dass die Menschen in Venezuela ihren Weg zum Sozialismus des 21. Jahrhunderts fortsetzen können. Ruhe in Frieden, Genosse Chavez!“, schrieb der deutsche Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko von der Linkspartei anlässlich des Tages von Hugo Chávez 2013, der vor zwanzig Jahren an die Macht kam. Der „Comandante“ Chávez war ein Bannerträger des Sozialismus in Lateinamerika, der aber weltweit ausstrahlte.

In ganz Europa gab es begeisterte Anhänger. Zu nennen ist besonders Jeremy Corbyn, der heutige Labour-Parteivorsitzende und britische Oppositionsführer. Corbyn schrieb zu Chávez Tod: „Danke Hugo Chavez, dass Du gezeigt hast, dass die Armen etwas bedeuten und dass der Reichtum geteilt werden kann. Er machte massive Beiträge für Venezuela und eine größere Welt.” Auch der griechische Linkspolitiker Alexis Tsipras und die spanische Podemos-Linkspartei haben große Sympathien für die venezolanischen Sozialisten, Podemos bekam sogar Finanzspritzen aus Caracas.

Corbyn jubelte 2013, dass Venezuelas Führer ihn „inspiriert“ habe für einen „Marsch in eine bessere, gerechte, friedliche und hoffnungsvolle Welt“. Aber schon damals war ersichtlich, dass Chávez Sozialisten die Wirtschaft Venezuelas irreparabel geschädigt hatten. Nur der Anstieg des Ölpreises von 10 Dollar auf zwischenzeitlich mehr als 100 Dollar je Barrel hatte es den Chavistas erlaubt, viel Geld in Sozialprogramme zu stecken. Dagegen wurden produktive Investitionen vernachlässigt und private Unternehmen entweder enteignet oder mit Regulierung und Steuern so schwer belastet, dass immer mehr aufgaben. Schon unter Chávez wurde die Substanz der venezolanischen Wirtschaft gefährlich angegriffen. Milliarden Dollar Öleinnahmen wurden von korrupten Regierungsleuten und Generälen veruntreut, wie zwei ehemalige Chávez-Minister später öffentlich klagten.

Real-Sozialismus in Aktion
Korrupte Linke haben Venezuela geplündert
Unter Chávez` Nachfolger Nicolas Maduro, einem ehemaligen Busfahrer und Gewerkschaftsführer mit Schnauzbart, ist Venezuela in Rekordtempo abgestürzt. Der Verfall des Ölpreises hat die fundamentalen Schwächen offengelegt. Nicht nur der Preis ist abgestürzt, auch die Produktionsmenge schrumpfte rapide, weil der von sozialistischen Führern inkompetent gemanagte staatliche Ölkonzern PDVSA es nicht mehr schafft, das schwarze Gold aus der Erde zu bringen und zu verarbeiten. Die Produktionsmenge ist von gut 3 Millionen Barrel Öl am Tag auf nur noch 1,3 Millionen eingebrochen. Da etwa 90 Prozent der Staatseinnahmen vom Öl abhängen, ist das eine fatale Entwicklung. Importe von Lebensmitteln und Medikamenten können nicht mehr bezahlt werden. Der faktisch bankrotte Staat hat rasend schnell Geld gedruckt, so dass die Inflationsrate inzwischen auf mehr als 1 Million Prozent geschnellt ist. Venezuela war vor zwei Jahrzehnten eines der reichsten lateinamerikanischen Länder, heute ist es eines der ärmsten.

Rund 80 Prozent der Bevölkerung leben inzwischen unter der Armutsgrenze. Millionen Menschen sind unterernährt. Laut einer Studie von drei Universitäten haben die Venezolaner schon im Vorvorjahr im Durchschnitt mehr als zehn Kilogramm Körpergewicht verloren. Seit Ausbruch der Krise sind fast 3 Millionen in Nachbarländer wie Kolumbien, Peru und Brasilien ausgewandert.

Doch nicht alle hungern, eine kleine Schicht von korrupten sozialistischen Politikern, Beamten und Generälen hat sich enorm bereichert. Sie haben Millionen- oder gar Milliardenvermögen angehäuft, besitzen Villen in Miami, fahren protzige Sportwagen, haben Privatjets und ihre Kinder geben auf Instagram mit ihrem teuren Hobbys wie Pferden an.

Nicht nur Öleinnahmen wurden veruntreut, es gibt starke Hinweise, dass ranghohe Sozialisten und Militärs auch in Schmuggel und Drogengeschäfte verwickelt sind. Venezuela ist eine Drehscheibe für den Kokainschmuggel. Chávez langjähriger Vize Tareck El Aissami soll laut US-Ermittlungsbehörden eine „signifikante Rolle im internationalen Narko-Handel“ gespielt haben.

Europas und Nordamerikas Linke schweigt
Venezuela - Ein reiches Land, vom Sozialismus ruiniert
Nicht nur wirtschaftlich haben die Sozialisten das Land zugrunde gerichtet, sie haben auch nach und nach die Demokratie zerstört. Schon unter Chávez gab es Anzeichen dafür, dass Wahlen manipuliert wurden. Regierungskritische Bürger wurden eingeschüchtert. Maduro hat die Repressionen drastisch verschärft. Hunderte Oppositionelle wanderten ins Gefängnis oder stehen unter Hausarrest. Das Verfassungsgericht wurde mit Lakaien der regierenden Sozialistenpartei PSUV besetzt, die demokratisch gewählte Nationalversammlung durch eine Marionetten-Verfassungsversammlung ersetzt. Vor zwei Jahren brachen große Proteste der Bevölkerung gegen Maduro aus, nachdem dieser faktisch das Parlament entmachtet hat. Dabei kamen Dutzende Menschen ums Leben.

Die Polizei, Militär und Milizen schossen erbarmungslos mit Tränengaspatronen in die Demonstranten – so viel Gas wurde verbraucht, dass es zeitweise knapp wurde. Im Sozialismus wurde also sogar das Tränengas zur Unterdrückung der Bevölkerung knapp. Die berüchtigten „bolivarischen“ Milizen auf Motorrädern, die fließende Grenzen zu Drogengangs haben, schüchtern die Bevölkerung ein. Venezuela hat eine der höchsten Mordraten der Welt, im Tagesdurchschnitt werden etwa 75 Menschen umgebracht.

Es ist bezeichnend, dass von den Linken, die Venezuela noch vor kurzem hymnisch lobpreisten, zu den schweren Menschenrechtsverletzungen kaum ein Wort gesagt wurde. Eher kamen wolkige Appelle zum „Dialog“ zwischen Regime und Opposition.

Freiheit ist unteilbar
Venezuela - Das Traumland der Linken am Abgrund
Nun scheint der Moment gekommen, dass die Opposition die Chance hat, Maduro zu stürzen. Der erst 35 Jahre alte Präsident der Nationalversammlung Juan Guaidó hat sich inmitten neuer Massenproteste vergangene Woche zum Interimspräsidenten ausgerufen. Die USA und die Lima-Gruppe mit einem Dutzend lateinamerikanischen Staaten und Kanada sowie einige weitere Staaten haben Guaidó als demokratisch legitimierten Übergangspräsidenten schon anerkannt. Nachdem die USA nun Sanktionen gegen den venezolanischen Ölkonzern PDVSA verhängt haben, könnte der finanzielle Kollaps des Maduro-Regimes schneller gehen als gedacht. Zu Maduro halten noch Russland und China, die in Venezuelas Ölindustrie in den vergangenen Jahren Milliardenbeträge investiert haben beziehungsweise dem Land Milliardenkredite gegeben haben. Außerdem stehen Iran und Erdogans Türkei in Treue fest zu Maduro.

Die EU hat Maduro zwar per Ultimatum aufgefordert, den Weg für Neuwahlen freizumachen, sie konnte sich bislang noch nicht zu einer klaren Unterstützung für den demokratisch legitimierten Guaidó durchringen. Das liegt auch daran, dass einige Regierungen von Linksparteien abhängen und insgeheim noch immer zu Maduros Regime halten. Es ist nicht nur Tsipras in Griechenland. In Spanien hat sich Ministerpräsident Sánchez, dessen Minderheitsregierung von Podemos abhängt, erst nach viel Druck der konservativen Opposition zu Guaidó bekannt. In Italien bezeichnen die linkspopulistischen „Fünf Sterne“ das Ultimatum an Maduro dagegen als Fehler. Und die deutsche Linkspartei eiert herum; sie keift stärker gegen die USA als gegen das blutige Regime in Caracas. Die SED-Erben vermeiden eine klare Distanzierung vom Maduro-Regime. Den Aufstand der unterdrückten Opposition in Venezuela nennen sie einen „Putsch“.

Der nicht nur ökonomische, sondern auch moralische Bankrott der Sozialisten in Venezuela wird damit zum Debakel all jener, die in dem Land vor noch nicht langer Zeit ein großes Vorbild sahen. Wieder einmal zeigt sich, dass Sozialismus nicht nur materielle Not bringt, sondern auch in die Unfreiheit führt.


Marcela Vélez-Plickert hat anderthalb Jahrzehnte als Journalistin für verschiedene lateinamerikanische Medien und TV-Sender gearbeitet und ist heute freie Korrespondentin in Frankfurt.

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