Tichys Einblick
Trump: Ruhe, Recht und Ordnung

USA: Bundeseinsätze einst und heute

Ende Juli schickte Trump nach Portland Bundespolizei nach Chicago, Albuquerque und Kansas City, um auch dort für Ruhe, Recht und Ordnung zu sorgen. Die drei Worte könnten sich als zentral für Trumps Präsidentschaftswahlkampf herausstellen.

Portland , Jul 26th 2020

imago images / ZUMA Wire

In den USA geht die Erinnerung an wichtige Verfassungstraditionen verloren
Wie gingen die Vereinigten Staaten einst, wie gehen sie heute mit Unruhen um? Ein Abgleich mit der jüngeren Geschichte zeigt eine Kluft, die tiefer nicht sein könnte. Verloren ging darüber vor allem ein Wert: die Zentralität überparteilicher Einigungen für die alte USA.

Donald Trump hat sich dazu bekannt, die Bundespolizisten (kurz »Feds« genannt) auch weiterhin in Portland zu belassen, bis »die örtliche Polizei« dort »vollständig mit Anarchisten und Agitatoren aufgeräumt« hat. Ende Juli schickte er zudem Beamte verschiedener Bundespolizeien nach Chicago, Albuquerque und Kansas City, um auch dort für Ruhe, Recht und Ordnung zu sorgen. Die drei Worte könnten sich als zentral für Trumps Präsidentschaftswahlkampf herausstellen, zumal wenn der amerikanische Sommer sich in dieser Weise fortsetzt, vielleicht sogar bis in den Herbst.

Wie absurd dabei die Kritik an Trump ist, erweist ein kurzer Blick auf die »üblichen Verdächtigen«: Zur Washington Post und New York Times muss man inzwischen leider auch den Economist und die BBC, die einst die unparteiliche Berichterstattung »erfand«, zu denselben zählen.

Führend musste natürlich das neue Zentralorgan der sinnentleerten Wokeness sein: In der New York Times präsentierte Emily Badger einen historischen Rückblick auf Bundestruppen-Einsätze, der unterkomplexer nicht hätte sein können. Was sie gegen Trump fand, waren tatsächlich nur die Brosamen einer ernsthaften Regierungskritik. Ihr Hauptargument – wenn es denn eines wäre – scheint zu sein, dass Trump, anders als seine Vorgänger, einen stark vergrößerten Apparat von Sicherheitskräften einsetzt, die immer mehr militärischen Truppen ähnelten. Doch der Präsident hat diese Truppen keineswegs selbst geschaffen. Die stets negative Trumpologie ergibt schon hier kaum einen Sinn. In diesem Fall ist sie wohl eher ein nachträglicher Angriff auf den Ausbau des Heimatschutzes im Gefolge von 9/11.

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Wenn Badger schon hier (die letzten zwanzig Jahre betreffend) von ihrem inexistenten historischen Scharfblick getrogen wird, so geht sie völlig fehl, wenn sie über Fernerliegendes spricht. Beim Rückblick auf die älteren Truppeneinsätze verschweigt sie, dass es meist und zum größten Teil militärische Truppen waren, die die verschiedenen Präsidenten der Vereinigten Staaten in der Vergangenheit entsandten, um urbane Unruhen zu stoppen. So schickte George H. W. Bush im Mai 1992 die 40th Infantry Division sowie 2.000 Soldaten der 7th Infantry Division und 1.500 Marines nach Los Angeles. Insgesamt rückten damals 13.500 Soldaten in die Stadt ein, freilich auf die Anforderung des republikanischen Gouverneurs hin und mit dem Einverständnis des demokratischen Bürgermeisters Tom Bradley (übrigens ein Schwarzer, der die Stadt 20 Jahre lang regierte).

Vierundzwanzig Jahre früher, nach der Ermordung Martin Luther Kings im Jahr 1968, standen der lokalen Polizei in Washington D.C. unruhige Massen von bis zu 20.000 Personen gegenüber. Die Polizei des Hauptstadtdistrikts zählte nur 3.100 Mann. Ohne die 1.750 Männer der Nationalgarde und zuletzt an die 12.000 US-Army-Soldaten wäre man hilflos gewesen. Auch in Baltimore rief der republikanische Gouverneur von Maryland nach föderalen Truppen und bekam 5.000 Fallschirmjäger, Pioniere und Artilleristen des XVIII Airborne Corps. Die Stadt Chicago, der dritte Brennpunkt des damaligen Geschehens, erhielt Unterstützung durch 10.500 Polizisten, 6.700 Angehörige der Nationalgarde und 5.000 reguläre Soldaten der US-Streitkräfte.

»Burn, baby, burn!«, oder der Ursprung der neueren Unruhen

Doch auch Los Angeles hatte schon in den sechziger Jahren schwere Unruhen gesehen. Die sogenannten Watts Riots von 1965 waren die ersten in einer Serie von Unruhen, in denen die Schwarzen rebellierten und so vielleicht auch ihre Gleichberechtigung erzwingen wollten. Der Spiegel berichtete von diesen Unruhen, die unter dem demokratischen Präsidenten Lyndon B. Johnson ausgebrochen waren, mit dem heute in vielerlei Hinsicht inakzeptablen Titel: »Der häßliche Neger« (25. August 1965).

Im Farbigenviertel Watts brachen damals Unruhen aus, kurz nachdem Präsident Johnson den Civil Rights Act unterzeichnet hatte, in dem den Schwarzen nicht nur das gleiche Wahlrecht wie den Weißen zugesichert, sondern auch die bis dahin legale Segregation beendet wurde. Doch diese Anstrengung zur Gleichberechtigung setzte anscheinend mehr und anderes frei, als man sich erhofft hatte. In dem historischen Spiegel-Bericht dominiert das infantile und unreife Element: »Selbst kleine Kinder wüteten wie wilde Tiere«, zitiert der Autor die Londoner Times. Achtjährige betranken sich, junge Mädchen forderten den Tod von »Whiteys«, das heißt, von Weißen.

»Tötet, tötet, tötet!« und »Burn, baby, burn!« wurden zu Schlachtrufen eines entfesselten Mobs, dessen Vertreter der anonyme Spiegel-Autor als neuen »Typus Neger« beschreibt, den er bis dahin nur aus den fanatischen Beschreibungen des Ku-Klux-Klan gekannt habe: »den tierischen, unberechenbaren, bösartigen Schwarzen – den häßlichen Neger«. Würde heute ein solcher Text erscheinen, ginge man zu Recht von einem schweren Fall rassistischer Voreingenommenheit aus.

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Doch der Autor entwickelt sein Nachdenken noch weiter und hält jenen Typus für das »Endprodukt eines jahrzehntelangen negativen Auslese-Prozesses in den Großstadt-Slums des amerikanischen Nordens und Westens«. Die »negative Auslese« würde unter anderem durch die zerrütteten Familienverhältnisse in den Slums ausgeübt. Daegen blieb der ländliche Süden, wo die Schwarzen die »Fesseln der Diskriminierung« hinter sich gelassen hätten, von Unruhen verschont.

Auch das systematische Plündern gehörte schon damals zum Geschäft einer aufmuckenden Bevölkerungsschicht, die sich seit langem unterdrückt wusste. Von einer »Blut- und Brand-Orgie« schreibt der 1965er Spiegel, auf deren Höhepunkt sich die Gewalt gegen jeden gerichtet habe, der dem Mob im Weg stand. Am Ende wusste auch der »Negerführer und Friedensnobelpreisträger Martin Luther King« keinen anderen Rat mehr und verlangte, den Aufstand mit »voller Polizeigewalt« niederzuschlagen.

Umstritten war zu jener Zeit ein kalifornisches Gesetz, das die Diskriminierung von Wohnungsvermietern oder -verkäufern gegen Schwarze verbot. Es wurde zunächst auf Vorschlag einer Bürgerinitiative hin aufgehoben, zwei Jahre später kassierten erst der California Supreme Court, dann der US Supreme Court diese Aufhebung.

Ein »Slum-Report« – so wieder der Spiegel – hatte im Frühling des Jahres 1964 »das volle Ausmaß der dort lauernden schwarzen Gefahr« aufgedeckt, die aus »Armut und Wohnungselend« hervorging. Anscheinend hatte das offizielle Amerika sich zuvor kein Bild davon gemacht. Ein hoher Anteil an unehelichen Kindern und die hohe Scheidungsrate bewirkten im Verbund, dass viele junge Schwarze in einem »vaterlosen Elternhaus« aufwachsen. Die allgemeine Demoralisierung der Schwarzen und hohe Kriminalität gingen Hand in Hand. Anscheinend hat sich vieles nicht grundlegend geändert in einigen Teilen der amerikanischen Gesellschaft, während der letzten 55 Jahre.

Die geschwundene Bereitschaft zum Hilferuf

Es ist also gar nichts Neues, wenn Trump und seine Parteigänger auf die Idee kamen, dass föderale Truppen bei der Kontrolle der derzeit schwierigen Situation hätten helfen können. Nein, es war ein ziemlich altväterlicher Gedanke, der in den USA nichts mit einer Überschreitung des Rubikon zu tun hat, weil er schlicht zur Verfassungstradition zählt. Doch wenn der aktuelle US-Präsident im Grunde die gleiche Aussage macht wie King damals, spricht der heutige Spiegel lieber von »Faschismus fürs Fernsehen«. Auch wird von einer »Wall of Moms« berichtet, die sich offenbar ausgerechnet vor dem Justizgebäude von Portland aufstellen müssen, um friedliche Demonstranten vor den Feds zu »schützen«.

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Das Neue, das man in der Tat feststellen kann, ist der Streit über die Entsendung der föderalen Aushilfspolizisten. Denn es waren nicht Soldaten auf dem Feld der Ehre, die George H. W. Bush 1992 mit dem Einverständnis der örtlichen Autoritäten entsandte, sondern eben föderale Truppen als Aushilfspolizisten. Das Neue von heute ist der Mangel an Absprache und Dialogwillen zwischen den Gouverneuren, den Städten und der Bundesregierung. Das Neue ist auch ein Mangel an Kooperation zwischen den beiden Parteiblöcken und die Fehde zwischen den demokratischen Amtsträgern und Donald Trump.

Oder um es mit der New York Times zu sagen: »Die heutige Situation unterscheidet sich merklich vom Jahr 1968, als lokale Autoritäten sich Bundestruppen erbaten, um die Ordnung in Washington, Chicago und Baltimore wiederherzustellen, weil sie glaubten, das nicht selbst zu können.« Auch heute sind die Städte offenbar von der Gewalt auf den Straßen überfordert. Geschwunden ist allein ihre Bereitschaft, dies auch zuzugeben und Bundeskräfte anzufordern.

Konservative Erinnerungsqualitäten des Donald J. Trump

Auch die letzte krittelnde Anmerkung der New York Times liegt zumindest quer zu den Ereignissen von heute wie damals. In den früheren Fällen eines Einsatzes von Bundestruppen sei es nicht um jene Mischung aus dem Schutz föderaler Einrichtungen, der Wiederherstellung der allgemeinen Ordnung und der Bekämpfung von Kriminalität gegangen, heißt es da in Badgers Artikel. Diese Behauptung fälscht die Geschichte, wie ausgerechnet der 1965er Spiegel – heute das rote Partnerblatt der »Gray Lady« – uns zeigen kann.

Zwar rief Martin Luther King 1965 nach einer polizeilichen Niederschlagung des Aufruhrs in Los Angeles, aber die Sammlung guter Gründe für einen nachhaltigen Eingriff der Sicherheitskräfte war damals dieselbe wie heute: Wiederherstellung der Ordnung, Vermeidung von Plünderungen und Kriminalität, Schutz der Infrastruktur, sicher auch von Bundeseinrichtungen. Der einzige Unterschied zwischen den beiden Zeiten besteht darin, dass damals praktisch alle Politiker, egal welcher Couleur, nach militärischen Truppen riefen, während Trump heute in seinem Traum von »Recht und Ordnung« alleine dasteht und daher gezwungen ist, Polizisten und andere Sicherheitskräfte zu schicken. Der aktuelle Konflikt sagt also sehr viel über das Auseinanderdriften der beiden Parteien im Lande, der beiden Amerikas aus. Doch daneben sagt es auch etwas über die konservativen Erinnerungsqualitäten des Donald J. Trump.

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