Tichys Einblick
Babymilch-Krise

USA: Biden will Babymilch einfliegen lassen – mit Hilfe eines Verteidigungsgütergesetzes

Die Babynahrungskrise in den USA hält an. Joe Biden versucht, ihr mit Wirtschaftslenkung und einer Flugbrücke zu begegnen. Die Nerven bei vielen Eltern liegen blank – es zeigt sich eine nervöse Gesellschaft, die nicht weiß, ob Krankheiten oder gerissene Lieferketten mehr zu fürchten sind.

IMAGO / NurPhoto

In den USA ist Babynahrung derzeit ein knappes Gut. Vor allem fehlt Milchpulver für Säuglinge in vielen Supermarktregalen. Betroffene Eltern suchen verzweifelt nach letzten Restbeständen, auch über Staatsgrenzen hinaus. Der Engpass führt – fast schon natürlich – zu Spekulationen, ob auch diese Krise gewollt ist. Denn zugleich wird die Natürlichkeit des Stillens seit geraumer Zeit in Frage gestellt, vermutlich um Werbung für neue künstliche Ersatzprodukte zu machen, aber auch mit dem absurden Argument, dass Menschen, die auf das Gesundheitsförderliche des Bruststillens hinweisen, eventuell die Impfskepsis junger Eltern fördern. Gemeint ist wohl die Skepsis gegenüber den traditionellen Vorsorgeimpfungen, nicht die gegenüber den neuartigen mRNA- oder Vektorimpfstoffen.

Joe Biden wendet nun sogar das Verteidigungsgütergesetz (Defense Production Act) aus dem Jahr 1950 an, das zu Zeiten des Koreakriegs beschlossen wurde. Das Gesetz kam allerdings auch in den Pandemie-Jahren zur Anwendung, um der US-Wirtschaft die Produktion von Beatmungsgeräten und Gesichtsmasken zu diktieren. Auch die einmalige Beschlagnahmung von 600 Beatmungsgeräten aus China, die eigentlich nach Brasilien geliefert werden sollten, im April 2020 war durch das Gesetz möglich.

Nun ist es also eine Babymilch-Krise, die den US-Präsidenten zu derart weitreichenden Eingriffen in die Privatwirtschaft veranlasst. Sichergestellt werden soll, dass die Hersteller von Babymilch alle nötigen Zutaten bekommen. Sie müssen bevorzugt beliefert werden. Daneben soll eine Luftbrücke helfen und Babynahrung aus dem Ausland in die Staaten einfliegen. Kommentatoren wunderten sich, dass es an der polnisch-ukrainischen Grenze offenbar keine Knappheit gebe, obwohl viele tausende Mütter dort Schutz vor dem Krieg gefunden haben.

Ursache: Mangelnde Hygiene im Babymilchwerk

Man könnte die Betätigung des Kriegsgütergesetzes kurios finden und sich Zukunftsszenarien ausmalen. Bald droht vielleicht auch uns eine Hipp-Krise, auf die Anfangsmilch-Depesche folgt dann der Waffengang um die Folgemilch. Aber dass die Sache für viele Eltern und Kinder relativ ernst ist, muss nicht erklärt werden, auch wenn es natürlich die Frage gibt, ob es wirklich immer künstliche Babymilch sein muss. Aber manche Eltern sind darauf, aus den unterschiedlichsten Gründen, angewiesen. Angeblich greifen arme Eltern viel stärker auf künstliche Milchprodukte zurück als wohlhabendere, was mit der höheren Arbeitstätigkeit der Geringverdiener zu tun haben dürfte.

Die Ursachen der Krise haben dabei weder direkt mit Covid noch mit Krieg zu tun. Abbott Nutrition, der wichtigste Babynahrungs-Hersteller mit einem Marktanteil von früher 40 Prozent, musste Anfang des Jahres mehrere Produkte wegen mangelnder Hygiene zurückrufen. Im Februar waren vier Säuglinge gestorben, vier weitere erkrankten. Das führte zu Ermittlungen der Nahrungs- und Arzneimittelbehörde FDA (Food and Drug Administration) in einer Abbott-Fabrik in Michigan, wo man Cronobacter-Zellen fand. Der Erreger kann Säuglingen gefährlich werden, auch wenn Infektionen extrem selten sind.

Merkwürdigerweise war es nicht das erste Mal, dass das Bakterium im Abbott-Werk gefunden wurde. Schon 2019 und 2020 hatte man Spuren davon dort gefunden. Auch der Fund vom Frühjahr führte nicht zu sofortigen Maßnahmen der Food and Drug Administration. Erst als durch Indiskretionen klar wurde, dass der Pharma-Riese Abbott versuchte, die Behördenmitarbeiter an der Nase herumzuführen, und man bei weiteren Kontrollen erneut Cronobacter fand, wurde das Werk geschlossen.

In zwei Wochen soll es unter Auflagen wieder geöffnet werden. Bei neuen Verstößen drohen Geldstrafen in Millionenhöhe. Doch auch wenn die Fabrik wieder anläuft, wird es noch Wochen – laut Abbott: fast zehn – dauern, bis neue Waren von dort ausgeliefert werden. Abseits dieser Vorkommnisse war es schon im letzten Jahr zu Lieferengpässen aufgrund der Corona-Maßnahmen und der resultierenden Handelshemmnisse gekommen.

Die nervöse Gesellschaft

Beruhigende Worte der Präsidentengattin Jill Biden, die inzwischen an vielen Stellen eine ordnende Hand walten lässt, verfingen nicht bei allen. Eltern mit kleinen Kindern sind eine eher anspruchsvolle Wählerklientel, die sich nicht mit tröstenden Worten zufriedengeben können und wollen, sondern Lösungen für ihre Probleme brauchen. Das gilt für alle Menschen, aber wenn es um Kinder, um Neugeborene gar geht, erhöht das gewöhnlich den Druck. Manche sprachen von Desinformation, nachdem die First Lady behauptet hatte, ihr Mann „arbeite rund um die Uhr“ an einer Lösung der Krise. Auch diese Kritik lässt sich auf vielerlei Weise lesen.

Es fällt auf, wie vorsichtig auch praktizierende Ärzte sind, wo es darum geht, Stillmilch, die auf natürlichem Wege entstanden ist, zu empfehlen. Krankheiten könnten so übertragen werden. Stattdessen wird Eltern ein alternatives Milchprodukt empfohlen, das meist gut vertragen würde, auch wenn einige Eltern von allergischen Reaktionen berichten. Babymilch sei so strikt reguliert wie ein verschreibungspflichtiges Medikament. Insgesamt erinnern Teile der Diskussion an eine neurotische Gesellschaft, die fast jedes Vertrauen in die Natur verloren hat. Immerhin: In Notfällen könnten Ärzte Hilfe bieten.

Eine Mutter aus Iowa, Andrea Heidenreich mit Namen, hatte keine Selbstzweifel dieser Art und spendete über 170 Liter (45 Gallons) Eigenmilch an eine große Milchbank in Iowa. Glücklicherweise produzierte ihr Körper mehr Milch, als sie selbst brauchte.

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