Tichys Einblick
Trump vs. Biden

US-Präsidentschaftswahl: Das Rennen ist offen

In den deutschen Medien steht Trump schon als Verlierer fest – vor allem wegen Corona. Die Wirklichkeit ist etwas komplexer. Zumal der wahrscheinliche Herausforderer Biden vor allem durch Peinlichkeiten auffällt.

imago images / ZUMA Wire

Wer der Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und der größeren deutschen Medien über den US-Wahlkampf folgt, könnte zu dem Schluss kommen, dass die Wahl des Demokraten Joe Biden im November 2020 kaum noch zu verhindern ist. In gut sechs Monaten fällt die Entscheidung zwischen ihm und Donald Trump. Wo die Sympathien der meisten Journalisten in Deutschland liegen, wird in fast jedem Bericht über den US-Präsidenten deutlich, erst recht in der Covid-19-Krise.

In den meisten deutschen Medien sind die Fehltritte des demokratischen Herausforderers kein Thema. Dafür wird im Tagestakt berichtet, was Trump alles falsch macht. Bei den hiesigen Medien gibt es keinen Zweifel an Bidens Triumph.

Auf tagesschau.de begrüßt US-Korrespondent Klaus Scherer das Virus schon als „game changer“, der die Verhältnisse endgültig zugunsten der Demokraten kippt:

„Steigt da etwa einer aus seinem Umfragetief empor wie seinerzeit Gerhard Schröder nach der Elbeflut? Die Überschwemmungen hatten Schröder zuerst Fernsehbilder als Held auf der Deichkrone beschert – und danach die Wiederwahl als Bundeskanzler.“

Ex-Vizepräsident Joe Biden gilt Scherer als idealer Krisenmanager:
„Nachdem Joe Biden als Herausforderer so gut wie feststeht, tun die Demokraten gut daran, Amerika täglich aufs Neue vorzuführen, wie sich die Alternative zu Trump anfühlen könnte. Mal wieder ein geerdeter Teamplayer, mal wieder ein Zuhörer? Denn viel spricht noch immer dafür, dass Trump das nie können wird.“

Auch die Welt berichtet von einer praktisch schon gelaufenen Wahl:
„Laut den jüngsten Meinungsumfragen würde Joe Biden – der demokratische Präsidentschaftskandidat – Donald Trump mit fünf Prozent Vorsprung besiegen, wenn jetzt Wahlen wären (47 zu 42 Prozent). Dabei befinden wir uns noch mitten in der Corona-Pandemie, die keineswegs unter Kontrolle gebracht wurde. Das Ausmaß des Desasters ist also noch gar nicht abzusehen. Und das wichtigste Argument, das bisher für Trump zu sprechen schien, nämlich die starke Konjunktur (die Trump aus der Ära Obama geerbt hatte), ist über Nacht verschwunden: 22 Millionen Amerikaner haben sich arbeitslos gemeldet. Die Wirtschaft“, so die Welt mit triumphierendem Unterton, „steht vor einer Jahrhundertkatastrophe.“

Vor dem Kontrast der deutschen Berichterstattung fällt es auf, dass selbst sehr Trump-kritische Medien in den USA die Chancen von Biden und Trump viel vorsichtiger beurteilen. Die Seite FiveThirtyEight sammelt alle Wahlumfragen – und dort zeichnet sich ein leichtes Übergewicht für Biden ab, aber keine klare Führung.

Für den 19. und 20. April führt FiveThirtyEight insgesamt sieben Umfragen an. Die Mehrzahl sieht Biden mit einem Vorsprung von sieben bis 13 Prozent, zwei Umfragen eine Führung von Trump von 11 bis 13 Prozent. Ein Sieg bei der absoluten Stimmenzahl allein würde Biden im November nicht unbedingt reichen – den hatte auch Hillary Clinton 2016 davongetragen. Die Präsidentschaftswahl entscheidet sich an den Wahlmännerstimmen, deren Mehrheit in den einzelnen Staaten gewonnen wird. Und dabei wiederum spielen die Battlefield States die wichtigste Rolle, die Bundesstaaten, in denen Republikaner und Demokraten so nah beieinanderliegen, dass oft nur einige tausend Stimmen über Sieg und Niederlage bestimmen. Die New York Times, eine Zeitung, die alles andere als Trump-freundlich ist, veröffentlichte am 13. April eine Analyse unter der Überschrift: „Warum Bidens Führung in den Umfragen nicht so solide ist, wie sie aussieht“.

Screenshot: nytimes.com

Das Blatt weist auf die Unsicherheit der Swing-Staaten hin – und auf den Umstand, dass Trump nach wie vor einen starken Zuspruch unter weißen Arbeitern genießt, anders als Biden: „Der Präsident beginnt seine Kampagne mit starker Unterstützung der weißen Arbeiterklasse, die seinen überraschenden Sieg vor vier Jahren vorangetrieben hatte. Er führt unter weißen Arbeitern ohne College-Abschluss mit 61 zu 31 Prozent in Life-Umfragen, die seit dem 15. März geführt worden, und stellt damit die Marge von 2016 im Wahlkampf gegen Hillary Clinton ein oder übertrifft sie sogar.“

Bis jetzt jedenfalls sehen die klassischen Industriearbeiter, obwohl von der Wirtschaftskrise durch Corona hart betroffen, in Trump eher denjenigen, der die ökonomische Lage auch rasch wieder verbessern kann.

Das Rennen ist also noch offen, anders, als es die meisten deutschen Medienberichte glauben machen.

Dazu kommt: Trump unterschätzte zwar am Anfang das Corona-Virus (wie auch die europäischen Administrationen einschließlich der Bundesregierung). Wichtige demokratische Politiker verharmlosten SARSCoV-2 allerding noch viel länger. Am 13. März, dem Tag, an dem Trump den Flugverkehr aus der EU stoppte, meinte New Yorks Bürgermeister Bill de Blasio noch, die Leute sollten „mit ihrem Leben weitermachen“, und lehnte harte Eindämmungsmaßnahmen für die Millionenstadt ab. Noch am 16. März ging de Blasio demonstrativ ins Fitnessstudio, um zu zeigen, dass er von social distancing wenig hielt. Dafür zahlt die Stadt jetzt einen horrenden Preis: etwa die Hälfte der Covid-19-Toten in den USA sterben in Stadt und Staat New York.

Ein weiteres Problem der Demokraten heißt: Joe Biden. Je länger der Wahlkampf läuft, desto mehr fällt der 77jährige durch verbale Ausfälle, massive Wortfindungsstörungen und bizarre Videoauftritte auf, die Zweifel an seiner mentalen Gesundheit wecken. Kürzlich quälte er sich im Fernsehen durch den eigentlich simplen Hinweis auf das War Production Board von Präsident Franklin D. Roosevelt, mit der die Regierung seinerzeit die Produktion wichtiger Güter steuerte. Bei Biden klang das so:

„Um, you know, there’s a, uh, during World War II, uh, you know, where Roosevelt came up with a thing, uh, that, uh, you know, was totally different than a- than the- it’s called, he called it, the, you know, the World War II, he had the war- the the War Production Board.“

Vor einigen Wochen entfiel ihm der Text, als er bei einer Veranstaltung versuchte, Artikel eins der amerikanischen Verfassung zu zitieren. Er meinte dann, seine Zuhörer würden den Text ja kennen: „You know the stuff.“ Bei einer anderen Gelegenheit sprach er von 150 Millionen Schusswaffenopfern in den USA, er vertat sich also etwas bei den Nullen. In New Hampshire beschimpfte er bei einer Wahlveranstaltung eine Studentin, die ihm eine kritische Frage nach seinen Wahlchancen stellte, immerhin originell: „Du bist eine verlogene hundegesichtige Pony-Soldatin“.

Bei einer anderen Kampagnenveranstaltung stellte er sich als Ehepartner von Joe Biden vor („I’m Joe Biden’s husband“). Aus seinem Heim meldete er sich kürzlich per Video, um zu erzählen, wie ihm ein Familienvater telefonisch sein Problem schilderte, der wegen der Covid-Quarantäne jetzt im Krankenhaus liege und seine Kinder nicht sehen könnte. Der erste Teil von Bidens Vortrag war noch klar. Dann folgte allerdings eine lange Passage, in der er nicht nur Satzenden vernuschelte, sondern vorübergehend auch die englische Sprache zu verlassen schien („he’s worried about his wie“). Am Ende beschimpfte er Trump. Im Transkript liest sich das folgendermaßen:
„So we spent time going through it [slurp], I used to do with my kids when they were little and I couldn’t see them and we’d play games. I said, ‚Knock, make up a game, knock, knock on the door and say this is, you know [Schlürfgeräusch, unverständlich] This is practical things, the guy’s scared to death. And he’s worried about his children, he’s worried about his wie [sic]. I mean, these are practical things. And the president talks about this like, „Ok, it’s gonna be Ok. We’re gonna open… tomorrow. We’re gonna do this.“I mean, it just, I must tell you, it drives me crazy. I don’t know what he doesn’t understand.“

Selbst Journalisten rätselten anschließend: was hatte der Mann, der einmal Vizepräsident war und von November an bis 2024 regieren will, eigentlich über seine Kinder und das Klopfen an der Tür erzählen wollen?

Dazu kommen irritierende Szenen, in denen Biden in der Öffentlichkeit immer wieder Frauen und auch Mädchen in einer – um es vorsichtig zu sagen – unüblichen Weise berührt. Bei einer Bühnenveranstaltung küsste er seine Enkelin nicht, wie es üblich wäre, auf die Wange, sondern auf den Mund. Trumps Wahlkampf-Team hängte dem Demokraten schon vor längerer Zeit den Spottnamen „Groper in Chief“ an, die Trump nicht zugetane Washington Post titelte 2015 mit „What are we going to do about Creepy Uncle Joe Biden?“

Viele demokratische Wähler sehen darüber hinweg, ebenso Journalisten wie auch Metoo-Aktivistinnen. Für sie ist Biden allerdings niemand, der Begeisterung entfacht wie Obama 2008, sondern das kleinere Übel. Die Frage ist, ob das am Ende als Qualifikation reicht.

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