Chris Wallace ist ein journalistisches Schwergewicht vom grundsätzlich Trump-nahen Fernsehsender Fox News. Wenn Trump auf seinem Sender spricht, zeigt er auch schon mal ein wissendes Lächeln, wie wenn er die Ausgebufftheit des Präsidenten bewunderte. Nun moderierte er die erste Debatte zwischen den diesjährigen Bewerbern um die Präsidentschaft, die gestern Nacht in Cleveland im Bundesstaat Ohio stattfand.
Wie immer bei solchen Formaten folgte auch diese Debatte einer strengen Choreographie. In jedem Themenblock hatten die beiden Kandidaten zunächst ein je zweiminütiges Statement. Danach sollte eigentlich eine freie Diskussion folgen, die aber im Laufe des Abends kaum in Gang kam. Aus welchen Gründen, wird zu sehen sein. Die Fragen jedenfalls kannte angeblich keiner der beiden Kandidaten im Voraus. Applaus von den wenigen Studiogästen gab es nur am Anfang und am Ende der Veranstaltung. Ein Handschlag zwischen den Kandidaten war nicht vorgesehen. Die beiden traten also einfach an ihre Pulte, wechselten noch kurz Grußformeln, und es konnte losgehen.
Es war der Beginn einer Transformation für beide Kandidaten. Trump begann die Debatte souverän-staatsmännisch und ärgerte sich in ihrem Verlauf immer öfter über seine beiden Gesprächspartner, wurde zum Rebellen. Biden begann konzentriert und wurde dann langsam, aber sicher fahriger. Am Ende stand ihm und seiner Frau Jill die Erleichterung ins Gesicht geschrieben. Das war noch einmal gut gegangen.
Die erste Frage: Darf Trump Ruth Bader Ginsburg ersetzen?
Ist die Nominierung Amy Coney Barrett als neue Richterin am Supreme Court verfassungsmäßig oder – wie das Biden-Lager meint – ein Machtmissbrauch? Für Trump ist die Antwort klar. Er hat die Wahlen vor vier Jahren gewonnen, auch nach dem kommenden Wahltermin ist er noch auf jeden Fall bis Januar im Amt. Er hat also genug Zeit, um Coney Barrett noch durch den Bestätigungsprozess zu bringen. Dagegen konnte Bidens Antwort an dieser Stelle nicht überzeugen. Er behauptete, dass man schon mitten in einer Wahl stecke und daher das Mitspracherecht des amerikanischen Volkes – auf das Trump sich auch gerade berufen hatte – schon zu den Wählern zurückgekehrt sei. Man erkennt den Einfluss eines etwas verqueren Denkens, das sich die Dinge so zurechtlegt, wie sie gerade passen. In diesem Fall eben: Dank der umfangreichen Beförderung der Briefwahl nicht zuletzt durch die Demokraten wäre der demokratische Prozess unscharf geworden. Nur so kann der kommende Wahltermin Biden als Grund für seinen Widerspruch dienen.
Danach argumentiert Biden vor allem inhaltlich: So stehe Coney Barrett dem Affordable Care Act (oft schlicht Obamacare genannt), den Biden einst mit eingeführt hatte, kritisch gegenüber. In Zeiten der Pandemie sei das nicht hilfreich. Er wirkt bei dieser Antwort noch ziemlich konzentriert, seine Artikulation deutlich, was im Laufe des Abends nicht so bleiben sollte. Trump geht Biden an, er wolle sozialistische Lösungen für das US-Gesundheitswesen, dafür würden die Linken in seiner Partei sorgen. Biden wehrt sich und behauptet, er selbst sei heute die Demokratische Partei, und auch das Wahlprogramm sei seines.
Das Verfassungsgespräch geht rasch in ein Covid-Gespräch (eigentlich erst im nächsten Kapitel dran) über, als Biden versucht, Trump die Verantwortung für die Epidemie in die Schuhe zu schieben. Daneben insinuiert der Herausforderer, dass die Konservative Coney Barrett dazu beitragen könnte, die berühmt-berüchtigte Entscheidung »Roe v. Wade« zum Abtreibungsrecht zu revidieren – vermutlich weil sie zudem praktizierende Katholikin ist. Diese Entscheidung stehe auch auf dem Wahlzettel im November. Trump widersprach, außerdem sei die Haltung Barretts zu dem Fall nicht bekannt, was den Tatsachen entspricht.
Dann will Chris Wallace eine Frage an Trump stellen, kommt aber nicht recht durch, weil Trump mit seinen Prämissen nicht übereinstimmt: Er habe Obamacare nicht grundlegend revidiert. Am Ende stellt Trump fest, es sei, als ob er mit Wallace debattiere, nicht mit Biden. Eine Spitze, die er sich vermutlich im Vorhinein zurechtgelegt hatte.
Der Themenblock endet mit einem Joe Biden, der eine Frage zur Nachfolge von Richterin Ruth Bader Ginsburg nicht beantworten will und stattdessen die Amerikaner sehr eindringlich aufruft, zur Wahl zu gehen. Trump ruft hinein, besteht auf einer Antwort Bidens zur Frage. Biden beklagt sich über das unpräsidentielle Verhalten Trumps und sagt dem Präsidenten, er solle den Mund halten. Die Konsistenz kann jeder selbst beurteilen.
Trump tritt noch immer wie ein Herausforderer auf. In Biden steht ihm ein Vertreter des politischen Systems gegenüber, der – wie Trump nicht müde wird, zu betonen – seit 47 Jahren dabei ist und nun wohl noch einmal alles anders machen will. Nein, werden die Trump-Anhänger sagen: Biden will die Dinge wieder in die Obama-Zeit zurückdrehen. Und was die Medien aus der Entscheidung zwischen den beiden machen, wird ohnehin gerne mit einem Konterputsch von Alt-Washington verglichen. The swamp is fighting back.
Smart? Hatte er gerade »smart« gesagt? Covid und die Folgen …
Zweites Thema: Covid-19. Eingangsfrage: Wem sollte das amerikanische Volk mehr vertrauen, was den Umgang mit der Pandemie angeht? Biden gräbt einige liebedienerische Formulierungen Trumps aus, die dieser in der Frühphase der Pandemie an Xi Jinping richtete. Sie waren damals schon eher rätselhaft. Die Beziehung der USA zu China hatte Trump bereits seit letztem Jahr auf den Prüfstand gestellt. Inzwischen hat der Präsident seine China- und damit seine Xi-Kritik verschärft. Zu Recht weist er darauf hin, dass Biden den Einreisebeschränkungen gegen China und andere erst Monate nach der Entdeckung des Coronavirus zustimmte. Auch die Versorgung mit Masken und Ventilatoren habe er gestemmt – doch das sei er ja schon gewohnt, flicht Trump ein, dass die Medien nur über seine Kontrahenten positiv berichteten, nicht über ihn. Aber das störe ihn schon lange nicht mehr.
Biden lenkt die Frage nach dem Shutdown sogleich wieder auf die Covid-Opfer um. Er sagt letztlich nicht, ob er für oder gegen einen Shutdown ist, gefällt sich vielmehr in der Propagierung von Masken. Ein Signal, das eher in die Richtung »Vorsicht« weist. In Sachen der Shutdowns ist Biden eher gegen die »re-openings«. Auch über den Impfstoff werden sich die Kandidaten keineswegs einig. Biden glaubt nicht an eine Impfung auf die Schnelle. Trump behauptet, das sei eine sehr »politische« Angelegenheit – als ob Unternehmen wie Pfizer oder Johnson & Johnson an dieser Stelle schneller arbeiten könnten, wenn man sie nur ließe.
Biden versucht Spitzen gegen seine mentale Fitness zuvorzukommen, indem er behauptet, Trump wisse nicht, wovon er spricht. Er solle aus seinem Bunker heraus oder von seinem Golfkurs herunterkommen – wo sich Trump dann wohl doch nicht so oft aufhielt, wie Biden zuletzt in seinem Keller. Dann sagt Biden noch, Trump müsse »viel smarter« werden, wenn er mit dieser Pandemie umgehen will. Da wird eine Saite in Trump angeschlagen: Smart? Hatte Biden gerade dieses Wort benutzt? Das solle er lieber nicht tun, denn er sei es, der einst vergaß, auf welche Universität er überhaupt gegangen war.
Die Pandemie und ihr K-förmiges Ende?
Nach dem unvermeidlichen Masken-Intermezzo – das inzwischen eher einem diplomatischen Kleinkrieg mit Noten und Gegennoten gleicht: Biden enthusiastisch dafür, Trump skeptisch nicht dagegen, die Experten einst dagegen, nun dafür – folgt, zu Trumps Freude, das dritte Kapitel: die Wirtschaft. Trump weiß um seine Erfolge auf dem Arbeitsmarkt seit den Shutdowns des Frühjahrs. Die demokratische Liebe zum Shutdown, betont Trump, schade nicht ihm, sondern den Bürgern, und das nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht (Drogen, Gewalt etc.). Biden behauptet, der Post-Corona-Aufschwung sei nicht V-förmig, sondern K-förmig, und wird bei der Erläuterung etwas fahrig. Die These ist, dass Unternehmen stärker profitieren als die Arbeitnehmer.
Biden schlägt neue Steuern in der Höhe von vier Billionen Dollar vor und behauptet, dass sich so Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze erzeugen ließen. Statt über Steuern spricht Biden lieber über Ausgaben, wie auch Moderator Wallace bemerkt. Trump ist vor allem stolz auf die produzierende Industrie, die er zurück in die USA gebracht habe, auch wenn seine Bilanz durch die Covid-Krise geschwächt wird. Und natürlich hängt die Entstehung von Arbeitsplätzen gerade in einer freien Wirtschaft wie jener der USA direkt mit dem allgemeinen Wachstum zusammen.
Biden bleibt unentschlossen zwischen »systemischem« Rassismus und der »Bad Apple«-Theorie
Das nächste Kapitel lautet in der simplen Diktion, die das Amerikanische hier annimmt: Rasse. Hier lenkt Trump das Thema nach einem kurzen Angriff auf die demokratische Gesetzgebung aus den neunziger Jahren (»where you called them [African Americans] superpredators«) auf die Sicherheitspolitik um. Trump verweist auf seine Unterstützung durch Polizeiverbände aus nahezu allen Staaten. Sogar der schwarze Polizeichef von Portland unterstützt ihn. Immer wieder wirft Trump Biden nun vor, noch nicht einmal die Worte »law enforcement« oder auch »law and order« über die Lippen zu bringen, weil ihm dann seine linke Anhängerschaft von der Stange gehe.
Biden sagt den Satz: »Die überwiegende Mehrheit der Polizisten sind ehrenwerte Männer und Frauen, […] aber es gibt ein paar faule Äpfel darunter.« Damit will er angeblich das neue Credo der Linken erläutern, nach dem es »systemischen« Rassismus in den USA gibt. Die beiden Sätze stehen aber eigentlich quer zueinander, denn wenn wirklich ein ganzes »System« von Rassismus befallen wäre, dann beträfe das jeden. Und so funktioniert auch das Argument der radikalen Linken. Dagegen versucht Biden, dieses Denken mit gesundem Menschenverstand zu vereinen. Den Vergleich mit den »bad apples« hat er (oder sein Team) übrigens von Trump entlehnt. Und das zeigt wiederum, wie er (oder sein Team) hier mit zwei grundverschiedenen Konzepten jongliert.
Bidens Verteidigung der »friedlichen Proteste« ruft eine wütende Suada von Trump hervor: Was er darunter verstehe, das Plündern und Brandschatzen und Töten inmitten amerikanischer Großstädte? Biden: Das ist kein friedlicher Protest. Trump: Sie behaupten, das wäre es.
Trump kann indes nur bestätigen, dass er Bundesbehörden untersagt hat, verpflichtende Kurse in »kritischer Rassentheorie« zu veranstalten. Der Präsident findet diese Kurse selbst rassistisch, sieht eine radikale Revolution in ihnen am Werk, und die habe man im Militär versucht, in den Schulen und an vielen anderen Orten. In diesen Kursen seien »krankhafte Ideen« und im Grunde Hass auf das eigene Land gelehrt worden. Dagegen will Trump zurück zu den Kernwerten Amerikas, das Land sei kein schrecklicher, rassistischer Ort.
Die Demokraten setzen auf Megathemen wie Klimawandel, Antirassismus oder die Pandemie
Biden meint, es gebe zum Teil einen Mangel an Sensibilität zwischen den »Rassen«. Ein Teil des Landes blicke systematisch auf andere herab, auf irische Katholiken, wie er einer sei, Menschen, die weniger Geld haben als andere. Das müsse enden. Trump hält dagegen, gerade unter Obama und Biden habe es großen Hass in den USA gegeben, nennt die Unruhen in Ferguson, Oakland und Baltimore. Und heute sei es auch die Schuld von demokratischen Bürgermeistern und Gouverneuren, wenn es Unruhen gab. Sie seien nicht für »law and order«.
Wallace stellt die merkwürdige Gegenfrage, dass es auch in republikanisch regierten Städten wie Tulsa oder Fort Worth ein ähnliches Aufflammen (»spikes«) von Gewalt gegeben habe. Doch das scheint eben das Argument zu sein: Es waren kurze »spikes«, nicht 100 Tage permanente Revolution wie in Portland. Trump verweist auf den Anstieg der Kriminalität im Gefolge der Proteste in Städten wie Chicago und New York.
Als Trump die Vororte der großen Städte nennt, deren Einwohner sich Sicherheit erhoffen, nennt Biden das eine rassistische Anspielung (»dog whistle«). Doch Trump hat gar nicht von weißen Vorstädtern gesprochen! Die wahre Gefahr für die Vororte sind nach Biden: Covid und die Klimakatastrophe. Hier sieht man, wie Megathemen wie Klimawandel, Antirassismus oder die Pandemie konkrete Probleme, die häufig wirtschaftlicher Natur sind, ablösen und neutralisieren sollen.
Und noch ein verqueres Statement zur Antifa
Im nächsten Block geht es um die Gewalt auf Amerikas Straßen. Und hier taten sich Biden und der Fox-Moderator tatsächlich zusammen, um von Trump eine Verurteilung rechter Gruppen zu verlangen. Es reichte nicht, dass Trump einverstanden war und sich für Friede, Ruhe und Ordnung aussprach. So rief er schließlich auch ganz konkret eine Gruppe wie die Proud Boys zur Zurückhaltung auf, forderte aber Gleiches von Biden in Bezug auf die Antifa. Darauf sagte Biden – man hat er irgendwo schon gehört –: »Antifa ist eine Idee, keine Organisation«. Er berief sich dabei auf den FBI-Direktor Chris Wray. Der hatte allerdings durchaus von der »realen« Gefahr gesprochen, die von der losen Bewegung namens Antifa ausgeht. Seltsam, wie zwei linke Parteiführer in Deutschland und den USA zu denselben windschiefen Konstrukten greifen, wo es um Gewalt im Namen der politischen Linken geht (ja, Saskia Esken ist gemeint).
Den Rest der Debatte bildeten weichere Themen wie die jährlich wiederkehrenden Waldbrände, die freilich von den Demokraten zur Klimawandel-Apokalypse erklärt werden. Trump ist hier für pragmatische Lösungen, etwa eine aktivere Forstwirtschaft, die Brände verhindern könne. Er ist auch nicht gegen Elektro-Autos, die er gefördert habe, doch maßvoll und ohne ideologische Mission. Trump entwirft das Schreckensbild von einem Green New Deal, der viel teurer sei, als Biden zugeben will. Wallace weiß zum Beispiel von umfangreichen Maßnahmen in der Gebäudesanierung. Aber Biden behauptet, sein Plan – der nicht identisch mit dem Green New Deal ist – sei ein wachstumsförderndes Programm, das sich selbst trage.
Danach ging es noch um die umstrittene Briefwahl, zu der Chris Wallace die interessante Tatsache beisteuern konnte, dass man gar nicht von Betrug ausgehen müsse, um das Verfahren zu kritisieren. Vielmehr geht es offenbar darum, dass hunderttausende Wahlscheine ungültig ankommen oder aus anderen Gründen aussortiert werden. Das erklärt natürlich das Misstrauen gegen ein solches Verfahren.
Äußerlich wie innerlich ein starker Kontrast – nur die Dramatik fehlte meist
Am Ende muss man ein Wort zur äußeren Anmutung verlieren: Jedem, der auch nur kurz auf diesen Dialog schaut, wird auffallen, dass Bidens Bewegungsspielraum – geistig wie körperlich – beschränkt ist. Wenn er, wie mehrmals, mit beiden Händen beschwörend auf die Zuschauer zeigt und sagt, auf sie komme es an, wirkt das eher verzweifelt als ermutigend. Er versucht gleichsam, die Amerikaner festzunageln. Trump wirkte deutlich dynamischer, argumentativer und vitaler als sein Gegenpart. Rhetorisch hatte er dabei wohl nicht die Entfaltungsmöglichkeiten von einst, als er die Washingtoner Politik noch von außerhalb kommentieren konnte. Insgesamt war das ein Duell zum Aufwärmen. Man konnte den Gegner abtasten, Stärken und Schwächen feststellen.
Dagegen kann man nicht sagen, dass diese erste Debatte des US-Wahlkampfs eindeutig von dem einen oder anderen Kandidaten gewonnen worden wäre. Dazu agierten beide zu sehr in ihrem Kosmos. Häufig, wenn er nichts mehr erwidern konnte, schloss Biden beide Augen und nannte Trump einen Clown oder einen Lügner, nicht ohne sich gelegentlich dafür zu entschuldigen. Dagegen arbeitete sich Trump an Positionen ab, zu denen Biden sich nicht bekennen wollte.
Doch ohne einen greifbaren Gegner mit eindeutigen, positiven wie negativen Eigenschaften kann man sich nur schwer profilieren. Vielleicht baute Trump auch deshalb immer wieder das Bild der parteilichen US-Medien auf, um dem Publikum einen gewissen Sinn von Dramatik mitzuteilen. Die blieb im Gespräch mit Biden häufig aus, weil der sich im Abklappern der demokratischen Positionen gefiel und nicht argumentativ auf sein Gegenüber einging.
Eine Erstwählerin auf CNN brachte einen Aspekt dieser Debatten auf den Punkt, als sie sagte, dass sie stolz darauf sein wollte, wem sie bei dieser Wahl ihre Stimme gibt. Es geht also auch um das Prestige, das ein Kandidat zu besitzen scheint – und das gilt natürlich in besonderer Weise für die Umfragen. An der Wahlurne kann sich natürlich jeder auch unabhängig von dieser Erwägung entscheiden.