Tichys Einblick
Wegen Transgender-Debatte

US-Humanistenbund widerruft Ehrung für Richard Dawkins

Der bekannte Evolutionsbiologe und Religionskritiker Richard Dawkins wollte eine offene Debatte um Transgender-Identitäten anstoßen. Die American Humanist Association entzog ihrem engagierten Mitstreiter eine 25 Jahre alte Ehrung.

IMAGO / CTK Photo

Die American Humanist Association (AHA) hat die Auszeichnung zum »Humanisten des Jahres«, die sie dem Oxford-Professor Richard Dawkins 1996 verliehen hatte, zurückgezogen – sie quasi widerrufen. Anlass ist ein aktueller Tweet, in dem Dawkins zwei Themen miteinander kombinierte, die es heute – zumal im angelsächsischen Kulturraum – in sich haben: die Selbstidentifikation von Menschen als Transgender und die sogenannte »Black identity« oder »Blackness«.

Die Ehrung wird seit 1952 jährlich einem verdienten »Humanisten« zuteil, worunter man in diesem Fall wohl einen Anhänger der linksliberalen Fortschrittsreligion zu verstehen hat. Der einst ausgezeichnete Dawkins dürfte der berühmteste Biologe unserer Zeit sein, erfand und popularisierte in den siebziger Jahren die Idee des »egoistischen Gens« und hat auch seitdem zahlreiche massentaugliche Bücher veröffentlicht. Daneben ist er auch einer der bekanntesten Religionskritiker, Atheisten und – in diesem Sinne – Humanisten der Gegenwart. Der US-Humanistenbund opfert also mit ihm die weltweit vernehmlichste Stimme der humanistisch-atheistischen Bewegung.

Ganz unerwartet kam das aber wohl nicht: Denn auch noch mit 80 Jahren ist Dawkins ein munterer Geist, der sich in seinen öffentlichen Äußerungen für kontroverse Ideen genauso interessiert wie für ketzerische Gedanken. Er gehört dabei erkennbar dem linksliberalen Mainstream an, auch wenn derselbe inzwischen einige Ableger auf dem Feld der Identitätspolitik hinzugewonnen hat. Genau an dieser Gabelung trennen sich Dawkins’ Wege gelegentlich vom heute Akzeptablen. Ein evidenzbasierter Forscher fasst Kategorien wie Geschlecht und Rasse als biologische Grundtatsachen auf. Doch das ist heute ein Skandal, wo diese (wie andere) Kategorien frei verfügbar und sozusagen durchlässig werden sollen.

Der Fall Rachel Dolezal: Eine Weiße leidet an Rassen-Dysphorie

In seinem Tweet vom 10. April griff Dawkins den Fall von Rachel Dolezal auf, zu dem es inzwischen sogar eine Netflix-Doku gibt. Die Bürgerrechtsaktivistin war 2015 in die Kritik geraten, weil sie als Tochter weißer Eltern behauptete, schwarz zu sein und es in dieser Eigenschaft bis zur Ortsverbandsleiterin der traditionsreichen NAACP (National Association for the Advancement of Colored People) gebracht hatte. Das ging solange gut, bis Dolezal im Juni 2015 behauptete, wegen ihrer Rasse das Opfer von Hassverbrechen geworden zu sein. Es folgten Demonstrationen, auf denen die Aktivistin Seit’ an Seit’ mit Schwarzen für ihre Rechte marschierte. Die früher blonde Frau hatte sich da schon eine Minipli-Dauerwelle zugelegt und die Haare dunkel gefärbt.

Allerdings teilten die Eltern Dolezals der Presse bald mit, dass sie zwar beide zu einem geringen Teil von amerikanischen Ureinwohnern abstammten, aber daneben nur weiße, vor allem deutsche, tschechische und schwedische Vorfahren besäßen.

Ein Autor des britischen Guardian war fasziniert von dieser Geschichte, die auf beunruhigende Weise zeige, dass Rassen auf »Performance« beruhten. Die unterschiedlichen Phänotypen, die wir wahrnehmen, gehen danach auf einen »Mythos« zurück. Die Doktrin der Dekonstruktion, übersetzt in Lyrik zum Tage.

Tatsächlich hat Rachel Dolezal sich selbst später eine Art Rassen-Dysphorie zugeschrieben: »Ich habe mich definitiv nicht in der weißen Welt zu Hause gefühlt. Sie fühlte sich fremd für mich an, und ich fühlte mich darin fehl am Platze. Außerdem fühlte sie sich für mich beklemmend an, weil ich beständig Teile von mir selbst unterdrücken musste, um sozial zu überleben.« Einige philosophische Feministen fanden, dass man durchaus »transracial« sein, also seine Rasse nach innerer Verfassung aussuchen könne.

Dawkins bezweifelt die »Buchstäblichkeit« der Dogmen

In seinem Tweet stellt Dawkins den Fall Dolezal in den Zusammenhang der Transgender-Diskussion, derzufolge ebenfalls jeder frei entscheiden kann, was er sein will, in diesem Fall, welches Geschlecht er oder sie gerne hätte. In der Folge müssen alle anderen diese Entscheidung anerkennen und für wahr halten – andernfalls drohen Diffamierung und öffentliche Schmähung. Dawkins’ Einwendungen gegen diese neuen Dogmen erinnern dabei an seine Religionskritik, wo er beispielsweise kritisierte, dass der Wein für den gläubigen Christen ganz real zum Blut Christi wird. Wenn Dawkins das schon seit langem bezweifelte, dann zweifelt er heute daran, dass Transgender-Frauen wirklich »buchstäblich« Frauen seien, oder daran, dass Rachel Dolezal eine Schwarze sein kann, wenn sie es will. Dawkins bleibt eben ein Ungläubiger.

Dabei war Dawkins’ Tweet nicht einfach eine launige Äußerung zum Tage. Vielmehr stellte er die beiden Beispiele zur Diskussion und forderte seine Gegner auf, eigene Argumente zu bringen – wozu es allerdings nicht wirklich kam. Ein gewisser Austausch kam wohl zu Stande, wenn auch nicht der, den sich der Forscher erhofft haben dürfte. Zwar gab es auch viel Zustimmung zu Dawkins’ Transgender-Skepsis, aber auf der anderen Seite fiel vor allem seine Brandmarkung als »Feigling« (»Coward«) auf, der den Kampf für Trans-Rechte verweigert.

Schließlich reagierte auch die American Humanist Association mit einer Pressemitteilung, in der es unter anderem heißt: »Bedauerlicherweise hat Richard Dawkins im Lauf der vergangenen Jahre eine Geschichte angesammelt, in der er Äußerungen macht, die sich als wissenschaftlicher Diskurs ausgeben, um an den Rand gedrückte Gruppen herabzuwürdigen. Dieser Ansatz entspricht nicht den humanistischen Werten.« Weiter geht es mit einer recht eigenwilligen AHA-Deutung von Dawkins’ Tweet, der impliziert habe, dass die Identitäten von Transgender-Personen unaufrichtig oder betrügerisch seien.

Außerdem soll er nahegelegt haben, dass man sich die neue »Black identity« (mit großem B) in bequemer Weise zulegen könne, wo man es benötigt. (Dabei hatte Dawkins 2015 getwittert, dass Rasse keineswegs ein soziales Konstrukt sei, sondern auf biologischen Tatsachen beruhe. Nur kulturell sei dies irrelevant, da wir alle Menschen sind.)

Religiöses Zelotentum und woke Götter

Direkte Reaktionen auf den Ehrentitel-Entzug waren unter anderem: »Die American Humanist Association benutzt den Säkularismus als Verkleidung, um religiöses Zelotentum zu verordnen, und bringt Dawkins als Opfer dar, um ihre woken Götter zu besänftigen.« Oder auch: »Identitätspolitik ist die neue Religion. Wir kommen auch ohne sie klar.«

Die »Geschichte« von Dawkins’ »herabwürdigenden« Äußerungen erzählt der Humanistenbund allerdings nicht nach. Man kann sich also nur denken, was damit gemeint ist. Ein Internet-Artikel des Friendly Atheist hat einige ältere Tweets von Dawkins gesammelt (»I call her she out of courtesy«). Korrekt im Sinne der Trans-Orthodoxie sind sie sicher nicht.

Daneben wurde Dawkins schon 2017 wegen seiner Ansichten zum Islam – allerdings ohne genaue Quellenangabe – von einem kalifornischen Radiosender ausgeladen,  der eines von Dawkins’ Büchern vorstellen wollte, aber keine »beleidigende Sprache« bei seinen Gästen akzeptierte. 2018 fand er gar Gefallen an mittelalterlichen Kathedralen und ihrem Glockengeläut im Gegensatz zu Allahu-akbar-Rufen.

Die neue Überlebensfähigkeit der Dogmen

In seinem Buch The Selfish Gene (»Das egoistische Gen«) brach Dawkins den evolutionären Wettbewerb auf die Ebene der Gene runter: Jedes Gen, so seine These, kämpft genauso ums Überleben wie das Tier oder die Pflanze, die es beherbergen. Seine These übertrug Dawkins daneben auf kulturelle Vorstellungen, die er »memes« nannte. Ein solches Mem bildet sozusagen einen Baustein unseres Denkens, der mehr oder weniger erfolgreich von einem Gehirn an das andere weitergegeben wird. Die Meme verhalten sich also genauso wie Gene, können mutieren und dabei plötzlich eine Überlebensfähigkeit zeigen, die sie davor nicht hatten.

Vielleicht muss man auch Dawkins’ Diskussionsanstoß zur Transgender-Ideologie und (falls er das überhaupt meinte) zur »Black identity« auf diesem Hintergrund verstehen. Dawkins geht es um unsere Sprache und Kultur und darum, wie sie sich verändern. Auf diesen Pfad führt ein weiterer

Tweet vom 11. April: »Existierende Wörter verändern ihre Bedeutung durch eine allmähliche Evolution. Oder aber eine Neudefinition oder Verfeinerung wird vorgeschlagen und freiwillig angenommen. Gut. – Nicht gut ist es, wenn ein Wort mit einer lange etablierten allgemeinen Verwendung diktatorisch umdefiniert wird und die Akzeptanz der neuen Bedeutung durch ein Gesetz oder soziales Mobbing aufgezwungen wird.«

Wer denkt da nicht an Frauen versus »people who menstruate«? Offen bleibt nur, warum die neuen diktatorischen Sprachgebote so bereitwillig angenommen werden. Für Dawkins dürfte eine Teilantwort feststehen: Neue Dogmen gewinnen an Überlebensfähigkeit in unseren Gehirnen.

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