Tichys Einblick
Alte, neue Kommissionspräsidentin

Ursula von der Leyen: Von Freunden umzingelt – und ausgeschlossen

Wie sicher ist die Wiederwahl von Ursula von der Leyen? Beim EU-Gipfel am kommenden Montag wurde sie ausgeschlossen. Es ist ein Schuss vor den Bug. In ihrer zweiten Amtszeit wird sie sich den Wünschen der eigenen Partei beugen müssen – wenn es denn eine zweite Amtszeit geben sollte.

picture alliance / Geisler-Fotopress | Bernd Elmenthaler/Geisler-Fotopr

Die Wiederwahl zur Kommissionspräsidentin sei sicher. Er erwarte „nichts anderes als die Nominierung von Ursula von der Leyen“, sagt EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn. Auch sonst mehren sich die Signale. So möchte Bundeskanzler Olaf Scholz, dessen SPD den europäischen Sozialisten angehört, ebenfalls der Deutschen den Rücken stärken. Auch Emmanuel Macron tendiere dazu, von der Leyen zu stützen. Am Sonntagabend ließ die EVP zudem verkünden, mit ihren traditionellen Partnern, also den Sozialisten und den Liberalen von Renew, zusammenzuarbeiten. Die Option, mit der nationalkonservativen EKR zu verhandeln, fand keine Erwähnung. Nach der EU-Wahl ist also vor der EU-Wahl?

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Anders, als die Presse-Statements glauben machen wollen, zeigen sich deutliche Risse in der Darstellung. Das fängt bereits bei den internen Schüssen auf von der Leyen während des Wahlkampfes an. Die Kommissionspräsidentin steht in der Kritik, nicht zuletzt wegen der Pfizer-Affäre. Die EVP würde fünf Jahre lang eine angeschlagene Kommissionschefin mitschleppen müssen.

Überdies hat die EVP zwar an Sitzen im EU-Parlament gewonnen. Doch insgesamt musste die „Koalition Ursula“, die sie vor fünf Jahren an die Macht brachte, Federn lassen. Abgesehen von der EVP ist es eine Formation der Wahlverlierer – was noch umso mehr zuträfe, sollte man zusätzliche Stimmen bei den gerupften Grünen suchen.

In Deutschland besteht der Eindruck, bei der EVP handele es sich lediglich um einen Anhang der CDU/CSU. Doch in Wirklichkeit hat die EVP ihre Stärke im Jahr 2024 nicht dem mediokren Ergebnis der Union, sondern den zahlreichen Schwesterparteien in den mittel- und osteuropäischen Ländern zu verdanken. Gerade in diesem neuen EVP-Block ist aber die Kritik am „Green Deal“ am größten. Er wird als deutsche Schöpfung verstanden.

Selbst ein Donald Tusk hat – trotz aller Freude an der Erstickung der polnischen Opposition mit Schützenhilfe Brüssels – nur wenig Interesse am Verbrennerverbot. Ohne gewaltige Geldverschiebungen wäre die Umstellung auf den E-Betrieb für die meisten Bürger in den süd- und osteuropäischen Ländern gar nicht zu stemmen. Überdies stehen die meisten Schwesterparteien eher rechts von der CDU und haben nur wenig Verständnis für die „Vergrünung“ des großen deutschen Bruders.

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Diese Entzweiung gibt es nicht nur in Osteuropa. Die französischen Republikaner, einst die wichtigsten Partner der Christdemokraten auf EU-Ebene, haben bereits vorher angekündigt, Ursula von der Leyen nicht zu wählen. In Frankreich deutet sich vielmehr eine neue Rechtskoalition aus Rassemblement National, Reconquête und Republikanern an. Die Entwicklung verläuft nach dem italienischen Modell. Dort arbeitet die Forza Italia als EVP-Schwester bereits seit den 1990ern mit den anderen Rechtsparteien zusammen, ob mit der Lega (ID) oder den Fratelli d’Italia (EKR) bzw. deren Vorgänger Alleanza Nazionale.

Heißt: In anderen europäischen Ländern herrscht keine Allparteienkoalition oder eine Annäherung an Grün, sondern eine Orientierung nach rechts vor. Mit von der Leyen oder gar einer „Mitwahl“ der Grünen im EU-Parlament würde also nach Ansicht vieler EVPler, die den Green Deal abwickeln oder wenigstens einschränken wollen, genau das falsche Zeichen gesetzt. Von der Leyen sieht sich demnach von Freunden in der eigenen Partei umzingelt, die ihr eigentlich das Schlechteste wünschen. Der Name des griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis fällt immer wieder als möglicher Alternativkandidat.

Doch auch in den anderen beiden Fraktionen, die man als „traditionelle Partner“ ansieht, steht die Front nicht ansatzweise so fest, wie man es immer behauptet. Bei der letzten EU-Wahl hat Kanzlerin Angela Merkel ihre Wunschkandidatin durchgedrückt. Heute sitzt dort ein geschwächter Kanzler Olaf Scholz, der höchstens deswegen Interesse an der Ex-Verteidigungsministerin hat, weil sie Ballast für die EVP darstellt. Trotz Wahlkatsche für die Sozialisten wollen diese Katarina Barley als Präsidentin des Europäischen Parlamentes sehen.

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Bei Renew sieht es nicht besser aus. Charles Michel, derzeit Präsident des Europäischen Rates, werden selbst Ambitionen auf den Posten des Kommissionspräsidenten nachgesagt. Der bedeutendstee Staats- bzw. Regierungschef von Renew ist Emmanuel Macron, der seit Jahren ohne Mehrheit im Parlament regiert und sich mithilfe des Vabanque-Spiels namens Neuwahlen zum nächsten Präsidentschaftswahlkampf 2027 hinüberretten will.

Deswegen kann von der Leyen nicht auf alle Stimmen aus der eigenen Fraktion zählen – ebenso wenig, wie sie bei der Wahl im EU-Parlament auf alle Stimmen von den Liberalen und Linken hoffen kann. Denn zwar nominieren die Staats- und Regierungschefs der 27 Mitgliedsländer den Kommissionspräsidenten. Abgesegnet werden muss er dennoch vom EU-Parlament. Letztes Mal hat von der Leyen mit nur neun Stimmen Mehrheit gewonnen. Heute ist nicht nur ihre eigene Koalition kleiner geworden. Auch Stimmen von außen, etwa von den Basislinken des italienischen Movimento 5 Stelle oder der polnischen PiS sind dieses Mal nicht zu erwarten.

Bleiben die Grünen als Mehrheitsbeschaffer. Das wäre ganz im Interesse der Sozialisten, um die EVP auf Jahre an den sozial-ökologischen Kurs festzuketten und den Green Deal nicht zu verwässern. Es widerspräche jedoch nicht nur dem Wählervotum, das diesen Kurs abgestraft hat, sondern auch der möglichen zukünftigen strategischen Ausrichtung der EVP, in der die deutsche Position von Wahl zu Wahl eher abnimmt. Zudem wäre es bereits jetzt möglich, das Projekt „Green Deal“ bei einer offenen Wahl abzuwickeln, denn die Mitte-Rechtsparteien und Unabhängigen kämen bereits auf eine Mehrheit, um jeden Vorstoß der Linken abzuwehren.

Prinzipiell sind die Fraktionslosen im EU-Parlament ein Unsicherheitsfaktor: Zu ihnen gehört derzeit nicht nur der ungarische Fidesz, sondern auch die VVD des kommissarisch amtierenden niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte. Letztere wurde wegen ihrer Zusammenarbeit mit Geert Wilders ausgeschlossen. Die der Bauernbewegung nahestehende BoerBurgerBeweging, die ebenfalls mit Wilders koaliert, hat indes angekündigt, sich der EVP anzuschließen – was nur überrascht, wenn man davon ausgeht, dass die EVP ein reiner Von-der-Leyen-Wahlverein ist.

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Diese Melange hat zu einem bemerkenswerten Schritt geführt: Beim EU-Gipfel am Montag, bei dem die Staats- und Regierungschefs einen gemeinsamen Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten vorschlagen wollen, ist Ursula von der Leyen nicht eingeladen worden. Bei den Gesprächen des Gipfels könnte man sonst schließlich „nicht frei reden“. Zwar hat sie ein Anrecht auf Anwesenheit, aber bei den Beratungen um die Postenvergabe soll sie die Veranstaltung verlassen.

Das kann man als Demütigung auffassen – und als Platzzuweisung. Von der Leyen wird in ihrer zweiten Amtszeit deutlich mehr Druck ausgesetzt sein. Vielleicht spekulieren auch schon einige der sie umzingelnden Freunde darauf, sie auch im EU-Parlament beim Wahlgang durchfallen zu lassen, um dann doch noch einen anderen Kandidaten aus dem Hut zu zaubern. Entscheidend wird dabei nicht nur das Treffen am Montag sein.

Denn bereits am morgigen Donnerstag treffen sich einige der europäischen Regierungschefs beim G7-Gipfel in Italien. Gastgeberin: Giorgia Meloni. Die italienische Ministerpräsidentin gehört zu den wenigen Gewinnern der EU-Wahl, die auch ein Amt bekleiden. Sie wird mit dem schwächelnden deutschen Kanzler und dem taumelnden französischen Staatspräsidenten ebenfalls darüber reden, wie die italienischen Vorstellungen aussehen. Ihr fällt die angenehme Rolle der Königsmacherin zu. In Rom macht man bekanntlich die wichtigsten Geschäfte beim Mittagessen. Und ein paar Brötchen dürfte auch Frau von der Leyen abbekommen.

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