Es ist Sonntag, der 11. Juli 2021, eigentlich ein ganz normaler Tag, mit einer kleinen Ausnahme, President Cyril Ramaphosa hat sich für den Abend wieder im Fernsehen angekündigt. Er halt seine Corona Ansprache. Corona Inzidenzen haben zugenommen und der Lockdown Level 4 wird um weitere 14 Tage verlängert. An sich war man ja daran schon fast gewöhnt und hat nichts Anderes erwartet.
Etwa zeitgleich trat der vorherige President Jacob Zuma seine Haftstrafe von 15 Monaten Gefängnis an, zu der er vom Verfassungsgericht wegen Missachtung einer richterlichen Anordnung verurteilt worden war. Er hat viele Anhänger bei den Zulus und ist bestens vernetzt, hat 4 Ehefrauen und 15 Kinder. Darüber hinaus ist er reich, sehr reich für südafrikanische Verhältnisse, wie die ganze Elite.
Am Montagmorgen fängt es dann an zu brodeln oder man könnte sagen, die Hütte brennt. Plündern in Südafrika im Lockdown breitet sich immer von den Bottlestores aus (Alkoholverbot).
Von meinem Wohnzimmer höre ich in der Entfernung Schüsse und Rauchschwaden sind zu sehen. Um 9.21 Uhr bekomme ich eine Whatsapp-Nachricht von einer Nachbarin, die zu einem Neigborhood-Watch gehört:
“Die neueste Information, die wir von unseren schwarzen Mitarbeitern bekommen, ist, dass die Mobs ab heute Nacht alle Wasserleitungen und Umspannwerke in unseren Städten zerstören werden, um uns Wasser und Strom zu entziehen. Leute, ladet alle Telefone auf, auch Behälter mit Wasser füllen“. (Meine Übersetzung)
Also tue ich, was mir gesagt wird – mehr kann ich nicht machen, der sicherste Platz ist im Moment zuhause. Mein Puls rast, mein Verstand ist schockgefroren und mein Körper fühlt sich wie gelähmt. Also setze ich mich hin versuche ruhig zu bleiben und höre den Schüssen zu, die irgendwo draußen fallen. Aus der Tiefe meiner Kindheitserinnerungen (ich bin ein Nachkriegskind) hallt die Stimme meiner Mutter „wer sich in Gefahr begibt, kommt in ihr um“ – dabei habe ich mich ja nicht in Gefahr begeben, die Gefahr ist ja zu mir gekommen. Dabei kommt der Gedanke, wie haben meine Eltern (und die ganze Generation) den Krieg und die Flucht bei Nacht und Nebel von jetzt auf gleich von Ostpreußen nach Westdeutschland größtenteils zu Fuß durchgehalten.
Ich versuche ruhig zu bleiben. Da ich weiß, das plötzliche Angstzustände in Wellen kommen und auch wieder gehen, versuche ich, es auszusitzen.
Dienstagmorgen, ich kontempliere, alle Supermärkte sind geschlossen, aber ich brauche dringendst Katzenfutter, könnte auf Schleichwegen dort hinkommen. Ich rufe meinen Tierarzt an und große Erleichterung, er ist offen und Katzenfutter gibt es noch in Hülle und Fülle. Auf dem Rückweg überkommt mich dann doch die Neugier und ich fahre durch Howick, um selbst zu sehen, was Sache ist. Die Straßen sind gespenstisch leer außer ein paar Neugierigen wie mich. Alle Geschäfte sind geschlossen und die einzige Tankstelle im Zentrum ist nicht mehr funktionsfähig. Auf dem Weg nach Hause sehe ich hier und da kleine Menschenansammlungen von weißen Menschen und einer davon trägt ein Gewehr, die Anderen haben ihre Waffen zur Selbstverteidigung wahrscheinlich im Auto versteckt. Als ich zu Hause ankomme, atme ich auf und freue mich über das Katzenfutter, das ich erstehen konnte – one day at the time.
Mittwochmorgen, es hat sich herumgesprochen, drei Supermärkte werden wieder geöffnet, aber es wird lange Schlangen geben, die Lieferketten sind unterbrochen. In der Zeitung lesen wir, die Verteidigungsministerin will die Armee hereinbringen – aber wo ist sie, die Armee? Warum hat sie nicht längst wenigstens die Autobahnen absichern lassen, damit die Lieferketten nicht unterbrochen werden. Die Polizei ist total überfordert.
Donnerstagmorgen um 6.46 Uhr schickt mir eine Freundin eine Whatsapp-Nachricht: „Wenn Du tanken willst, musst Du früh gehen, Benzin wird knapp“. Hätte ich mir eigentlich denken müssen, also mache ich mich sofort auf den Weg. Dort angekommen ist es 7 Uhr und ein paar Autos stehen schon da und warten. Ich reihe mich ein und warte auch, aber nichts geschieht, absolut gar nichts. Beim daneben liegenden Woolworth (hier das Equivalent zu Selfridges in London) steht auch schon eine lange Schlange, Öffnungszeit ist um 8 Uhr. Ich warte bis 9 Uhr und nichts geschieht. Ein Parkplatzwächter erzählt mir, die Engen Tankstelle fünf Minuten weiter weg, hat offen. Also fahre ich dorthin und die Schlange, die ich sehen kann, ist etwa einen Kilometer lang und, um diese Zeit ist es im südafrikanischen Winter noch eiskalt. Total entmutigt fahre ich nach Hause. Mein Tank ist noch zu einem Viertel voll. Bei meiner Ankunft bietet mir mein Nachbar Brot und Milch an. Ein Freund ruft an und erzählt mir, er geht einkaufen und wird Brot und Milch für mich kaufen, was ich nicht sofort brauche, aber trotzdem dankend annehme. Morgen früh um 7 Uhr werde ich wieder versuchen zu tanken, aber dann mit einer Thermosflasche heißem Kaffee. Es fühlt sich ein wenig an wie im Krieg – one day at the time.
Thabo Mbeki (Präsident vom 16. Juni 1999 – 24. Sept. 2008) hatte recht, als er sagte: „Es gibt wirklich zwei Südafrikas. Die meisten Leute kommen zu dem Schluss, dass wir eine Nation sind, die nach Rassen gespalten ist. Andere denken, es geht um die Besitzenden und die Nichthabenden. Die Ereignisse der letzten Tage haben deutlich gemacht, dass der wahre Unterschied zwischen denen liegt, die Recht und Ordnung wollen; und diejenigen, die das Gesetz nur als Mittel sehen, um sich selbst stärker zu machen. Das sind die beiden Südafrikas“.