Nach der »Volksflut« (griechisch laothálassa), die am Mittwoch die öffentlichen Plätze von Lesbos und der anderen nordägäischen Inseln eingenommen hatte, sind die Organisatoren der Proteste am Donnerstag nach Athen gereist, um ihre Forderungen dem Parlament vorzulegen und in Gespräche mit der Regierung einzutreten. Mehrere Bürgermeister und der Regionalgouverneur der Ägäis-Inseln, Kostas Moutzouris, trafen einen Staatsminister und den neubestellten Migrationsminister Notis Mitarakis. Moutzouris, der Spiritus rector des Ganzen, hatte den Sinn der Protestbewegung mit den charakteristischen Worten zusammengefasst: »Wir wollen unsere Inseln zurück, wir wollen unser altes Leben zurück und nicht noch mehr Abstellräume für gequälte Seelen.«
Der Minister erwiderte mit einer Liste von »Prioritäten«. Die »erste Priorität« sei die Verminderung des Zustroms an neuen Migranten aus der Türkei, vor allem durch einen verbesserten Grenzschutz. Ebenso »vordringlich« seien die Entlastung der Inseln sowie vermehrte Abschiebungen in die Türkei. Daneben gebe es in einigen Fragen Meinungsunterschiede mit Moutzouris. So sei man zwar darüber einig gewesen, dass es in Zukunft geschlossene Abschiebezentren auf den Inseln geben solle. Uneins blieb man hingegen über die Größe und genaue Funktionsweise dieser Zentren. Hier stellt sich offenbar die Frage der Tragfähigkeit der Inseln, vielleicht auch die nach dem Charakter der Zentren. Die offenen Einrichtungen, die derzeit die Inselkommunen belasten, sollen definitiv geschlossen werden und die medizinischen Dienste am Ort gestärkt werden. Den Dialog zwischen Region und Zentralregierung will man auch weiterhin in regelmäßigen Abständen pflegen.
Mitsotakis im Gespräch mit Niall Ferguson
Premierminister Kyriakos Mitsotakis war unterdessen nach Davos abgereist, wo er sich im Gespräch mit dem Historiker Niall Ferguson als ziemlich entschiedener Politiker zeigte. Gerade hat er die erste Frau zur griechischen Staatspräsidentin gemacht – eine Verfassungsrichterin, die soziale ebenso wie ökologische Belange mit Wohlwollen betrachtet. Das Wichtigste an dieser Personenwahl dürfte sein, dass Ekaterini Sakellaropoúlou bisher keine Politikerin war und so eine gewisse Frische in ihr neues Amt mitbringt, das ähnlich wie das des deutschen Bundespräsidenten weitgehend zeremoniell ist. In ihren ersten Worten an die Nation verwies auch sie – ähnlich wie Moutzouris – auf die territoriale Unversehrtheit und die Souveränität des Landes, die unbedingt gewahrt werden müssten, wenn man als Leuchtturm der Stabilität, des Fortschritts, der Kultur und Demokratie in der weiteren Region wirken wolle.
Ermutigend ist, dass Mitsotakis nicht – wie frühere griechische Premierminister – vor allem mit Forderungen in den Dialog mit den europäischen Partnern geht, sondern mit eigenen Angeboten und Projekten. Dieser unternehmerische Geist schlägt sich auch auf der nationalen Ebene nieder. So waren an der Athener Börse im letzten halben Jahr die höchsten Gewinne weltweit zu erzielen. Am Samstag gab die Ratingagentur Fitch eine Aufwertung Griechenlands von BB− auf BB bekannt. Zugleich war das Land im Korruptionsindex (Corruption Perceptions Index) von Transparency International um sieben Stellen aufgerückt. Die Rechtssicherheit im Land nimmt also zu, die Korruption geht zurück. Mitsotakis scheint die Reden seiner politischen Gegner lügen zu strafen, die behauptet hatten, mit ihm komme ein Unglücksrabe an die Macht.
Zur Migration befragt, bemerkt der Premier zunächst, dass die Zahl illegal übersetzender Migranten in der Ägäis in den letzten sechs Monaten gestiegen sei. Warum? Er will es nicht selbst sagen, stellt aber fest, dass der türkische Präsident offen zugegeben habe, die Migration in der Ägäis als geostrategischen Hebel nutzen zu wollen. »Wir würden gerne in der Frage der Migration mit der Türkei zusammenarbeiten, aber nicht in dieser Weise.«
Seit Jahresbeginn gilt das neue griechische Asylgesetz, das offenbar eine abschreckende Wirkung entfalten soll. So soll jedes Gesuch innerhalb von zwei Monaten entschieden werden. Wessen Gesuch angenommen werde, der sei frei zu bleiben und im Land zu arbeiten. Abgelehnte Asylbewerber sollen entweder in die Türkei oder in die Ursprungsländer zurückgeschickt werden. Dies mache eben den Unterschied zur Vorgängerregierung aus, die im Grunde jedem, der es wollte, die Einreise erlaubt und ihren Nachfolgern 80.000 unbearbeitete Asylanträge hinterlassen habe.
49% der Griechen begrüßen die neue Migrationspolitik
Die Zusammenarbeit mit den Türken »in dieser Weise« pflegte derweil Angela Merkel. Die deutsche Bundeskanzlerin war in die Türkei gereist, um Erdoğan neue Zahlungszusagen für den mit ihm einst ausgehandelten Migrationsdeal zu geben, den er in der Ägäis zur Zeit verletzt. Mit einigem Amüsement haben viele griechische und einige deutsche Medien das Verhalten Angela Merkels bei der Entgegennahme eine Gastgeschenks des türkischen Präsidenten kommentiert. Neben einem Helm vermachte der Präsident der Kanzlerin einen antik-bronzenen Spiegel, über den sich die Uckermärkerin so kindlich freute, dass die passende Unterzeile für viele auf der Hand lag: »Spieglein, Spieglein in meiner Hand, wer ist die schönste im ganzen Schland?« Laut Bild-Zeitung bedeutet ein Spiegel, den ein Mann einer Frau schenkt: »Ich konnte dir kein schöneres Geschenk machen als dich selbst.« Erdoğan scheint also ziemlich zufrieden mit Merkel zu sein…
Derweil sind die Griechen relativ zufrieden mit ihrem Premierminister. Laut einer für den Fernsehsender SKAI durchgeführten Umfrage begrüßen 49% der Griechen die aktuellen Maßnahmen der Regierung Mitsotakis in der Migrationspolitik, während nur 39% glauben, dass die Regierung damit nicht richtig liege. Das Ergebnis wird als günstig für die Regierung angesehen, zumal sich hinter den kritischen Stimmen auch solche verbergen dürften, die sich eine noch striktere Politik der Regierung in Sachen Einwanderung wünschen. Dennoch bleibt eine deutliche Mehrheit der Griechen weiterhin unzufrieden mit der aktuellen Situation, was angesichts der Zustände auf den Ägäis-Inseln kaum überraschen kann.
Am Wochenende war Migrationsminister Mitarakis auf den Ägäis-Inseln Kos und Leros, um für die Umsetzung des Regierungsplans zu werben. Er stellte fest, dass einige gerade neu angelandete Migranten schon nach dem neuen Gesetz behandelt würden und bei Ablehnung ihres Asylgesuchs »schnellstmöglich« in die Türkei abgeschoben werden sollen. Die Bürger blieben hartnäckig, forderten vor allem die Entlastung ihrer Inseln und waren strikt gegen die Errichtung neuer Zentren. Dem Minister, so sahen es einige Medien, gaben sie einen Korb.