Wer derzeit in Ungarn morgens die Nachrichten liest, braucht einen starken Magen. Man muss zweimal hingucken, bevor man es glaubt: Oppositionsführer Péter Magyar soll über seine eigenen Anhänger gesagt haben, sie würden aus den Mündern stinken, und über Mütter und Großmütter entführter Kinder lacht er sich schlapp. Aber der Reihe nach.
Am Sonntag rief Péter Magyar zu einer Pressekonferenz, auf der er den größten Skandal der politischen Geschichte Ungarns ankündigte, „größer als Watergate“. Der Skandal bestand dann darin, dass seiner Darstellung zufolge seine eigene einstige Lebensgefährtin Evelin Vogel ihn heimlich bei Gesprächen aufgenommen habe, um diese dann der Regierungspartei Fidesz zuzuspielen.
Das wusste er, weil einer seiner Verbündeten, Henrik Hanzel, die junge Dame selbst heimlich aufgenommen hatte. Aus diesem Gespräch machte Magyar einen dreiminütigen Ausschnitt publik, in dem sie 30 Millionen Forint (ca 75.000 Euro) fordert, um auf „Rache“ zu verzichten. „Gebt mir mein Geld und Tschüß“, hört man sie sagen. Magyar zeigte sie wegen illegalen Tonmitschnitts und Erpressung an.
Womit er wohl nicht rechnete: Vogel selbst hatte das Gespräch mit Hanzel ebenfalls heimlich aufgenommen. Dieses komplette, ungeschnittene Gespräch wurde am Dienstag diversen Redaktionen per Email anonym zugeschickt. Daraus wurde einerseits deutlich, dass Vogel tatsächlich 30 Millionen Forint forderte, aber andererseits auch, dass der von Magyar auf der Pressekonferenz vorgestellte Ausschnitt manipuliert war – zusammengeschnitten aus sieben verschiedenen Stellen des Gesprächs.
Was wegblieb: Offenbar hatte Magyar selbst dieses Gespräch mit Hanzel initiiert, um zu klären, ob und wie er Vogels Forderungen entsprechen könne. Und jede Menge unangenehme Dinge, die Vogel über Magyar sagt: Er sei „krank im Kopf“, ein „Narzisst“, und habe sie erniedrigend behandelt.
Magyar selbst hatte, nebenbei gesagt, seine politische Karriere damit begonnen, dass er seine damalige Frau, die damalige Justizministerin Judit Varga, heimlich aufnahm und daraus Auszüge öffentlich machte. Damals klang es in diesen Aufnahmen so, als habe die Regierung versucht, Einfluss zu nehmen auf Ermittlungen in einem Korruptionsverfahren. Bislang konnte das nicht erhärtet werden.
Wir resümieren: Péter Magyar nimmt seine Frau heimlich auf, nachdem sie sich scheiden lässt, nimmt seine neue Lebensgefährtin ihn selbst heimlich auf, was er deswegen weiß, weil er sie ebenfalls heimlich aufnehmen ließ bei einem Gespräch, das sie gleichfalls heimlich aufnahm. Tipp für alle in Ungarn, die sich in die Innenpolitik wagen wollen: sprechen nur am Meeresufer, wo die Brandung die Worte übertönt, und auch das am besten allein.
Magyar Péter hatte in einem Recht: Er prophezeite, dass man ab Wochenbeginn Verstörendes über ihn aus heimlichen Aufnahmen in den Medien lesen würde. Allerdings sagte er auch, dass eine Webseite namens objektiv.hu dafür eingerichtet worden sei. Es dauerte nur wenige Stunden, bis Tech-Nerds die noch nicht aktive Seite gehackt hatten. Vier Artikel waren da gespeichert, durchaus kompatibel mit dem Ton der Regierungskommunikation (böse Migranten, böse Multis), aber nichts über Péter Magyar. Dennoch mag er etwas gewittert haben: Der Besitzer der brandneuen Seite, Dokumentarfilmer Zoltán Désy, antwortete auf Pressefragen, an einem Dokumentarfilm über die ungarische Innenpolitik der letzten acht bis zehn Monate zu arbeiten, wo Péter Magyar natürlich eine prominente Rolle spiele. Auf seiner Webseite wolle er Stoffe publizieren, um diesen Film zu popularisieren.
Am Montag wurde dann – zwar nicht auf objektiv.hu, sondern per Email an ungarische Redaktionen – tatsächlich ein erster, für Magyar peinlicher Tonmitschnitt publik. Die Aufnahme stammt offenbar aus dem Juni, nach einer Großdemo seiner Anhänger in Budapest. In vulgärem Ton beklagt er sich da über die Hitze und verschwitzte Hemden, und darüber, dass seine Anhänger „stinken, auch ihre Münder“. Er lacht über Großmütter, die ihn anflehen, er möge etwas tun, um ihre Enkel aus dem Ausland zurückzuholen (es geht um Fälle, in denen Ex-Partner gescheiterter Ehen oder Beziehungen ihre Kinder gegen den Willen des anderen Elternteils ins Ausland entführen). In der Tonaufnahme lacht Magyar: „Wenn sie wüssten, dass ich sage, kauft euch ein neues Enkelkind – wie überrascht sie wären, haha.“
Dann droht er Evelin Vogel, mit der es in der Liebe offenbar bereits kriselt: „Ich diesem Land schätzen mich alle, außer Dir. Kein Problem, ich hetze dann die Leute auf Dich. Ich sage, Evelin behandelt mich schlecht. Sie hat mich betrogen, während ich für die Heimat kämpfte. Du bekommst dann solche Todesdrohungen.“ Und: „Ich hetze meine Rentnerkommandos auf Dich.“
Magyar nannte die Tonaufnahme manipuliert, zusammengeschnitten, und mit künstlicher Intelligenz um Versatzteile angereichert, Dinge, die er „bestimmt nicht“ gesagt habe. Bislang konnte aber nur nachgewiesen werden, dass die von ihm selbst am Sonntag vorgestelle Aufnahme, in der Evelin Vogel Geld fordert, manipuliert wurde.
Mittlerweile hat sich eine Mutter zu Wort gemeldet, die sich an Magyar gewendet hatte um Hilfe zu erbitten, weil ihr Ex-Partner ihr Kind ins Ausland entführt habe. „Wenn Du einen Ort weißt, wo man neue Kinder kaufen kann, sag es der Staatsanwaltschaft“, sagt die Frau und fügt hinzu, ihr Ex-Mann habe sie mit ähnlichen Taktiken terrorisiert wie Magyar seine damalige Ehefrau, Judit Varga. (Die hatte ihn beschuldigt, in der Ehe gewalttätig und drohend aufgetreten zu sein, weshalb sie sich am Ende scheiden ließ).
Magyar nannte in seiner Pressekonferenz auch bekannte Namen, unter anderem den regierungskritischen, homosexuellen Theater-Regisseur Robert Alföldi. Es klang so, als meinte Magyar, man werde ihn in Verbindung bringen mit Pädophilie-Vorfällen. Das geriet peinlich, denn Alföldi forderte eine öffentliche Entschuldigung, er habe nichts mit Pädophilie zu tun. Magyar entschuldigte sich denn auch tatsächlich.
Man darf wohl davon ausgehen, dass solcherlei in den nächsten Wochen den Ton der ungarischen Innenpolitik beherrschen wird. Wer nun lieber nicht mehr hinschaut, was in den Nachrichten steht, dem sei verziehen.