Es wäre eine andere Dimension. Sollten die 600 Millionen Menschen, die heute noch keinen Zugang zu elektrischem Strom haben, nach Europa drängen, wäre das definitiv zu viel für den Kontinent, seine Staaten und deren Union (die EU). Gleiches würde gelten, wenn die 800 Millionen jungen Menschen, die in den nächsten 15 Jahren keine Arbeit im „globalen Süden“ finden, ihre „Suche“ nach Europa verlegen. Das gab der indisch-amerikanische Manager Ajay Banga, zugleich Präsident der Weltbank, bei seinem jüngsten Besuch im Hamburger Rathaus zu verstehen. Dort veranstaltete die Bundesregierung (vermutlich auf eigene Kosten) eine UN-Konferenz zum Thema, die „Hamburg Sustainability Conference“.
Das mittlere Wort im Konferenznamen bedeutet Nachhaltigkeit. Und bei diesem Wort geht es längst nicht mehr nur um Umweltschutz, nicht mehr nur um wiederverwertbare Verpackungen und Verzicht auf Flächenversiegelung. Stattdessen legt man diesen Standard inzwischen ebenso auf das komplexe Klimasystem der Erde wie auf das globale Finanzsystem an – also zwei der volatilsten Systeme überhaupt, die der Planet kennt.
Die Premierministerin des Zwerg-Karibikstaates Barbados (Einwohnerzahl: 282.000) wirbt für ein „neues globales Finanzsystem“. Es ist nun schon etwas her, seit Barbados, halb so groß wie Berlin, sich vom Zuckerrohranbau ab- und sich erst dem Tourismus, dann dem Offshore-Finanzhandel zuwandte. Vielleicht weiß Mia Mottley also einfach, wovon sie spricht. Angeblich wird auf Barbados auch fleißig Geldwäsche betrieben.
Scholz: Afrikaner und Asiaten wollen gleichen Standard
Schon im Juni 2023 war Mottley die heimliche Heldin eines ähnlichen Treffens zu den Themen Klima, Armut und Schulden in Paris, zu dem Emmanuel Macron geladen hatte. Der beständig voranschreitende Klimawandel, der vielfältige Ursachen haben kann, trägt angeblich zur schwierigen Lage vieler Länder im „globalen Süden“ bei, was wohl auch auf einer sehr selektiven Betrachtungsweise beruht.
Auch die USA wären natürlich von diesem Marsch des Südens auf den Norden betroffen, aber trotzdem darf man sich zumal in Europa auf einiges gefasst machen. Was wäre also zu tun mit den 800 bis 1.400 Millionen jungen, arbeits- oder stromlosen „Südländern“, die laut der Voraussage bald in die nördliche Hemisphäre drängen werden? Alle aufnehmen geht wohl kaum, denn es wäre etwa das Doppelte der heutigen Bevölkerung der EU. Es gibt natürlich auch gar keine humanitäre Verpflichtung dazu. Die drückt heute eher in die Gegenrichtung, denn was wir aufnehmen, das führt zu mehr Problemen und Konflikten von Alt- und Neueinwohnern.
Bald Vertausendfachung der aktuellen Zuwanderungszahlen?
Migrantenströme in dieser Größenordnung können nicht aufgenommen werden. Die bisherige Spitze der Entwicklung waren laut Eurostat 1,32 Millionen Asylbewerber im Jahr 2015, 2022 waren es schon wieder über 962.000, und im letzten Jahr überstiegen die Anträge EU-weit die Millionengrenze (1,14 Millionen) – ein gutes Drittel davon in Deutschland gestellt.
Natürlich sucht man nach Alternativen und meint sie in Mia Mottley gefunden zu haben. Von einem „neuen globalen Finanzpakt“ sprach sie letztes Jahr in Paris. Tatsächlich geht es um eine globale Staatsschuldenkrise, die man mit Bailouts und Haircuts lösen will. „Entschuldung“ heißt das nun vornehm.
Barbados, die schmale Vitrine der globalen Finanzelite
Aber angeblich hängt das Überleben von Barbados außerdem vom 1,5-Grad-Klimaziel und seiner Erreichung ab. Was ihren Mini-Staat anging, erpresste sich Mottley 2018 eine Geldspritze vom Internationalen Währungsfonds (IWF) unter Christine Lagarde, indem sie den Schuldendienst zeitweise einstellte. Das darf Barbados inzwischen auch offiziell, mit Stempel vom IWF – nach jeder künftigen Naturkatastrophe. So geht Interessenpolitik für den „globalen Süden“, welcher eigentlich ein ziemlich weites Feld ist. Denn zwischen dem Inselzwergstaat Barbados und den Herkunftsländern Nigeria, Afghanistan, Kongo oder Bangladesch sollen noch Unterschiede bestehen. Dieselben nimmt kaum ein westlicher Politiker ernsthaft in den Blick und handelt danach.
Man inszenierte also auch in Hamburg wieder eine ganz schmale Vitrine im Ladengeschäft, die ganz sicher keine Lösung für die großen, armen und bevölkerungsreichen Länder darstellen kann, die im Herzen der Migrationsproblematik stehen. Denn diese werden keinen Extrawurst-Deal mit Christine Lagarde heraushandeln können. Zugleich dürften ihre Probleme in deutlich höherer Potenz zu veranschlagen sein als in dem inzwischen zu Geld und frugalem Wohlstand gekommenen Karibikstaat. Alles ein einziges Täuschungsmanöver also, und der Klimawandel gibt dem Ganzen den apokalyptischen Schein.
Die Mischung aus „1,5 Grad“ und Haircuts scheint kaum angetan, um den Ländern der alten „Dritten Welt“ endlich zu einem eigenständigen Leben und Wirtschaften zu verhelfen. Das ist der ungelöste Rest, der immer auf solchen Konferenzen mit „globaler“ Vision verbleiben wird und sich nur durch eine Art von Fairness, Zusammenarbeit auf Augenhöhe und letztlich selbständige Entwicklung verbessern lassen wird.