Es ist noch so ein „Konsensdokument, das die Regierungen stärker in die Pflicht“ nehmen soll. So erklärt es Regine Grienberger, die Cyber-Botschafterin im Auswärtigen Amt. Ja, diesen Titel gibt es wirklich: deutsche Botschafterin im Cyber-Neuland sozusagen. Man mag sie auch Beauftragte für Cyber-Außenpolitik nennen. Aber was sie sagt, bedeutet mehr als ihr Titel. Das Dokument, das sie meint, ist der Global Digital Compact (GDC), ein globaler Digitalvertrag, den die Vereinten Nationen nun seit ein paar Jahren auf den Weg bringen wollen.
Für 2024 ist ein „Summit for the Future“ (Zukunftsgipfel) geplant, auf dem UN-Generalsekretär António Guterres den Digitalvertrag von den „Anführern der Welt“ beschließen lassen will. Man kann sich den zugehörigen Beschlussprozess wie ein Wünsch-dir-was der Digital-Community vorstellen. In der modischen Formelsprache ausgedrückt: Was kann man mit „digital“ so alles machen? Man könne zum Beispiel Plastikteile aus dem Ozean fischen mit Satellitenbildern und lernenden Maschinen, so heißt es. Man könne auch Bewässerungssysteme optimieren und vor Leckagen bewahren, also wirtschaftlicher machen. Und Drohnen können Nutzpflanzen überwachen, um auch hier auszumachen, wie viel Wasser sie benötigen. Auch das scheint durchaus ein sinnvolles technisch zu lösendes Projekt. Daneben gibt es auch einfache Mehr-ist-mehr-Botschaften, für die man keine UN-Experten gebraucht hätte: „Die Verfügbarkeit von Internet führt zu mehr Jobs.“
Selbst die linksdrehende bis regierungsfreundliche Digitalkonferenz re:publica fragt sich noch, ob es hier um „globales Buzzwordbingo“ – also leeres Wortgeklingel – oder eine „echte Gestaltungschance für ein #SustainableDigitalAge“ geht? Hier wird die ökologistische Nachhaltigkeitswirtschaft als moralisches Feigenblatt hervorgekehrt, um die Freiheitsverluste akzeptabel erscheinen zu lassen.
Der Mensch als staatlich bewässerte Gießpflanze
Doch beim UN-Digitalpakt geht es um mehr als technische Maßnahmen und technologische Neuerungen. Es geht um Politik, also um das Zusammenleben der Menschen. Am Ende soll auch der Mensch dem UN-Plan zufolge technologisch „optimiert“ werden, hin zu einem Cyborg, bestehend aus physischem Körper und digitaler Identität. Es geht dabei um Maßnahmen, die am Ende jeden betreffen „können“, um ein Lieblingswort der Pakt-Autoren zu zitieren.
So heißt es in einem UN-Briefing zum Digitalpakt (hier aus dem Englischen übersetzt): „Digitale Identitäten, die mit Bank- oder Mobilgeldkonten verknüpft sind, können (!) die Bereitstellung von Sozialleistungen verbessern und dazu dienen, die berechtigten Begünstigten besser zu erreichen. Digitale Technologien können (!) dazu beitragen, Datenlecks, Fehler und Kosten bei der Gestaltung von Sozialprogrammen zu vermindern.“
Der Staat will also dort, wo er etwas zur Verfügung stellt (Sozialleistungen), auch etwas bekommen, nämlich die Kontrolle darüber, dass diese Leistungen nicht ausgenutzt werden, nicht im sozialen Sand verrinnen wie das Gießwasser durch ein Loch im Bewässerungsschlauch. Der Mensch und Bürger wird damit als staatlich bewässerte Gießpflanze verstanden. Um diesen Prozess der Bürger-Begießung besser zu kontrollieren, soll also eine mit dem persönlichen Geldkonto verbundene „digitale Identität“ geschaffen werden. Natürlich ist sie damit in der Welt und kann sich weiter ausbreiten. Nimmt man nun noch die Überlegungen zu einem Social-Credit-System nach chinesischem Vorbild hinzu, sind wir schnell bei einem umfassenden Überwachungssystem, das belohnen und bestrafen kann und soll.
Ein erster Versuch in Deutschland wurde übrigens schon in diese Richtung unternommen: Als es darum ging, auch den Studenten Corona-Hilfen in Höhe von ein paar hundert Euro auszuzahlen, konnten (!) sich die Antragsteller nur mittels einer digitalen Identität in dem Programm anmelden. Beobachter stellten fest, dass hier etwas durch die Hintertür eingeführt werden sollte.
Vergleichbar: Die Globalisierung des EU-Impfausweises
Der Digitalpakt der UN spricht daneben von „neuen plattform-basierten Impfstofftechnologien und intelligenten Techniken zur Herstellung von Impfstoffen“. Was hat das mit Digitalisierung zu tun? Impfungen funktionieren nach allem, was man weiß, nur analog. Andere sagen, das digitale Motiv sei auch hier via „Impfpass“ das dominante. Das Injizieren beliebiger Substanzen dient demnach nur der Messbarmachung, der Vermessung der Bürger, die sich so bei jeder Bewegung über Landesgrenzen hinweg registrieren mussten und vielleicht bald wieder müssen.
Apropos: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) plant Berichten zufolge, den EU-Impfnachweis zur Grundlage für ein globales Zertifizierungsnetz zu machen. Im Juli 2021 wurden die digitalen Zertifikate für „Covid-Impfungen“, Tests oder den Genesenenstatus einer Person in der gesamten EU eingeführt. Jetzt will die WHO die technische Infrastruktur des Projekts übernehmen. Der Einfall des Griechen Kyriakos Mitsotakis, den Ursula von der Leyen gerne übernahm, könnte so zuletzt zur Bildung einer globalen Datenkrake führen.
Im UN-Briefing vom Mai heißt es daneben, dass es Open-Source-Impfstoffe geben soll, deren Daten digital veröffentlicht werden. So will man die Produktion beschleunigen und bei Bedarf schnell ausweiten. Auch das ist so ein Ideologem, das auf die restlose Versorgung mit einem Gut verweist, auf das die Menschen nicht unbedingt gewartet haben.
Multi-Stakeholder-Prozess oder die NGOisierung der Politik
Die Entstehung des Pakts wird besonders modern (und modisch) als sogenannter „Multi-Stakeholder-Prozess“ präsentiert, womit man die Einbindung von Nicht-Regierungs-Vertretern meint. Jeder weiß, dass dies vor allem ein Instrument ist, welches den Prozess selbst noch undurchsichtiger macht, als er ohnehin ist – Teil der NGOisierung politischer Entscheidungen.
Am Ende ist auch die effektive Mitwirkung dieser Agenten aus der „Zivilgesellschaft“ nicht garantiert. Vielleicht dienen sie nur als Feigenblatt … Gott sei Dank, werden andere sagen. Denn diese „nicht-staatlichen“ Agenten sind noch unbekannter als die staatlichen Akteure und keineswegs immer unabhängig von den Staaten. Zu den staatlichen Akteuren gehören zum Beispiel die UN-Botschafter von Schweden und Ruanda, die federführend an der Entwicklung dieses neuen UN-Pakts beteiligt sind.
Alles das passiert weit weg in New Yorker oder Genfer Sitzungssälen. Man kann förmlich dabei zuschauen, wie die demokratische Kontrolle an dieser Stelle durch die Finger rinnt. Derweil bietet das Auswärtige Amt auch Gesprächsrunden in Kenia, Indien und Mexiko zum Thema an. Aber die Auswirkungen des globalen Vertrags sind am Ende lokal zu erwarten, wie der eingangs zitierte Satz von Regine Grienberger deutlich macht. Die nationalen Regierungen sollen durch ihn verpflichtet werden und können den Digitalpakt selbst jederzeit hervorziehen, wo sie sich rechtfertigen und einen Leitfaden für ihr Handeln vorzeigen wollen.