Nach wie vor kann Russland in seiner neuen Offensive nur geringe Erfolge verbuchen. Im Südosten der Ukraine, zwischen Zaporizhzhia und Velyka Novosilka, kommt es zu massiven Bombardierungen durch Artillerie und Luftwaffe. Zwar konnte Russland einige Dörfer erobern, doch große Vorstöße bleiben auch heute aus. Auch westliche Stellen sprechen nach wie vor von „geringen Fortschritten“. Im Nordosten im Gebiet Kharkiv kam es in den letzten 24 Stunden zu massiven Kämpfen. Bei Dibrova in der Region Luhansk konnten russische Truppen einen Keil in die ukrainischen Linien schlagen.
Auch auf russischem Territorium wurde erneut Beschuss gemeldet: Der Gouverneur der Grenzregion Belgorod erklärte, in einem Dorf seien zwei Personen durch ukrainisches Feuer verletzt worden. Russland will seinen Beschuss von ukrainischer Eisenbahninfrastruktur derweil fortsetzen. Man habe gestern sechs Bahnhöfe beschossen, meldet Moskau – Bahnhöfe, die elementar für die Verlegung von auch westlichem Kriegsmaterial seien. Der russische Außenminister Sergej Lawrow erklärte, Waffenlieferungen des Westens seien ein „legitimes Ziel“.
Berichten zufolge soll Russland jedoch große Teile seines Arsenals bereits verschossen haben: Die Recherche-Organisation „Bellingcat“ meldet, 70 Prozent des russischen Raketenvorrats seien bereits verschossen worden. Die russischen Möglichkeiten für Präzionsangriffe mit Raketen bleiben limitiert.
In der Separatistenregion Transnistrien kam es derweil zu mehreren Explosionen. Transnistrien, das völkerrechtlich zu Moldawien gehört, wird de facto von einer pro-russischen Regierung beherrscht – Russland hat auch Truppen im Land. Im russischen Staatsfernsehen lastet man die Explosionen der Ukraine an und verkündet, die Republik Transnistiren werde vielleicht bald „ihre Interessen schützen“. Die Ukraine verneint, für die Attacken verantwortlich zu sein. Ähnliche Rhetorik von Seiten Russlands hörte man Ende Februar in Bezug auf die „Republiken“ Donezk und Luhansk – was manchen Beobachter vermuten lässt, Russland bereite eine Offensive aus Transnistrien heraus vor. Dass der Landstrich in den russischen Planungen eine Rolle spielt, offenbarten Karten, mit denen sich der belorussische Diktator Lukaschenko im Fernsehen zeigte. Ob es tatsächlich zu einer solchen Offensive kommt, ist offen.
Währenddessen zieht der russische Außenminister mit markiger Rhetorik besorgte Blicke auf sich: Sergej Lawrow bezeichnet die Gefahr eines Konflikts mit Nuklearwaffen derzeit als ernst. Die zentrale Position Russlands sei es, diese Bedrohung auszuschließen. „Ich möchte diese Bedrohung nicht künstlich erhöhen“, erklärt er im russischen Staatsfernsehen. „Viele würden das gern tun. Die Gefahr ist ernst, real. Und wir dürfen sie nicht unterschätzen.“ Die Bewaffnung der Ukraine sei ein Eingreifen in den Krieg, führt er aus. Die Nato führe in der Ukraine längst einen „Stellvertreterkrieg“ gegen Russland, erklärte Lawrow.
Von Moskaus nuklearer Schreckensrhetorik hält man im Westen wenig – und nimmt sie nicht ernst. Der britische Streitkräfteminister James Heappey erklärt, er glaube nicht, dass eine unmittelbare Gefahr einer Eskalation des Krieges in der Ukraine bestehe. „Lawrows Markenzeichen in den rund 15 Jahren, in denen er russischer Außenminister ist, ist diese Art von Angeberei. Ich glaube nicht, dass im Moment eine unmittelbare Gefahr einer Eskalation besteht“, sagte Heappey der BBC.
Doch Lawrows These über den „Stellvertreterkrieg“ bestätigt ausgerechnet sein amerikanischer Amtskollege. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin erklärte am Montag eine Veränderung der US-Zielsetzung im Ukraine-Krieg: „Wir wollen Russland geschwächt sehen, und zwar so sehr, dass es die Dinge, die es in der Ukraine getan hat, nicht wieder tun kann“, erklärte der Amerikaner am Montag.