Tichys Einblick
Milliarden-Deal für die Ukraine

Ukraine-Deal: Hat Orbán nun gesiegt oder verloren?

Der 50-Milliarden-Deal für die Ukraine ist durch, Ungarn verzichtete auf Widerstand. Funktionierte der Druck der EU – oder bekam Orbán hinter den Kulissen, was er wollte?

IMAGO / ANP

Es war in den Medien als ein Duell auf Leben und Tod angekündigt worden, aber die große Konfrontation zwischen Ungarns Regierungschef Viktor Orbán und den EU-Oberen blieb aus. Nur anderthalb Stunden nach Beginn des EU-Gipfels in Brüssel war die Einigung da, und allem Anschein nach konnten die EU-Spitzen und jene 26 Mitgliedsländer, die den neuesten Ukraine-Deal wollen, sich weitgehend durchsetzen.

Irgendwie aber doch merkwürdig, dass alles so glatt ging. Zeitgleich gab es in Budapest die wöchentliche Regierungs-PK von Kanzleramtsminister Gergely Gulyás, zu deren Beginn noch nicht klar war, wie die Sache in Brüssel ausgehen würde. Dann aber summten und fiepten die Mobiltelefone der Journalisten: Ungarn verzichtet auf Veto. Klar, dass die nächsten Fragen sich dann darum drehten. Das regierungsfreundliche Wochenmagazin Mandiner wollte wissen, ob Orbáns Zustimmung nun Ungarns Zugang zu den seit Jahren suspendierten EU-Geldern erleichtern werde. „Hoffentlich”, sagte Gulyás.

Da mag der Mandiner-Kollege entweder etwas geahnt, oder etwas gewusst haben. Denn der Sprecher von EU-Ratspräsident Charles Michel erwähnte fast nebenbei nach der Entscheidung, bei den Verhandlungen sei auch die Frage des Rechtsstaatlichkeitsmechanismus berührt worden. Jenes Instrument also, das die EU dazu nutzt, um – wie Gulyás es auf der PK ausdrückte – „einen offenen, rohen, brutalen Machtkampf” gegen Ungarn zu führen.

Bei genauem Hinsehen enthält der endgültige Text des Ukraine-Deals tatsächlich eine sehr diskrete, winzige, – aber da sie neu hinzugefügt wurde – dennoch bemerkenswerte Referenz zu einem früheren Beschluss vom Dezember 2020. Demnach verpflichtet sich die EU, den Zustand der Rechtsstaatlichkeit in Ungarn fair und objektiv zu beeurteilen – also nach ungarischer Sicht das Gegenteil von dem, was die Kommission bisher getan hat („offener, roher, brutaler Machtkampf”). Immerhin hatte die Kommission vor dem letzten Ukraine-Gipfel im Dezember 10 Milliarden Euro für Ungarn freigegeben. Orbán hatte daraufhin auf sein Veto verzichtet bei der Entscheidung, EU-Aufnahmeverhandlungen mit der Ukraine zu beginnen.

Wer weiß, was die EU-Oberen Orbán nun versprochen oder nicht versprochen haben. Der Hinweis auf den Rechtstaatlichkeitsmechanismus mag bedeutungsvoll sein oder auch nicht. Rechtlich bedeutet er nichs, und historisch ist auf Zusagen der EU gegenüber Ungarn wenig Verlass – meistens läuft es so, dass wenn Budapest alle bekannten Auflagen erfüllt hat, um die Gelder zu bekommen, in Brüssel meist rasch neue Auflagen erfunden werden.

Aber wer weiß, vielleicht tut sich da etwas.

Zur Sache, also zur Ukraine: Ungarn war nie dagegen, der Ukraine zu helfen. Sondern nur dagegen, statt der Ukraine die EU selbst zu stärken. Denn so wurde das Paket in Budapest bewertet: Vor allem als Hilfe für eine weitere Zentralisierung der EU. Mehr gemeinsame Schulden, eine Ausweitung des EU-Haushalts, das wird in Ungarn als Instrument einer weiteren Föderalisierung der EU gesehen. Gemeinsame Schulden waren das, was die USA einst von einem Staatenbund zu einem Bundesstaat verwandelte. Streng genommen kann jedes EU-Land der Ukraine sowieso jederzeit so viel Geld geben, wie es will, gern auch viel mehr als nun vereinbart, und vor allem viel schneller. Es gibt keinen zwingenden Grund, warum das über die EU laufen müsste. Gemeinsame neue Schulden sind sogar etwas, was der Lissaboner Vertrag nicht vorsieht.

Im Vorfeld des Treffens hatte es in einem Bericht der Financial Times geheißen, die EU-Mächte hätten untereinander vereinbart, Ungarns Wirtschaft zu „sabotieren”, wenn Orbán wieder Nein sagt. In dem Fall werde man die ungarische Währung unter Druck setzten, sämtliche EU-Mittel für Ungarn dauerhaft blockieren, und ausländische Investoren in Ungarn abschrecken.

Orbán hatte das wiederum ein „Handbuch zur Erpressung” genannt – die EU habe jetzt ihr wahres Gesicht gezeigt. Wenn all das stimmt, scheint die Erpressung funktioniert zu haben. Orbán willigte ein, der Ukraine über vier Jahre hinweg, teilweise über Schuldenaufnahme, und aus dem EU-Haushalt heraus, wie ursprünglich vorgesehen 50 Milliarden Euro zu geben.

Wenn es so abgelaufen ist, dann dürfte jetzt allerdings auch klar sein, dass es der EU nicht um Rechtsstaatlichkeit geht, sondern um die Macht, und dass die EU-Institutionen und die europäischen Führungsmächte auch nicht davor zurückscheuen, schiere Macht anzuwenden, um ihre Ziele zu erreichen.

Ungarn wollte ursprünglich jährlich die Verwendung der Gelder prüfen, und über eine Fortsetzung jeweils abstimmen lassen. Stattdessen einigte man sich nun darauf, jährlich zu debattieren, aber erst nach zwei Jahren – und auch das nicht automatisch – über eine Fortsetzung der Hilfen abzustimmen. Nach welchen Regeln – unklar.
Immerhin ist es Orbán gelungen, auf diese Weise ein Minimum an Transparenz bei den Ukraine-Hilfen zu schaffen. Bei so viel Geld, über so lange Zeit, will man doch wissen, wie es verwendet wird, und ob es auch später noch nötig ist. Das sollte selbstverständlich sein – kam aber außer Ungarn niemandem in der EU in den Sinn. Orbán hat damit allen Europäern einen Dienst erwiesen.

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