„Hasta la vista, baby!“, das waren Boris Johnsons letzte Worte bei seinem mutmaßlich letzten Auftritt bei den Prime Minister’s Questions (PMQ) im britischen Unterhaus. Es war ein kämpferischer Abgang, und er könnte ein Nachspiel einläuten, das auf den ersten Blick phantastisch anmutet: Boris Johnson soll bald schon wieder den Parteivorsitz der Konservativen übernehmen und in dieser Position bei Wahlen zum britischen Unterhaus antreten. Eine entsprechende Petition haben inzwischen mehr als 10.000 konservative Parteimitglieder unterschrieben.
Angesichts von geschätzten 120.000 Mitgliedern insgesamt gilt das als schönes Quorum. Einer der Initiatoren, der Tory-Peer Lord Cruddas of Shoreditch, sagte: „Der von einer Minderheit der Abgeordneten erzwungene Rücktritt Boris Johnsons ist zutiefst anti-demokratisch.“ Missachtet worden seien dadurch gleichermaßen das Land und die konservativen Parteimitglieder, die Johnson beide mehrheitlich gewählt hätten. Die Vorgänge um Johnsons Rücktritt sieht Lord Cruddas als „Coup“. Er zeigte sich beschämt, dass so etwas „in Britannien, der Wiege der modernen Demokratie, passieren“ konnte.
Johnson selbst soll sich am Freitag auf dem Landsitz Chequers mit dem Lord getroffen haben. Cruddas deutet Johnsons „Hasta la vista“ im Lichte eines anderen Schwarzenegger-Terminator-Ausspruchs als „I’ll be back“ – „Ich komme wieder“.
Petition belegt die Verunsicherung der Basis
In der Petition fordern die Parteimitglieder, dass Johnsons Name neben denen von Sunak und Truss auf den Wahlzetteln stehen soll. Das scheint eher unwahrscheinlich. Was aber wichtig an der Initiative ist: Sie zeigt, wie sehr die konservative Parteibasis durch die Londoner Vorgänge gespalten ist. Die Johnson-Loyalisten in der Partei sind keineswegs ausgestorben. Viele Bürger finden die Westminster-Intrigen gegen ihn „schändlich“, vor allem weil die Wähler nicht befragt wurden. Am Ursprung von Johnsons Rücktritt wird letztlich auch eine Medienkampagne ausgemacht, mit der BBC als ewigem Schlachtschiff. Aber Tatsache ist, dass zuletzt auch das konservative Establishment von Johnson Abstand suchte, was wiederum nichts über den Wählerwillen aussagt. Die konservative Fraktion, also die Repräsentanten jener Wähler, hatte ihn jedenfalls nicht abgewählt.
Auf der anderen Seite könnte Johnson als Hinterbänkler im Parlament bleiben und dort auf seine zweite Chance warten – ähnlich wie Winston Churchill, der 1945 von den Briten abgewählt wurde, um 1951 als Premierminister zurückzukehren. Auch das scheint bei Johnsons Charisma und Wähler-Appeal keineswegs ausgeschlossen.
Sunak könnte der Lieblingskandidat von Labour werden
Zwischen „Liz for Leader“ Truss und „Ready for Rishi“ Sunak fand derweil eine TV-Debatte statt, in der sich die beiden Kombattanten über ihre Positionen zur Wirtschaftspolitik, die China-Politik und ihren persönlichen Hintergrund unterhielten: Sunak ist Multimillionär, der vielleicht reichste MP aller Zeiten, und das könnte ihm Ärger einbringen. Sein Finanzgebaren und seine Tätigkeit als Fondsmanager werden schon jetzt akribisch untersucht und hinterfragt. Insofern könnte Sunak zum Lieblingskandidaten von Labour werden.
Truss kommt aus eher bescheidenen Verhältnissen, auch wenn ihr Vater ein linker Mathematikprofessor war. Als junge Liberaldemokratin stellte Truss die Monarchie in Frage, was sie später nicht am Eintritt in die konservative Partei hinderte. Bisher war sie eine pragmatische Aufsteigerin, die aber gelegentlich mit geballten Überzeugungen überrascht. So kritisierte sie schon 2014 die übermäßigen Lebensmittelimporte des Königreichs mit den Worten: „Das ist eine Schande.“ Heute könnte man das für einen Vorgeschmack des Brexits halten, auch wenn Truss später für Remain warb. Inzwischen hat sie sich überzeugen lassen und stand mitunter an erster Front, wo sich Konflikte mit der EU ergaben – etwa beim Nordirland-Protokoll, das einer der bleibenden Streitpunkte ist.
Von dem Bannerträger Jacob Rees-Mogg wurde Sunak wegen seiner eher staatsnahen Position bereits als „Sozialist“ beschrieben. Sunak beschreibt die Pläne seiner Gegner als „Märchen“, die der finanzpolitischen Realität nicht standhielten. Die Rechten in der Partei sind der Überzeugung, dass sich die Steuersenkungen selbst tragen werden. Truss möchte so auch eine Rezession vermeiden und berief sich auf Wahlkampfaussagen der Konservativen, die versprochen hatten, keine Steuern zu erhöhen.
Beide Kandidaten gegen chinesischen Einfluss im Königreich
Dann ging es auch noch um die Kleidungsvorlieben der beiden Kandidaten. Sunak trägt angeblich sündhaft teure Anzüge, Truss eher günstigen Modeschmuck – zumindest wenn man ihrer Kabinettskollegin Nadine Dorries glauben mag. Truss wollte nicht weiter darüber diskutieren. Aber der Sinn solcher Bemerkungen (der redseligen Dorries) dürfte ohnehin eher darin liegen, an die Besitzverhältnisse von Sunak zu erinnern, um einen Keil zwischen ihn und die Basis zu treiben. Manöver wie dieses lassen einen Truss-Sieg wahrscheinlicher wirken.
Einig waren sich beide Kandidaten zu China, zu dem Großbritannien mehr Abstand gewinnen soll. Sunak will gar die Konfuzius-Institute der Insel schließen und vor allem den überbordenden Einfluss Chinas auf die Universitäten des Landes zurückschneiden, den kundige Beobachter seit langem beklagen. Sunak scheint damit Truss nachzueifern, die als Außenministerin schon länger kritische Töne zu China anschlägt, wo Sunak eher wirtschaftliche Chancen zu sehen schien.
Was aber wirklich an diesem Duell faszinierte, war die fast absolute Stille im Raum, während Sunak seine Gegnerin ziemlich beständig attackierte. Truss blieb ruhig und machte so Punkte. Laut einer Opinium-Blitzumfrage nach der Debatte liegen beide Kandidaten etwa gleichauf bei den Wählern aller Parteien. Sunaks gutes Ergebnis verdankt sich aber auch den Stimmen von Labour-Wählern. Bei konservativen Wählern schnitt Truss deutlich besser ab. Schon loben Kommentatoren Truss’ „hölzerne“ Art, die kein Hindernis sein müsse, wenn die Kandidatin nur dazu steht.
Johnson warnte unterdessen in einem Beitrag für den Daily Express vor den alten Gegnern des EU-Austritts vor allem in der Regierung selbst, die nur darauf warteten, sich erneut Brüssel anzunähern, und ihre „geheimen Pläne schmieden“ oder entsprechende Hashtags in den sozialen Medien verbreiten. Im Parlament hatte Johnson sogar vom „tiefen Staat“ gesprochen, der gegen seine Regierung und den Brexit Front gemacht habe.
In seinem Artikel erinnerte Johnson an die breite Unterstützung für jene politischen Ziele, die er vertreten hat. Man habe die Kontrolle zurückgewonnen, zitierte Johnson den alten Brexit-Slogan, nämlich „über unser Geld“, über die Grenzen des Landes und sein heute punktebasiertes Immigrationssystem, über die eigenen Gerichte und die Gesetzgebung des Landes. Letztlich habe man dafür gesorgt, dass die Briten in ihrem Parlament wieder über die eigene Zukunft entscheiden können.
Einer der populärsten Leserkommentare unter Johnsons Artikel stellt fest, dass es leider noch immer zu viele „blau-gesternte Wackeldackel“ gebe, die unfähig sind, das Ergebnis des Referendums zu akzeptieren. Die Erwartung des Lesers ist, dass Liz Truss diesen Stab von Johnson übernimmt. Ein anderer glaubt, dass keiner der Kandidaten ein zufriedenstellender Ersatz ist. Immerhin dürften aber beide Kandidaten bemüht sein, Johnsons Erbe in den genannten Punkten weiterzuführen. Auch die strikte Immigrationspolitik, die Johnson zusammen mit Innenministerin Priti Patel vorangetrieben hat, wollen beide noch konsequenter umsetzen.