Tichys Einblick
Staat im Staat

Die Twitter-Files offenbaren zunehmend Machtlosigkeit gegenüber dem Staat im Staat

Die neuen Twitter-Files zeigen wieder einmal die unzähligen Verbandelungen von Medien, Konzernen und (semi-)staatlichen Organisationen auf. Doch wirklich neu ist das nicht mehr. Stattdessen nimmt das Gefühl überhand, dass der Bürger erschreckend machtlos gegenüber den Machenschaften des Staates im Staat ist.

IMAGO - Collage: TE

Nach längerer Pause erschien vor einigen Tagen ein neuer Teil der Twitter-Files. Anstelle von Matt Taibbi und Michael Shellenberger, die bislang zu den aktivsten Aufdeckern zählten, meldete sich diesmal aber ein neuer Kommentator zu Wort, der Australier Andrew Lowenthal. Lowenthal bezeichnet sich selbst als „fortschrittlich denkend“, jenes selbst gewählte Etikett enttäuschter Liberaler, die vom Zeitgeist überrumpelt vor den Scherben ihrer vormaligen Überzeugungen stehen.

Lowenthal ist kein traditioneller Journalist, sondern war 18 Jahre lang „Executive Director“ von EngageMedia, einer NGO, die sich für Online-Menschenrechte, freie Meinungsäußerung und offene Technologien einsetzte. Seine Einsichten in die Twitter-Files konfrontierten ihn mit der harschen Realität, dass die Instrumente, die er dachte, zum Wohle der Menschen eingesetzt zu haben, ins Gegenteil verkehrt wurden und die Grundlage der erschreckenden Dystopie des „Zensur-industriellen Komplexes“ bildeten.

Lowenthal erlebte als Leiter von EngageMedia hautnah das Aufkommen der Anti-Desinformationskampagnen und erkannte frühzeitig, dass Narrative rund um sogenannte Fake News das Gegenteil erreichten von dem, was sie zu bezwecken vorgaben. In seinem Beitrag zu den Twitter-Files beschreibt er den Schrecken, mit dem er die weitreichende Allianz von Akademikern, Journalisten, Geheimdienstmitarbeitern, Militärs, Regierungsbürokraten, NGO-Mitarbeitern und vielen Anderen zur Meinungsregulierung wahrnahm.

Wenn Gesellschaftsverwalter Schach mit echten Menschen spielen

Was Lowenthal offenbart, ist nicht so sehr ein neuer Skandal, in dem Twitter oder eine Regierungsorganisation Aussagen von Trump oder sonst einer unliebsamen Figur unterdrückte, denn vieles ist mittlerweile tatsächlich Wiederholung bekannten Materials. Ob nun die vom Aspen Institute mit Mitwirkung zahlreicher Medienvertreter organisierte, zufällige Übung eines Szenarios, in dem ein Datenleak rund um Burisma, die ukrainische Firma mit engen Verbindungen zu den Bidens, bereits vor dem Skandal um Hunter Bidens Laptop durchexerziert wurde, oder die unzähligen gegenseitigen Einladungen zu Konferenzen, Übungen und „Brainstorms“ zwischen Regierungsverantwortlichen, Lobbyisten, Journalisten und anderen Meinungsmachern – all das ist mittlerweile nur noch in Detailfragen neu.

Einige dieser Details sind dennoch äußerst interessant. Der Direktor für Cyber Initiativen des Aspen Institutes, das die erwähnte Burisma-Übung organisierte, schrieb den Beteiligten nach der Veröffentlichung der Inhalte von Hunter Bidens Laptop eine Email, in der er darauf verwies, dass „wir bei unserer Burisma Übung diesen Sommer total versagt haben“, da die Teilnehmer an diesem realen Schachspiel Trumps Forderung „Sperrt ihn ein“ erst für Tag 9 eines solchen Skandals vorhergesagt hatten, der damalige Präsident diese Forderung aber bereits an Tag 3 nach der Veröffentlichung äußerte.

Einer der Beteiligten, „Stephen“, hatte offensichtlich davor gewarnt, dass die Dinge schneller gehen würden als prognostiziert, und wurde nun darin bestätigt. Stattdessen tröstete man sich damit, dass man bereits im August vorhersagte, Trump würde diese (fiktive?) Forderung am 13. Oktober stellen, er sie in der Realität aber erst am 16. Oktober aussprach, womit er „einige Tage hinter der Planung“ lag.

— NetworkAffects (@NAffects) April 25, 2023

Von Überraschung oder gar Schock über die zufällige Übereinstimmung zwischen Übung und Realität keine Spur. Inwiefern diese Email augenzwinkernd oder nicht aufzufassen ist, bleibt ebenso undeutlich, nicht zuletzt dank der zahlreichen involvierten Journalisten, die es vorzogen, für inoffizielle Privilegien die journalistische Sorgfaltspflicht gegen eine Schweigepflicht einzutauschen. Dies kommt auch in der fast schon infantil anmutenden Antwort des Chefredakteurs des Rolling Stone Magazins, Noah Shachtman, zum Ausdruck, der antwortete: „LOL! Ok, unter uns gesprochen, welche Theorie haben wir darüber, was hier passiert ist?“

Der verkaterte Morgen am Tag nach der Demokratie

Es ist nur ein Beispiel von vielen, das denjenigen, die noch daran glauben, der Souverän in einer Demokratie zu sein, die Sorgenfalten in die Stirn treiben müsste. Denn obwohl zu wenige Informationen vorliegen, um diese bizarre Situation eindeutig zu erklären (ohne ins Spekulative abzugleiten), so bedarf es einer fast schon unmenschlichen Menge an Naivität, um hier an eine reine Verkettung von Zufällen zu glauben, zumal keine der Reaktionen der Beteiligten einen Hinweis darauf liefert, dass man ob dieses Zufalls insgesamt überrascht ist, nur ob der Diskrepanz weniger Tage in der Reaktion von Donald Trump.

Die Twitter-Files haben sich zunehmend von der Berichterstattung über greifbare und relativ einfach lösbare Skandale innerhalb der Firmenstruktur von Twitter hin zur bislang vielleicht deutlichsten Dokumentation der weitreichenden Netzwerke des Staats im Staat entpuppt. Es ist allerdings mehr als bedauerlich, dass diese damit auch automatisch an ihre Grenzen stoßen, denn die Antworten auf die darin aufgeworfenen Fragen sind nicht einfach zu geben, ohne die gesamte Ordnung unserer Gesellschaft zu hinterfragen. So drohen sie zu verebben, denn während ein Skandal um übergriffige Twitter-Mitarbeiter nun, da Elon Musk das Ruder übernahm und diese mittlerweile ohnehin entlassen hat, zumindest das Gefühl erwecken kann, der Gerechtigkeit wurde Genüge getan, sind Enthüllungen über die Strukturen des Staats im Staat weitaus frustrierender, wenn niemand zur Rechenschaft gezogen wird.

Von wem auch? Sie stecken offensichtlich alle unter einer Decke, denn zwischen den Veröffentlichungen der Twitter-Files, von Project Veritas und den eigenen Recherchen von zum Beispiel Tichys Einblick muss man konstatieren, dass alle großen Konzerne, Medienhäuser, Regierungsorganisationen und selbst der darüber hinausgehende akademische Raum derart miteinander vernetzt sind, das eigentlich niemand übrig bleibt, um die Übeltäter zur Rechenschaft zu ziehen. Einzelne Bauernopfer sind lediglich dadurch zu erklären, dass manch einer den Bogen überspannt hat und womöglich intern nicht allzu beliebt war.

Das Ende der Demokratie oder die blaue Pille?

Zunehmend zeichnet sich ein Bild ab einer sich als elitär verstehenden Kaste gesellschaftlicher Verwalter, die als Politiker, Journalisten, Aktivisten, Lobbyisten, aber auch als akademische Vordenker und Ähnliches das Leben aller Menschen in den jeweiligen Ländern und letztendlich weltweit bestimmen wollen. Wie weit fortgeschritten dieser Prozess ist, zeigt sich nicht zuletzt an der Unverfrorenheit, mit der diese Dinge achselzuckend weggelacht werden, wenn sie denn einmal an die Öffentlichkeit dringen. Während der republikanisch geführte Justizausschuss in den USA eine Untersuchung zu den Twitter-Files einleitete, begnügt sich der „Zensur-industrielle Komplex“ damit, einige demokratische Politiker darauf anzusetzen, dies im Senat zu diffamieren. Die Presse schweigt dazu, ansonsten wird die Sache ausgesessen.

Ausgesessen wird die Sache, weil man es kann. Niemand mit tatsächlicher Macht sorgt für die Aufklärung der „Brettspiel Übung“ des Hunter-Biden-Skandals, die wenige Monate später fast punktgenau eintrat, ebenso wenig wie irgendjemand jemals die Hintergründe aufdecken wird, warum nur wenige Monate vor dem offiziellen Ausbruch von Covid-19 die „Event 201 Pandemie Übung“ von der Bill und Melinda Gates Stiftung durchgeführt wurde. Mittlerweile kann selbst eines der Liebkinder amerikanischer Progressiver, der ehemalige Late-Night-Satiriker Jon Stewart, in einem Gespräch mit einer ungarischen Oppositionspolitikerin der dortigen Presse Einseitigkeit vorwerfen, während er mit einem kaum unterdrückten Lachen darüber spricht, dass so etwas nie in den USA stattfinden könnte. Die dahinter liegende Implikation ist natürlich, dass „rechte Netzwerke“ wie Fox News drohen, die Meinungsbildung in den USA unipolar werden zu lassen, doch mutet diese Aussage angesichts der immer wieder zu Tage tretenden Realitäten wie spärlich verhüllter, blanker Hohn an.

Mit jeder veröffentlichten Email zwischen Twitter, Medienkonglomeraten, NGOs und Regierungsorganisationen offenbart sich nicht nur das Netzwerk des Staates im Staat, sondern vor allem auch die Machtlosigkeit der Bevölkerung an dieser Realität, irgendetwas zu verändern. Es darf befürchtet werden, dass diese deprimierende – wenngleich oftmals unausgesprochene – Einsicht dazu führen wird, dass die Menschen das Interesse an diesen Enthüllungen verlieren werden, da sie ihnen schon bald nur mehr schmerzlich bewusst machen, was sie ohnehin schon wissen, aber nicht verändern können.

So liegt die Zukunft entweder in einem naheliegenden Eingeständnis, dass das Zeitalter der Demokratie sich seinem Ende zugeneigt hat, oder in einer Wiederbelebung einer Scharade, in der alle Beteiligten die Lüge kennen, sich aber – ähnlich der blauen Pille in der Matrix – in einem Leben mit der Lüge wohler fühlen als in der Ausweglosigkeit der Realität.

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