In den ersten beiden Threads der „Twitter Files“ ging es bereits darum, wie Twitter verschiedene politische Debatten durch Unterdrückung von Meinungen, Unsichtbarmachen und offene Zensur beeinflusste. So gab es laut Bari Weiss (einst New York Times) Profile, die auf der „Trends Blacklist“ standen oder deren Reichweite nicht vergrößert werden sollte („do not amplify“). Zum Teil waren das wohl Entscheidungen im Sinne der Twitter-Hauspolitik, die man sich gewiss nicht unabhängig von politischen Strömungen vorzustellen hat.
Daneben nahm die höchste Politik selbst – nämlich das Weiße Haus – auf ziemlich direktem Wege Einfluss, um Grundrechte wie die Presse- und Meinungsfreiheit zu beschneiden, wie David Zweig herausarbeitete. Zunächst ging es unter Trump darum, Panikkäufe zu Beginn der Pandemie zu verschleiern, wobei es ebenso um Twitter wie um Facebook und Google ging. Dann verlangte die Biden-Administration, vermeintliche „Falschinformationen“ zu Covid, vor allem zu den Impfstoffen, zu zensieren. So forderte das Weiße Haus, dass Alex Berenson, auch er ehemaliger Investigativ-Reporter bei der heute vollkommen verwandelten New York Times und inzwischen langjähriger Kritiker der globalen Impfkampagne, von der Plattform vertrieben werden sollte.
Nun hat sich auch Berenson selbst, inzwischen wieder bei Twitter vertreten, mit einem Beitrag zu den „Twitter Files“ zu Wort gemeldet. Auch ihm hat Elon Musk Einblick in die Akten seiner Vorgänger beim Online-Forum Twitter gewährt. Auch in Berensons Thread geht es teils um Einflussnahme aus Regierungskreisen und die undurchsichtige Rolle der Twitter-Führung dabei. Die Hauptrolle übernimmt allerdings ein Pfizer-Vorstand, der die freie Debatte über die Covid-Impfstoffe unterdrücken wollte und dabei denselben Twitter-Kontakt nutzte wie das Weiße Haus.
Pfizer-Vorstand und Textwart: Scott Gottliebs Rolle als graue Twitter-Eminenz
Es geht um den Arzt und Investor Scott Gottlieb, der sich im Laufe seiner Karriere wendig zwischen dem privaten und dem öffentlichen Sektor hin und her bewegte. So war er immer wieder – zuletzt von 2017 bis 2019 als Behördenleiter – bei der Food and Drug Administration (FDA) tätig, die für die Freigabe von Medikamenten zuständig ist. Seit 2019 ist Gottlieb Vorstandsmitglied bei Pfizer, zuständig für Regulierungs- und Compliance-Fragen, und bezieht dafür 400.000 Dollar Jahresgehalt. Laut Berenson stritt er im Oktober 2022 im Fernsehkanal CNBC strikt ab, die Debatte über die mRNA-Präparate unterdrückt haben zu wollen. Aber genau dieser Eindruck entsteht, wenn man Berensons Recherchen verfolgt.
Aus diesen geht nämlich hervor, dass sich Gottlieb Ende August 2021 gleich in mehreren Fällen als eine Art „Textwart“ bei Twitter betätigte. In einem Fall ging es um einen Tweet seines kurzzeitigen Nachfolgers als FDA-Chef, des Kinderarztes Dr. Brett Giroir. Giroir hatte sich auf eine damals neue Studie bezogen und geschrieben, dass die natürliche Immunität gegen Covid-19 den neuen Impfungen überlegen sei. Die Centers for Disease Control and Prevention (CDC) ebenso wie Präsident Biden müssten nun „der Wissenschaft folgen“ und dürften nach vorangegangener Infektion keine Covid-Impfungen mehr empfehlen, verlangte Giroir in seinem Tweet.
Der Blick hinter die Kulissen zeigt nun, dass der Pfizer-Vorstand Gottlieb sich sehr bald nach Erscheinen des Tweets an den Washingtoner Twitter-Lobbyisten Todd O’Boyle wendete und ihm ohne Umschweife mitteilte, dass solche Nachrichten „zersetzend“ seien: „This is the kind of stuff that’s corrosive.“ Gottlieb befürchtete, dass der Tweet seines Kollegen und zeitweiligen Nachfolgers viel geteilt werden würde und er es am Ende sogar in die allgemeinen Nachrichten schaffen könnte: „… this tweet will end up going viral and driving news coverage“.
Offenkundig war, dass der kritische Tweet eines Arztes und Ex-FDA-Chefs die Verkaufschancen für jenes wichtige Pfizer-Biontech-Jointventure erheblich beeinflussen konnte. Wenn eine Infektion wirklich der Impfung vorzuziehen war, würden viele Menschen ihr Risiko vielleicht anders abwägen und gewichten. In nun nach außen gedrungenen Videos bestätigen sogar Forschungsmitarbeiter von Pfizer die These von Giroir.
Aus weiteren Videos des „Project Veritas“ wird derweil klar, dass der mRNA-Produzent Pfizer viel früher von den Gefahren seines Produkts wusste, als allgemein bekannt ist – beispielsweise da, wo es um das Risiko von Herzmuskelentzündungen geht.
Twitter-Mann vergaß, den Interessenkonflikt zu erwähnen
Der Washingtoner Kontaktmann O’Boyle leitete die Gottlieb-Mail umgehend an das Strategic-Response-Team von Twitter weiter. Dabei bezeichnete er den Sender allerdings nur als Ex-FDA-Chef und vergaß zu erwähnen, dass Gottlieb inzwischen für Pfizer arbeitete. Da man dem Tweet keine Falschinformation vorwerfen konnte, musste man sich in diesem Fall mit einem Hinweis begnügen: Der Tweet sei „irreführend“, Gesundheitsfunktionäre empföhlen die „Impfungen“.
Aber dieser Hinweis bedeutete auch, dass niemand auf den Tweet antworten konnte, noch war er zu teilen oder zu liken. In der Welt der Online-Kommunikation, zu der Twitter gehört, gleicht das einer Sperrung oder dem gänzlichen Verstecken in einer dunklen Kammer ohne Fenster. Der Tweet ist bis heute eine solche abgesperrte Monade, kann höchstens zitiert werden. Viele fragen sich, warum.
Kurze Zeit später, am 3. September 2021, fand Pfizer-Vorstand Scott Gottlieb einen Tweet des Lockdown-Kritikers und Impfstoffskeptikers Justin Hart anstößig. Hart hatte die Schulschließungen beklagt, die nicht zur sehr geringen Gefährdung der Kinder durch das Virus gepasst hätten. Es war die Zeit, als die mRNA-Stoffe auch für Kleinkinder (fünf bis elf Jahre) zugelassen werden sollten. Die provisorische Zulassung für den Pfizer-Stoff gab es am 29. Oktober 2021. Es lag daher nahe, Eltern von einer Covid-Gefahr für ihre Kinder zu überzeugen. Kurz zuvor hatte Justin Hart den Pfizer-Vorstand scharf kritisiert, als der sich für den Booster aussprach und die beiden ersten verimpften Dosen als „Grundierung“ bezeichnete. Vielleicht war auch dieser virtuelle Wortwechsel der Grund für Gottliebs dünnhäutige Reaktion.
Todd O’Boyle, der auch diese Intervention weiterleitete, vergaß wiederum, den Interessenkonflikt anzusprechen, in dem ein Pfizer-Vorstand sich für mRNA-Präparate einsetzt. Aber in diesem Fall gelang es nicht, Harts Tweet zu unterdrücken. Gottliebs Kritik am Kritiker war offenbar so abwegig, dass auch die alte Twitter-Führung nichts unternahm.
Berensons Sperrung – „Tony braucht Personenschutz“
Mit Gottlieb hatte aber auch Alex Berenson selbst zu tun in jenem Spätsommer 2021. Im Oktober letzten Jahres schrieb er ausführlich über eine Verschwörung einflussreicher Akteure, die sich zusammengetan hätten, um seine Meinungsfreiheit und die von anderen einzuschränken. Beteiligt daran seien neben Gottlieb auch das Weiße Haus unter Biden und der Gottlieb-Vertraute und Biden-Berater Andrew Slavitt gewesen. Am Ende wurde Berenson „dauerhaft“ von Twitter gesperrt. Der Journalist betrachtet das als eine Art Zensur. Erst ein knappes Jahr später, im Juli 2022, kurz bevor Twitter an Musk ging, wurde sein Profil wieder entsperrt.
Konkret beschwerte sich Gottlieb über einen kritischen Kommentar Berensons zum damaligen Präsidentenberater Anthony Fauci und dessen Arroganz. Auch in diesem Fall ging es Gottlieb erkennbar um die drohende Popularität von Tweets, die an der offiziellen Regierungslinie sägten. Sein Notruf war eindringlich: Solche Dinge würden auf Twitter populär gemacht, deshalb benötige Fauci nun „Personenschutz“, schrieb er („This is why Tony needs a security detail“). Und für den NIAIDS-Chef und Präsidentenberater Anthony Fauci war man offenbar bereit, die Twitter-Regeln zu beugen und die Meinungsfreiheit zu beschneiden. Einflussreiche Akteure wie Fauci, die jede Reichweite in den US-Medien erhielten, die sie sich wünschten, sollten auch in medialen Nebensystemen wie Twitter vor Kritik geschützt bleiben, während angesehene, aber kritische Stimmen wie die von Brett Giroir ausgeblendet wurden. Perfekter kann ein System der Gedankenkontrolle kaum stattfinden.
Natürlich hatte Berenson seine kritischen Ansichten schon früher in vielen Tweets verdeutlicht, so wenn er von dem neuen Typ Vakzin schrieb: „Es verhindert nicht die Infektion. Oder die Übertragung. Man sollte es nicht als einen Impfstoff ansehen, bestenfalls als ein Therapeutikum mit einem begrenzten Wirksamkeitsfenster und einem schrecklichen Nebenwirkungsprofil, das vor der Erkrankung verabreicht werden muss. Und wir wollen das verpflichtend machen? Wahnsinn.“ Der Fauci-Tweet könnte nur der letzte Tropfen und ein bloßer Anlass gewesen sein, um Berenson von der Online-Plattform zu vertreiben, die eigentlich schon seit 2014 laut eigenem „mission statement“ jedem die Möglichkeit geben wollte, Ideen und Informationen „unmittelbar und ohne Hürden“ zu teilen.