Tichys Einblick
Stichwahl in der Türkei

Kılıçdaroğlu: Werde alle Flüchtlinge nach Hause schicken

Vor dem zweiten und entscheidenden Wahlgang zu den türkischen Präsidentschatswahlen barmen deutsche Parteipolitiker, während dort ein Wettrennen um die bessere Flüchtlingspolitik ausgebrochen ist. Der Sozialdemokrat und Kemalist Kılıçdaroğlu hat Erdoğan in puncto Schärfe gerade überholt. Er fordert die Repatriierung aller Fluchtmigranten.

IMAGO / ZUMA Wire

Nun gehen Deutschlands Türkei-Politiker also wieder in den Warn- und Barm-Modus, rechtzeitig zum zweiten Wahlgang der türkischen Präsidentschaftswahlen. Der erwartete Wahlsieg Erdoğans in lässt ihnen keine andere Wahl. Sie haben nun Schlechtes für die deutsch-türkischen Beziehungen zu befürchten. Das bringt der moralische Kompass mit sich. Für Macit Karaahmetoglu, Bundestagsabgeordneter für die SPD und Präsident der Deutsch-Türkischen Gesellschaft, trägt mit diesem Wahlgang allein „Erdoğans Taktik, seine Gegner zu diffamieren“, Früchte. Und danach wird Erdoğan dann „wie nach jeder gewonnenen Wahl noch radikaler und autokratischer“ werden, ist sich Karaahmetoglu außerdem sicher. Und darunter ‚leiden‘ dann, man weiß es nun schon, die Beziehungen Deutschlands und der EU zur Türkei.

Aber auch das gilt nur bis zu einem gewissen Punkt. Denn Deutschland muss sich trotzdem „weiter mit der Führung des Landes … arrangieren“, so der SPD-Mann. Ebenso sieht es die CDU-Abgeordnete Serap Güler: „Wir dürfen die Türkei nicht verprellen, auch mit Erdoğan nicht.“ Kritisiert wird der türkische Präsident offenbar nur so lange, wie seine Wahl noch nicht entschieden ist, womit man aber auch nur die restlichen Erdoğan-Fans in Deutschland an die Urnen treibt – schon allein aus Trotz. Wenn die Würfel dann gefallen sind, setzen die deutschen Türkei-Politiker sofort die Segel in Richtung auf Völkerverständigung und – Aussöhnung mit dem inneren Erdoğan-Wähler, der ja morgen auch als Wähler von SPD oder CDU taugen könnte.

In der Tat spricht vieles – fast alles – für einen Erdoğan-Sieg. Da der amtierende Präsident schon im ersten Wahlgang einen Stimmenanteil von über 49 Prozent errungen hat, müsste ihm die Unterstützung des Nationalpopulisten Sinan Oğan die restlichen noch benötigten Stimmen verschaffen. Unterdessen ist sein Konkurrent, der Kemalist und Sozialdemokrat Kemal Kılıçdaroğlu (CHP), darum bemüht, über das engere linke Lager hinauszugreifen, indem er das Thema der Flüchtlinge und Migranten weiter zuspitzt. Kılıçdaroğlu hat angekündigt, die syrischen Flüchtlinge innerhalb von zwei Jahren in ihre Heimat zu schicken, und zwar nicht anders als die derzeitige Führung durchweg auf freiwilliger Basis.

„Entscheide dich, bevor die Flüchtlinge das Land übernehmen!“

Erdoğan habe das Land – gegen das Geld der EU – in eine „Abstellkammer für Flüchtlinge“ verwandelt, sagte der CHP-Kandidat nun bei einer Wahlversammlung in Antakya. Das sind Töne, die man vor einiger Zeit von den griechischen Ägäis-Inseln hören konnte und die sicher auch unter den Bürgern von Lampedusa oder den spanischen Kanaren durchaus vorkommen. Es wäre insofern nicht verwunderlich, wenn auch die Türken zu dieser Wahrnehmung ihrer Situation gekommen wären. Ein Wahlplakat Kılıçdaroğlus enthält den Text: „Entscheide dich, bevor die Flüchtlinge das Land übernehmen!“ Das klingt weitgehend, aber wer kennt die Dynamiken im Land so genau? Wie sieht es mit der Geburtenrate der Syrer und der der Türken aus?

Und in der Tat liest man immer wieder, dass Kılıçdaroğlu deutlichen Zuspruch für diese seine Ansichten bekommt. Das starke Erdbeben im Südosten der Türkei hat die Knappheit der Ressourcen hinreichend klar gemacht. Das gleiche gilt landesweit für die Inflation und ihre Auswirkungen: Sie verdeutlichen noch dem Letzten, dass die Geldmittel auch des Staates endlich sind. Ob es am Ende reichen wird und das konservativ-islamische Bündnis zwischen Erdoğan und einem Ultranationalisten auf dieser Grundlage zu schlagen ist, bleibt aber fraglich.

Zu fest gemauert scheint auch in der Türkei die Allianz zwischen den Wählern aus der Provinz und ihrem Vertreter Erdoğan. Dem Herausforderer Kılıçdaroğlu bleiben nur die „aufgeklärten“, mehr oder minder westlich orientierten Städter als Wählerreservoir und einige Kurden, die in ihm sozusagen den Protest gegen die kriegführende Türkei wählen. Das aber ist die Koalition, die in der Türkei nun seit über 20 Jahren keinen Fuß mehr auf den Boden gekriegt hat, auch wegen der Knüppel, die ihr zwischen die Beine geworfen werden, aber vielleicht nicht nur. Warum sollte es dieses Mal anders sein?

Fünf Jahre mehr vom gleichen

Erdoğan setzt zudem seine Medienmacht geschickt ein, um unentschiedene Wähler auf seine Seite zu ziehen. Auch das ist leider in kaum einer Demokratie der westlichen Welt so viel anders. Man könnte zynisch sagen, das gehöre mit zum ‚Bonus‘ eines Amtsinhabers, dass er über staatlich beeinflusste Medien in gewissem Maße bestimmen und verfügen kann.

Zuletzt hat auch Erdoğan im Endspurt zur zweiten Runde häufiger als vorher die Repatriierung von einer Million Syrern erwähnt. Sozusagen zu diesem Zweck hat der Präsident einen Landstreifen in Nordsyrien erobert und will dort nun neue Städte errichten und mit „repatriierten“ Syrern bevölkern, die doch nie auf diesem Fleck gelebt haben. Das Unternehmen ist im vollen Gange. Ein Retorten-Syrien entsteht an der nördlichen Landesgrenze und könnte in Zukunft noch für geostrategische Unruhe in der Region sorgen.

Denn an diesem Sonntag ist damit zu rechnen, dass Erdoğan weitere fünf Jahre bekommt, um seine Politik in Nordsyrien und dem Nordirak (auch in Libyen) fortzuführen. An den Vereinbarungen mit Deutschland und der EU wird sich deshalb wohl auch nichts ändern. Noch immer sorgt Merkels Türkei-Deal für direkte Überführungen von Syrern nach Deutschland, wie erst dieser Tage wieder auffiel. https://www.tichyseinblick.de/daili-es-sentials/union-baerbock-ngos/ Das ist – zusammen mit den versuchten Grenzstürmen und den Bootsüberfahrten – die andere Seite von Erdoğans Migrationspolitik, die insgesamt zwischen Scheitern, Grenzschutz-Verweigerung und islamophiler Begünstigung der illegalen Migration pendelt. TE berichtete auch darüber.

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