Tichys Einblick
Prag auf Anti-EU-Kurs?

Wahl in Tschechien: Ein getarnter EU- und Klimaskeptiker kommt an die Macht

Stellt sich Tschechien in die Reihe der EU-kritischen Staaten Osteuropas neben Ungarn, Polen und Slowenien? Wahlsieger Petr Fiala führt die Partei ODS des liberal-konservativen Vaclav Klaus zum Erfolg. Im Wahlkampf gab er sich zunächst EU-konform, doch wegen Inflation und Energiekrise könnte er seinen Kurs bald ändern.

picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Darko Bandic

Ein linker Oligarch, Multimiliardär mit kommunistischer Vergangenheit, noch tschechischer Ministerpräsident, wurde gerade abgewählt. Mit 27 Prozent unterlag er knapp einer Koalition Spolu („Miteinander“) aus Konservativen, Christdemokraten und Liberalen. Die bürgerliche Spolu verfügt zusammen mit einem eher linken Bündnis über 108 der 200 Parlamentsitze. Von Babiš zogen zwei bislang mit ihm verbündeten Klein-Parteien, Sozialdemokraten und Kommunisten die Wähler ab, die aber beide aus dem Parlament verschwinden – mit dem Ergebnis, dass  Babiš jetzt diese Verbündeten fehlen. Steht Tschechien damit vor einem Rechtsruck im Stile Polens, Sloweniens und Ungarns?

Rechtsruck in Tschechien?

Den Eindruck, dass hier ein Rechtsruck geschieht, verstärkt noch das schockierende Ergebnis innerhalb der linken Koalition der Wahlverlierer. Diese Parteien, die mit Ivan Bartoš, einem jungen IT-Mann mit Dreadlocks, Anspruch auf den nächsten  Ministerpräsidenten erhoben, schrumpfen von 22 auf 4 Mandate. Die Piraten, im EU-Parlament mit den deutschen Grünen in einer Fraktion zusammengeschlossen, waren lange, bis in den Frühling dieses Jahres, in den Umfragen die ausgemachten Wählerliebling. Der linke Block (Pirátostan) punktete in Umfragen mit bis zu 35 Prozent. Je näher am Wahltag, desto klarer wurde aber, dass die Piraten eigentlich „woke“ sind, also Anhänger der kulturkämpferischen linken Ideologie von Anti-Rassismus, Globalismus bis Genderismus. Tschechen halten von dieser progressiven Linken nichts.  Wähler nutzten massiv die Möglichkeit, durch Präferenzen in der Koalitionsliste fast alle Piraten „auszukreuzen“, womit die linke Koalition in sich nach rechts rückte. Über diesen Meinungsumschwung ist Bartoš sichtlich noch mehr erschüttert als Annalena Baerbock, der ebenfalls die Wähler abhanden kamen, je mehr sie als Person sichtbar wurde.
 Aber wer ist der nächste Ministerpräsident? Kann er die Verhältnisse in Brüssel verschieben?

Schwenkt Tschechien auf Orbán-Kurs ein?

Bei den Eurokraten gelten derzeit alle, die noch persönlich gegen den sowjetischen Totalitarismus und seine Polizeiregime gekämpft haben, als Rechtspopulisten, sogar als Gefahr für die „liberale Demokratie“: der Ungar Viktor Orbán, der Pole Mateusz  Morawiecki, der Slowene Janez Janša. Der Tscheche Petr Fiala, 57 Jahre alt,  Katholik und Konservativer, ist auch ehemaliger Dissident. In den Achtzigern war er auf der Untergrunduniversität Student des englischen  
Philosophen
 Roger Scruton (Scruton wurden 1985 von der geheimen Polizei während einer seiner Reisen verhaftet und aus der Tschechoslowakei ausgewiesen).

Nach der Wende gründete Fiala im mährischen Brünn mit ein paar Freunden  mit ein paar Freunden einen soliden konservativen Think-Tank und erhielt zugleich einen Uni Lehrstuhl für Politologie. Seit 2013 leitet er die einst mächtige bürgerliche Demokratische Partei ODS, die unter dem liberal-konservativen Titan tschechischer Politik Václav Klaus die große Transformation vom Kommunismus vollbracht hatte, ehe sie abgewählt wurde. Fiala  schrieb viel über die Europäische Union, und zwar durchaus kritisch. Als er die ODS übernahm, kritisierte er unter Applaus seiner Parteifreunde die EU-Klimapolitik:
„Gibt es zu hohe Energiepreise für die Haushalte und Unternehmen?
 Also legen wir Prozentsätze der Erneuerbaren fest, verbieten Kernenergie, verteuern Energie noch mehrfach und gleichzeitig glauben wir, dass wir dadurch wettbewerbsfähiger werden. Der Rest der Welt pfeift aber auf solchen ideologischen Unsinn und macht, was ihm Vorteile bringt. Findet ihr das logisch? Ich also nicht. Die Politik der EU ist gegen gesunden Verstand (..) Wir verhalten uns wie Verrückte,
 die glauben nämlich auch, dass sie eigentlich normal sind.“

Seitdem ist bekanntlich die Klimapolitik der EU nur noch radikaler geworden – allerdings hat sich Fiala im Mai dieses Jahres zum Green Deal bekannt, obwohl ODS-Abgeordnete im EU-Parlament gegen Klimaziele und Klimagesetze stimmen. Fiala im Mai: „Green Deal ist Realität. Es hat keinen Sinn mehr, zu spekulieren, ob es anders sein könnte. Jetzt müssen wir die Gelegenheit nutzen (…)“.  Es war eine fatale Wende, Folge seiner ganz persönlicher Schwäche: Fiala wirkt hölzern, spricht abstrakte, sehr langweilige Sätze, dazu hat er noch einen südmährischen Akzent, der den meisten Tschechen komisch klingt.
 Noch im September hielt nur ein Viertel der Befragten in Umfragen Fiala überhaupt für tauglich, das Amt des  Ministerpräsidenten auszuüben. Also musste ODS mit zwei kleineren, zentristischen Parteien koalieren, die beide „proeuropäisch“ sind.
 Dieses Dreierbündnis war entschlossen, sich bis zur Wahl in den wirklich kontroverseren Themen durchzuschweigen. Das Bündnis blieb meistens stumm während der Lockdowns, obwohl die ODS aus internen Umfragen genau wusste, dass deutliche Mehrheit ihrer Stammwähler gegen Schliessungen, vor allem Schliessungen von Schulen, war.

Schon hier zeigte sich, wie ängstlich diese Kohorte von Oppositionspolitikern ist und  klare Konfrontation scheut. Das war der Fall auch mit Klimapolitik, die er nicht mehr zu kritisieren wagte. Die Babiš-Regierung, die für den Green Deal in der EU gestimmt hatte, und die Opposition schlossen hier ein faktisches Schweigekartell. Im Wahlkampf brach jedoch die Realität durch: Berichte über zu erwartende hohe Preise, Verfestigung des Klimaradikalismus in Deutschland, Energiekrise in England, das alles führte in den letzten TV-Debatten zu zaghaftem Streit um diese Positionen.

Alle Politiker, sogar die Piraten, nahmen Abstand vom EU-Green Deal. Babiš und Fiala taten so, als liesse sich mit der EU über den Preiss der C02-Zertifikate neu verhandeln. Und dass man das Verbot von Verbrennungsmotoren wohl noch mal aufheben könne.  Doch gegen Ende des Wahlkampfs wurde zunehmend klar, dass Fiala auf seinen ursprünglichen Kurs der Kritik an der EU und ihrer Klimapolitik zurückkehren wird. Ein intimer Freund von Petr Fiala aus seinem Kreis in Brünn sagte mir privat, man solle nicht allzu kritisch zu „Petr“ sein.
 „Erst muss er an die Macht kommen, dann kann er seine wahre Absichten Schritt für Schritt verwirklichen“. Ob Fiala mit
 einer solchen Taktik ein anderer Morawiecki oder Orbán in der EU werden kann, klingt zunächst unwahrscheinlich. Andererseits sind die Tschechen im Rahmen der Visegrád-Staaten am meisten EU-skeptisch, nur 41 Prozent halten die Mitgliedschaft in der EU noch für positiv. Wenn auf die Inflation noch grüne Teuerungen folgen, ist vieles möglich – auch eine Kursänderung im Sinne der polnischen und ungarischen Nachbarn.

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