Am siebten Tag der Unruhen nach dem Tod eines schwarzen US-Bürgers im Zuge seiner Festnahme zog man eine Art Bilanz am Ort des ursprünglichen Geschehens. Minneapolis, größte Stadt von Minnesota, ist schwer getroffen von gewaltsamen Protesten, Plünderungen und Brandstiftungen. Wir brauchen diese Geschäfte, Apotheken und Banken, hatte Jacob Frey, der linke Bürgermeister der Stadt, am Freitag in einer dramatischen Pressekonferenz gesagt. Tatsächlich haben die Einwohner derjenigen Bezirke, in denen die Unruhen am heftigsten wüteten, derzeit Probleme, an Lebensmittel zu kommen. Bürger aus anderen Gegenden hinterlassen ihnen Einkaufstüten mit dem Nötigsten am Wegesrand.
Es ist, als hätte eine Naturkatastrophe durch Minneapolis und seine „Zwillingsstadt“ St. Paul gefegt. Nun müssen Geschäftsstraßen regelrecht wieder aufgebaut werden. Der regionale Fernsehsender Fox9 informiert die Bürger von Minnesota darüber, wie sie die Zwillingsstädte am besten unterstützen können. An mehreren Stellen wird um Spenden gebeten: Lebensmittel, Drogeriewaren, Tierfutter. In einer gemeinsamen Anstrengung werden die Straßen gesäubert.
In seiner Rede vom Montag machte Trump deutlich, dass er solidarisch mit allen Opfern der gewaltsamen Unruhen ist. Nach und nach zählte er sie auf: Kleinunternehmer verloren ihr Betriebskapital. Ein junger Mann in Dallas sei sterbend auf der Straße liegen gelassen worden. Verschiedentlich wurden Polizisten angeschossen. In St. Louis, im Bundesstaat Missouri, waren es allein vier. Laut dem schwarzen Polizeichef der Stadt waren dort 200 »Kinder« einzig und allein zum Randalieren und Plündern zusammengekommen. Ein »Feigling« habe dann die Schüsse abgefeuert. Der Polizeichef versteht einfach nicht, »was das mit dem Tod von George Floyd zu tun hat«. In Las Vegas starben ein Polizist (nach einem Kopfschuss) und ein bewaffneter Zivilist.
Wie gekonnt diese Rede geschrieben war, merkt man an den Wortverbindungen, die nun folgen und den Präsidenten selbst mehr als nur symbolisch als Wahrer von »Recht und Ordnung« einsetzen. Wörtlich spricht Trump von sich als dem »Präsidenten von Recht und Ordnung«. Oder auch: »Wir haben ein Gesetz, ein wunderschönes Gesetz.« Und auch wenn es sich um Stilblüten handelt, dann sind das zumindest keine Worthülsen, eher schon Antworten auf die Rechtlosigkeit der Randale und der dabei freigesetzten kriminellen Energien. Das kann nur leider keiner auf der anderen Seite des Grabens wahrnehmen, was aber vielleicht auch verzichtbar ist.
Vom normalen Leben, das wiederkehren muss
Zuletzt kommt Trumps Drohung an alle saumseligen Gouverneure und Bürgermeister: »Wenn eine Stadt oder ein Staat sich weigert, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um das Leben und Eigentum ihrer Einwohner zu verteidigen, dann werde ich das Militär der Vereinigten Staaten einsetzen und das Problem sehr schnell für sie lösen.« Trump machte damit klar, dass er bereit ist, den sogenannten Insurrection Act von 1807 zu bemühen, falls die Bundesstaaten sich unfähig zeigen, die öffentliche Ordnung wiederherzustellen. Das Gesetz von 1807 erlaubt es dem Präsidenten, das Militär auch im Inneren – etwa gegen Aufständische – einzusetzen. Seit 2006 darf der Präsident die Armee außerdem bei Naturkatastrophen und »terroristischen Angriffen« einsetzen. Hier könnte auch die Erklärung der Antifa zur terroristischen Vereinigung nützlich werden.
Die Rede von »Einwohnern« hat hier viel mit dem normalen Leben zu tun. Trump spricht nicht pathetisch von den Bürgern, sondern von den normalen Bewohnern einer Stadt oder eines Landstrichs, die einfach ihrem Leben nachgehen wollen, ohne dabei gestört zu werden.
Auch das so viel kritisierte Photo vor der St. John’s Episcopal Church, der Kirche der Präsidenten in unmittelbarer Nachbarschaft des Weißen Hauses, drückte im Grunde dieses Bekenntnis Trumps zum normalen Leben aus, das in den letzten Tagen zum Opfer der Randale geworden ist – auch wenn die Bischöfin der zugehörigen Diözese und manch anderer das nicht einsehen wollten.
Diese Mischung aus »positive thinking« und einem Aufruf zur nationalen Einheit könnte durchaus beim amerikanischen Wahlvolk im Herbst verfangen. Und darauf wird es zuletzt ankommen. Bis dahin kann das Chaos für Trump noch etwas weiter andauern.
Noch einmal zur eng umgrenzten Ursache: Der Tod Floyds
Die staatliche Beschwerdeschrift gegen Derek Chauvin spricht davon, dass sich George Floyd mehrfach absichtlich fallen ließ, um nicht in den Polizeiwagen einzusteigen. Das kann man auch auf den verschiedenen Videos sehen. Oder war das Niedersinken durch die Drogen Fentanyl und Methamphethamin ausgelöst, die bei Floyd nachgewiesen wurden? Dass er behauptete, klaustrophobisch zu sein, könnte dagegen auf seinen Unwillen, ins Auto einzusteigen, hindeuten.
Daneben heißt es in der Beschwerdeschrift: »Während er neben dem Wagen stand, begann Mr. Floyd zu sagen und zu wiederholen, dass er nicht atmen konnte.« Ist das durch die Körperkameras der Beamten belegt? Oder ist es eine Aussage der Polizisten? Im letzteren Fall könnte es eine deckende Aussage zu eigenen Gunsten sein. Wäre es so gewesen, dann wiese es darauf hin, dass Floyd schon vor der Fixierung durch Chauvin und seine Kollegen unter Atembeschwerden litt.
Zuletzt wird noch das Untersuchungsergebnis des Amtsarztes erwähnt, der keine Zeichen für eine gewaltsame Strangulation Floyds fand, wohl aber die Fixierung durch die Polizisten unter die möglichen Ursachen seines Todes rechnete – ebenso wie die Erkrankung seiner Herzkranzgefäße, seinen Bluthochdruck und eventuellen Drogenmissbrauch. Der Vorwurf gegen Derek Chauvin lässt sich kurz so zusammenfassen, dass er durch seine Ausbildung um die Gefährlichkeit der Fixierung durch Knie im Nacken wusste und diese Position noch für knapp drei Minuten aufrechterhielt, nachdem Floyd bereits das Bewusstsein verloren hatte. Es bleibt bei der Uneinigkeit der beiden veröffentlichten Autopsien, von denen die eine von einem »Stillstand von Herz und Lungen« spricht, während die andere von Floyds Tod durch Atemnot (Asphyxie) ausgeht, gleich ob dieselbe durch innere oder äußere Ursachen zustande kam.