Seit Wochen steht die gesamte europäische Öffentlichkeit im Banne der US-Wahlen – kein Wunder, sind die Vereinigten Staaten doch zumindest in unserem Teil der Welt der unbestrittene Hegemon und üben in politischer, militärischer, wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht einen Einfluß aus, den kaum jemand bestreiten würde, egal, ob man ihn nun positiv oder negativ bewertet: Ob man nun eine Vertiefung der atlantischen Allianz wünscht, einen Anschluß an das eurasische Bündnis oder eine Schaukelpolitik zur schrittweisen Emanzipation Europas als eigenständigem Machtblock – an einer wie auch immer gearteten intensiven Auseinandersetzung mit den USA geht kein Weg vorbei. Was bedeuten nun die Wahlen für unsere Zukunft? Und was hat der Untergang der römischen Republik damit zu tun?
Machtpolitik: More of the same
An der Oberfläche hätten wir natürlich die unmittelbare Machtpolitik. Hier ist es alles andere als ein Geheimnis, daß die USA sich darauf vorbereiten, in der multipolaren Welt der Zukunft auch weiterhin mindestens einen Ehrenvorrang zu beanspruchen, und daher ihren größten Rivalen, China, in den nächsten Jahren daran hindern müssen, zu einer echten Gefahr zu werden: Darauf, und nicht auf den überalterten, überfremdeten und überholten europäischen Hinterhof, wird sich ihre Aufmerksamkeit konzentrieren. Ob Trump diesen Sachverhalt den Europäern mit brutaler Offenheit oder Harris ihn mit moralinschwerer Obama’scher Motivationsrhetorik klarmacht, wird dabei de facto auf dasselbe hinauslaufen.
Ebenso dürfte der Krieg in der Ukraine von beiden wohl nur deshalb weitergeführt werden, um Rußland demographisch und wirtschaftlich so lange wie möglich ausbluten zu lassen, ohne einen Zerfall des Landes zu riskieren, dann aber rasch beendet werden: Daß sich in der Ukraine langfristig eine koreanische Lösung anbahnt, dürfte beschlossene Sache sein, wie auch die Europäer nur zu gut wissen und daher wohl kaum weitere größere Ausgaben auf den Krieg verbuchen werden.
So oder so ist also klar, daß Europa in Zukunft kaum wie bislang als bloßer Trittbrettfahrer des US-Weltpolizisten weitermachen kann und vom neuen Präsidenten stärker denn je zur Kasse gebeten werden wird, um seine „Verteidigung“ (im Einklang mit den US-Interessen) selber zu finanzieren. Der große Unterschied besteht nur darin, daß die gegenwärtigen europäischen Machteliten ganz auf die komplementäre Zusammenarbeit mit den US-Demokraten ausgerichtet sind und eine Präsidentschaft Trumps hier eine gewisse kognitive Dissonanz schaffen würde: Man würde zwar in diesem Fall in etwa dasselbe Aufrüstungprogramm verabschieden und an die US-Bedürfnisse anpassen, es rhetorisch aber nicht als Freundschaftsdienst, sondern als Doppelwumms des konstruktiven Mißtrauens und der demokratischen Selbstbestätigung tarnen.
Freilich: Trump ist zuzutrauen, durch direkte persönliche Diplomatie und einen gewissen Isolationismus eine verlangsamende Wirkung auf die sich anbahnenden Machtprobe mit China auszuüben; an der allgemeinen machtpolitischen Dynamik wird er allerdings nichts ändern können, und ist die Wahrung seiner Selbstachtung in Gefahr, könnte sich auch Trump schnell von der (polternden) Taube zum Falken verwandeln.
Kulturpolitik: Frei oder woke
Dann wäre da der kulturelle Einfluß der USA: Viele Europäer und Amerikaner hoffen zwar, daß eine Wahl Donald Trumps die gegenwärtige Allmacht der woken Ideologie mitsamt ihrer intersektionellen Speerspitze brechen und auch die hochproblematischen und ebenso korrupten wie ideologisierten Netzwerke zwischen Polit-Elite, Filmindustrie und Kunstwelt aufbrechen könnte, doch haben sich ähnliche Erwartungen schon beim letzten Mandat als weitgehend überzogen herausgestellt. Ein Narrativ ablehnen ist das eine; ihm erfolgreich ein anderes entgegensetzen, gerade im Kulturbereich, ist etwas völlig anderes – auch in Europa. Denn man mag das gegenwärtige Netflix-Universum zwar mit guten Gründen ablehnen, es kommt aber letztlich darauf an, selber gute Filme zu schaffen, Bücher zu schreiben, Musik zu komponieren, Bilder zu malen oder ganz allgemein die Einbildungskraft anzuregen.
Sicherlich ist die Polarisierung der Vereinigten Staaten erheblich weiter fortgeschritten als vor acht Jahren, und auch der Beraterstab um Trump scheint gefestigter und radikaler zu sein als damals, als die republikanische Partei noch nicht in diesem Maße unter den Einfluß des neuen Volkstribunen geraten war. Trotzdem darf man nicht unterschätzen, daß jene Eliten, die die Schnittstellen von Politik, Wirtschaft, Medien und Entertainment kontrollieren, letztlich über alle Parteigrenzen hinweg eng miteinander verwachsen sind: Wie im alten Rom ist auch der „populistische“ Widerstand Fleisch vom Fleisch des nobiliaren Establishments und weiß nur zu genau, daß im Kampf gegen die Optimaten gewisse Grenzen der eigenen Machtsteigerung nicht überschritten werden dürfen, ohne einen brutalen Bruderkrieg hervorzurufen, den letztlich niemand wollen kann – auch wenn die Tendenz, ihn gewissermaßen „schlafwandlerisch“, Schritt für Schritt herbeizurufen, heute ebenso wie im 1. Jh. v.Chr. immer größer wird.
Für Europa bedeutet dies, daß der kulturelle Würgegriff des Wokismus im Falle eines Wahlsiegs von Harris stärker denn je werden würde, zumal die zu erwartende relative Knappheit des amerikanischen Wahlsiegs alle Alarmglocken zum Klingen bringen. Gelangt allerdings Donald Trump an die Macht, und gelingt ihm zumindest teilweise eine „konservative“ Kulturpolitik, dürften sich die europäischen Eliten umso bedrohter fühlen und bis auf ein paar kosmetische Zugeständnisse ihre Politik ebenfalls systemisch verhärten; es würde sich dann nur die Frage stellen, inwieweit die meist antiamerikanisch gesonnenen rechten europäischen Eliten bereit wären, transatlantische Unterstützung für den eigenen Kulturkampf zu übernehmen, oder sie sich vielmehr ganz in ihren Eurasianismus verrennen wollen.
Trump und Harris – und die späte römische Republik
Für viele mag es paradox klingen, aber ein Sieg Trumps würde wohl die grundlegenden sozialen und politischen Paradigmen der USA langfristig am wenigsten infrage stellen. Sicherlich dürfte ein Sieg des oft bärbeißigen, erratischen und pöbelnden Volkstribunen die Polarisierung des Landes weiter zuspitzen, und es steht außer Frage, daß er aus reiner Überlebensnotwendigkeit die präsidialen Befugnisse erheblich weiter ausdehnen dürfte als vor 8 Jahren.
De facto aber dürfte sein Sieg weiterhin allen Akteuren ein ziemlich freies Spiel der Mächte sichern: Trump steht in vielerlei Hinsicht noch für die „alten“ USA der hemdsärmeligen, liberalen, bodenständigen und unbeirrbar optimistischen Mittelständler und Arbeiter. Harris allerdings steht für eine Demokratie des neuen Typus, wie sie sich schon unter dem Schattenmann Obama ankündigte, der auch heute der echte Strippenzieher im demokratischen Lager ist:
Totale Kontrolle über Medien, Kultur und Bildungssystem; massive Instrumentalisierung der sozialen Medien; enge Zusammenarbeit zwischen Deep State, Geheimdiensten, Big Tech und Finanzwelt; millionenfacher Stimmenkauf durch Import fremder Wähler; das Ganze legitimiert durch eine unversöhnliche, gerade apokalyptische Diffamierung des „alten weißen Mannes“ und seiner großartigen Zivilisation durch die „intersektionale“ Anstachelung aller Gegenkräfte von feministischen über sozialistische bis hin zu (anti-weißen) rassistischen Ressentiments: Ein Wahlsieg von Kamala Harris würde die Freiheit der USA langfristiger und wirksamer kassieren als ein erneuter Einzug Trumps ins Weiße Haus.
Wenn Donald Trump mit seinem Charisma und seiner autoritären Rhetorik nicht ohne Grund stark an die popularen Volkstribunen der späten Republik erinnert, würde sein Sieg doch bedeuten, daß den „alten“ USA noch eine kurze Schonfrist eingeräumt wird; Harris hingegen steht für eine autoritäre Verengung der USA unter den Auspizien der woken Ideologie und der Festigung der gegenwärtigen Herrschaftsclique – auch dies nicht ohne Anklänge an die späte römische Republik und hier vor allem die Figur des Pompeius, in dem sich bereits wesentliche Züge des späteren Principats des Augustus abzeichneten – eine Parallele, die ich schon vor 8 Jahren in einem Beitrag für die Belgische Akademie der Wissenschaften gezogen hatte, und die sich auch auf die Situation vieler europäischer Staaten ausdehnen ließe.
Elon Musk: Der „Joker“
Während bisher die großen Oligarchen der spätabendländischen Zivilisation sich diskret auf den weiteren Ausbau ihrer Monopole beschränkt und ihren Einfluß stillschweigend den Demokraten zur Verfügung gestellt haben, hat Musk aus seinem eigenen Ehrgeiz echt cäsaristisch eine „Marke“ gemacht und ihn massiv politisiert; ein Schritt, dessen Bedeutung wohl erst in Zukunft ganz ermessen werden kann.
Denn der totale Kampf zwischen den gewaltigen technologischen und finanziellen Machtmitteln der neuen Cäsaren steht erst ganz an seinem Anfang und dürfte mit den neuartigen Mitteln von künstlicher Intelligenz, sozialen Medien, Algorithmen und Kryptogeld ausgefochten werden, deren Einfluss alles andere als auf den virtuellen Raum begrenzt ist, sondern unmittelbare Auswirkungen auf die Realität hat – und zwar nicht nur „mostly peacefully“. Musk dürfte in Trump wohl den idealen Kandidaten sehen, um seine eigene Machtbasis systematisch auszubauen und seinen privaten Ehrgeiz ganz mit institutionellen Machtmitteln der Vereinigen Staaten zu verknüpfen, bis die Zeit reif ist, selbst einmal, direkt oder indirekt, die Zügel in die Hand zu nehmen.
Über Musk, einen der letzten „faustischen“ Menschen, den man in seinem Ehrgeiz, den Mars zu kolonisieren, wohl nur mit Cecil Rhodes gleichsetzen kann, der Afrika vom Kap bis Kairo erobern wollte, ließen sich ganze Bände schreiben; nur so viel sei hier angedeutet, daß die wahre transformative Kraft in der US-Politik wohl in Zukunft von ihm ausgehen dürfte: Trump alleine dürfte über die letzten Endes rückwärtsgewandte Agitation eines Catilina oder Clodius nicht hinwegkommen, während Obama und Harris für eine Verhärtung der gegenwärtigen optimatischen Tendenzen zum autoritären woken Demokratismus stehen. Um eines Tages den Rubicon zu überschreiten, bedarf es allerdings eines Elon Musk.