Tichys Einblick
The Donald liest Europäern die Leviten

Trump: verstörender Wahlkämpfer, verlässlicher Politiker?

Donald did it again! Ex-Präsident Trump tat’s schon wieder. Provokante Worte über angeblich feige, unzuverlässige Europäer im Vorwahlkampf um die Präsidentschaft – und der Aufschrei der „Öffentlichkeit“ ist ihm gewiss. Bei vielen ist die Schnappatmung der Empörung nicht zu überhören.

Donald Trump, South Carolina, 25. Januar 2024

IMAGO / ZUMA Wire

Vom Weißen Haus und New York Times (NYT) angefangen bis hin zum Nato-Generalsekretär und deutschen Politikern scheinen alle entsetzt: Trump habe Russlands Präsidenten Wladimir Putin geradezu aufgefordert, europäische Staaten militärisch zu attackieren, hieß es. Trump hatte tatsächlich bei der blumigen Schilderung eines Gesprächs mit einem europäischen Regierungschef schwadroniert, er werde kein Nato-Land unterstützen, das selbst nicht genug für die Verteidigung tue.

„Trump gefährdet die Sicherheit Europas“

Er würde Russland „sogar dazu ermutigen, zu tun, was auch immer zur Hölle sie wollen“, lautete das ominöse Zitat. Trump gefährde mit solchen Worten die Sicherheit Europas und die Stabilität des westlichen Verteidigungsbündnisses Nato, klagten US-Präsident Joe Biden und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg.

In Wirklichkeit hat Trump am Samstag im US-Gliedstaat South Carolina vor begeisterten Anhängern ausschweifend und blumig gesagt, was er immer sagt. Die Europäer, und insbesondere die jahrzehntelang pazifistisch-infizierten Deutschen, sollten endlich anfangen, selbst für ihre Sicherheit zu sorgen – zumindest erheblich mehr leisten als bisher. Schließlich gestand selbst der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) ein, dass Deutschland frühestens in fünf Jahren wirklich „kriegstüchtig“ sein könnte.

Der Zustand der Bundeswehr scheint derzeit ähnlich skandalös heruntergekommen zu sein wie die Verfassung der Deutschen Bahn. Letztendlich sind es heute vor allem die Amerikaner, die die Sicherheit Deutschlands – wie anderer Nato-Länder auch – garantieren.

Regierungen in Berlin: Lieber Sozialhilfe als Rüstung

Dass die Regierungen in Berlin seit langer Zeit das Geld der Steuerzahler lieber in Sozial- oder Entwicklungshilfe und einen riesigen Staatsapparat stecken anstatt in die Verteidigung, ist für Trump Grund genug, polternd und heftig gegen Berlin zu polemisieren. Warum soll der amerikanische Steuerzahler für die Präferenzen der deutschen Politik aufkommen, fragt der Republikaner durchaus nachvollziehbar.

Rückblende: Am 27. September 2018 steht der damalige US-Präsident Trump vor der UN-Vollversammlung und warnt: „Deutschland wird vollkommen abhängig von russischer Energie werden, wenn es nicht sofort seinen Kurs ändert.“ In den mittleren Reihen des Plenums sitzen selbstgefällig lächelnd der damalige deutsche Außenminister Heiko Maas und Deutschlands UN-Botschafter Christoph Heusgen (der heute die Münchner Sicherheitskonferenz leitet).

Beide schauen sich bei den Worten Trumps an, feixen und grinsen wie Schulkinder, dem ein „doofer“ Lehrer die Leviten liest. Was dann geschah, weiß heute jedes Kind: Der Ukraine-Krieg bewirkte über Nacht, dass Deutschland ohne billiges russische Gas dastand; inzwischen ist Energie so teuer wie nirgendwo in der Welt, was sowohl die deutsche Wirtschaft als auch den Verbraucher schwer belastet. Den Deutschen sollte das Lachen über Trump vergangen sein.

Seit 22 Jahren leere Versprechungen aus Berlin

Rückblende zwei: beim Nato-Gipfel in Prag 2002 beschließen die Staats- und Regierungschefs, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung auszugeben. Seither beklagen die US-Präsidenten George W. Bush, Barack Obama, Donald Trump und Joe Biden mehr oder minder laut, dass Deutschland und andere Staaten bis heute dieser Selbstverpflichtung nicht nachgekommen sind.

Die Versprechungen aus Berlin erwiesen sich stets als Lippenbekenntnisse, nicht nur Trump denkt, dass die Deutschen mit ihrem fast pazifistisch anmutenden Sonderweg den Amerikanern jahrzehntelang auf der Nase rumgetanzt haben. Trump reicht es offensichtlich schon lange.

Verschiedentlich hat er sich schon abfällig über das transatlantische Verteidigungsbündnis geäußert („Die NATO ist tot“, 2020), aber vor allem, weil er glaubt, die USA trügen eine viele zu große Bürde, sowohl finanziell als auch militärisch. Unübersehbar liebäugelt Trump immer wieder auch mal mit isolationistischen Tendenzen – ein Phänomen, das es in der amerikanischen Politik immer wieder gab.

Trump ist kein Ideologe

Einen irgendwie gearteten Plan Trumps oder der Republikaner, wie das in einer dermaßen globalisierten Welt aussehen und praktisch funktionieren könnte, gibt es aber vermutlich nicht. Ohnehin ist Trump kein Politiker, der sich auf ein klares Weltbild oder gar eine Ideologie bezieht.

Wehe aber den Deutschen und Europäern, wenn der machtbewusste Trump im November wirklich zum Präsidenten gewählt werden würde. Vielleicht ist nicht unbedingt die Demokratie in Gefahr, wie seine Gegner, aber auch deutsche Spitzenpolitiker nicht müde werden zu unken, sondern vielmehr vor allem die amerikanische Toleranz gegenüber der europäischen Unlust, ihren militärischen Pflichten nachzukommen. Mit Trump wird nicht gut Kirschen essen sein – „America first“ heißt nämlich auch, dass Europa entschieden mehr für die eigene Sicherheit, aber auch vielleicht in den Krisenregionen der Welt tun muss.

Trump will andere Ukraine-Politik

US-Präsident Biden und Kanzler Olaf Scholz fürchten vor allem um die Milliarden-Hilfen der USA für die Ukraine in ihrem Verteidigungskampf gegen die Russen. Schon jetzt zweifeln viele Republikaner an der Sinnhaftigkeit der enormen Ukraine-Hilfen. Trump will eine andere Ukraine-Politik, ohne klar zu sagen, wie sie aussehen würde.

Ziemlich sicher würde ein Präsident Trump erheblich mehr Verantwortung den Europäern für die Ukraine aufbürden – sind es denn nicht in erster Linie Europäer, die von einem möglicherweise aggressiven Russland bedroht sein könnten?

In der Schlammschlacht des amerikanischen Wahlkampfs fliegen jetzt die Fetzen, die Strategie der Demokraten ist es, Donald Trump als Hetzer, Lügner oder sogar als Faschisten hinzustellen. Der großmäulige, eitle und zuweilen zynische Milliardär macht es seinen Gegnern mit seiner losen Zunge immer wieder leicht. Seine teilweise grotesken Sprüche, angefangen von der Verfügbarkeit weiblichen „Pussys“ und über kriminelle Mexikaner bis hin zu seiner Bewunderung für Putin oder Kim Jung-un irritierten sehr, seine unbelegten Vorwürfe vom „Wahlbetrug“ 2020 und seine wenig ruhmreiche Rolle bei der Erstürmung des Kapitols am 8. September 2021 bwirkten, dass sich auch enge Vertraute von Trump lossagten.

Trump Zielscheibe von Verleumdung und Schmutz

Allerdings sollten bei einer nüchternen Betrachtung zwei Aspekte nicht vernachlässigt werden. Trump teilt zwar manchmal wüst aus, viele seiner Behauptungen sind kaum haltbar – aber er selbst ist auch seit vielen Jahren Zielscheibe übelster Schmutzkampagnen.

Sogar die New York Times beteiligte sich, als angebliche Geheimdienstquellen den „Golden Shower“-Skandal lostraten. Ohne auch nur den Hauch eines Belegs wurde Trump unterstellt, er hätte sich in Moskau vor zwei Jahrzehnten mit zwei Prostituierten vergnügt, wobei diese auf ihn uriniert hätten („Golden shower“). Selbst in populären TV-Serien wie „The Good Fight“ wurde ins Drehbuch eine osteuropäische Agentin gedichtet, die angeblich ein Video des Vorfalls gehabt haben soll.

Zum anderen sollte man Politiker in erster Linie nach ihren Taten beurteilen. Die US-Demokraten und ein Großteil der europäischen Politiker hatten im Wahlkampf 2016 vor dem „Frauenverächter“, „Rassisten“ und „Antisemiten“ gewarnt, der im Weißen Haus, den berühmten Atomkoffer in seinen Händen, die ganze Welt in Brand setzen würde, der dritte Weltkrieg sei nicht fern.

Außenpolitische Erfolge Trumps

Als Präsident wurde Trump aber ganz und gar nicht der unberechenbare, internationale Bully, der wild mit den Säbeln rasselt und bei dem der Colt locker sitzt – Bilder, die vor allem die Karikaturisten gerne verwendeten. In Wirklichkeit konnte Trump durchaus einige außenpolitische Erfolge verzeichnen. Er erwies sich in der Praxis – vor allem in der Außenpolitik – eher als ein gemäßigter, pragmatischer Präsident.

Der Republikaner ebnete ohne großes Aufsehen den Weg zu den Abraham-Verträgen zwischen Israel und Bahrein und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE). Die arabische Welt reagierte zudem erstaunlich gelassen, als Trump Jerusalem als Israels Hauptstadt anerkannte und den Umzug der US-Botschaft in die Heilige Stadt anordnete. Sein spürbares Misstrauen gegenüber den palästinensischen Arabern scheint eher eine beruhigende Wirkung auf die Lage in Nahost gehabt zu haben.

Auch das unmenschliche Mullah-Regime in Teheran hat Trump offenbar sehr viel realistischer eingeschätzt als die Europäer, die es oft nicht wahrhaben wollen, wie sehr Iran die Fäden bei zahlreichen Terror-Organisationen in vielen Teilen der Welt zieht.

Trump wollte auch Afghanistan-Abzug – aber geordnet

Trump bereitete zudem den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan vor – nicht ahnend, dass sein Nachfolger Biden den Rückzugsplan erschreckend dilettantisch umsetzen und damit die Machtübernahme der (militärisch eher schwachen) Taliban ermöglichen würde.

Trump war schließlich der erste Präsident, der keinen Waffengang der USA lostrat. Gegenüber den Europäern trat der rauflustige Trump tatsächlich zuweilen brüsk und arrogant auf. Das wird vermutlich auch so bleiben.

Wie wichtig ist es, dass ein sympathischer, gar intellektuell beschlagener Mann im Weißen Haus sitzt? Der letzte charismatische Präsident der USA, Barack Obama, den die Europäer, und insbesondere die Deutschen liebten, hat in Nordafrika und Nahost fast nur Unheil angerichtet. In Syrien, Ägypten und Libyen hat er Kräfte losgetreten, unter denen niemand in Europa mehr leidet als Deutschland – siehe Millionen Flüchtlinge aus dem Nahen Osten und Afrika.

Es ist wie im wirklichen Leben auch: Nette Menschen und Kollegen können manchmal ziemliche Nieten, zuweilen sogar gefährlich sein – unsympathische, selbstherrliche Dickköpfe erweisen sich manchmal als erstaunlich tatkräftig und pragmatisch. „The proof is in the pudding“, wie es im Englischen heißt. Wie etwas schmeckt, erfahren wir nur beim Essen.

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