Tichys Einblick
Covid-19

Trump, die Pandemie und die Medien: Eine Zählweise für vorsichtige Naturen, eine für mutige

Im Sommerloch gieren Medien weltweit nach neuen Themen. Derzeit steht wieder einmal Donald Trump im Mittelpunkt, besaß er doch in seinem jüngsten Interview die Unverschämtheit, eine eigene Auffassung zur US-Pandemie zu vertreten. Das trifft auf wenig Gnade, auch in deutschen Medien. Was hat es mit dem Streit auf sich?

Screenprint: Youtube/HBO

Im Interview mit Jonathan Swan für den Fernsehsender HBO verwies der Präsident darauf, dass man verschiedene Länder nur anhand der sogenannten »case fatality rate« miteinander vergleichen könne, also anhand des Verhältnisses zwischen positiven Tests und Todesfällen mit Covid-19. Dagegen bestand der Interviewer Swan darauf, die Toten mit der Gesamtpopulation eines Landes zu vergleichen. Von deutschen Medien wie dem Berliner Tagesspiegel wird Trump vorgeworfen, mit den falschen, verzerrten Statistiken zu argumentieren. Dass der mit dem Fuß wippende Inquisitor ein Apostel der Wahrheit sei, scheint für den Tagesspiegel unbestreitbar zu sein.

Der Zeitungsautor verfälscht sogar ein Zitat Trumps, wo der auf die niedrige »case fatality rate« der USA verweist: Der Balken der USA steht an letzter Stelle, und natürlich bedeutet das bei der Todesrate etwas Positives. Im Tagesspiegel heißt es fälschlich: »Wir sind Letzter, obwohl wir mal Erster waren.« Tatsächlich sagte Trump: »Sehen Sie, wir sind die Letzten, und das bedeutet, wir sind die Ersten.« (Minute 14:45 im Video) Und nein, Trump stammelt hier weder (TS), noch ist er »verwirrt« (Frankfurter Rundschau), noch »gerät er ins Straucheln« (Welt). Er vertritt einen Standpunkt und bleibt dabei. Aber vermutlich hat hier einfach Twitter den Redakteuren den Federkiel geführt.

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Wie steht es aber wirklich um die Standpunkte der beiden Kontrahenten? Um es kurz zu sagen: Beide Vergleichsmethoden haben ihre Aussagekraft und sind insofern legitim. Das Verhältnis der angenommenen Todesfälle (durch oder mit Covid-19) zur Gesamtpopulation zeigt sozusagen den Gesamtschaden auf, den das Virus bereits in einem Land angerichtet hat. Man könnte sagen, dass diese Zahl das Instrument der Einheger des Virus ist. Sie glauben, dass man sich vor seiner Ausbreitung schützen kann und muss.

Dagegen macht die »case fatality rate« eine – immer noch zu bewertende, unsichere – Aussage über die Sterblichkeit der positiv auf das Coronavirus Getesteten. Trumps Zahl sagt eher etwas über die unterschiedliche Qualität der Gesundheitssysteme aus, durch die sich bald höhere oder niedrigere Sterblichkeiten bezogen auf die positiv Getesteten ergeben. Das ist die Zählweise derjenigen, die dem Virus nicht mehr den Eintritt verwehren wollen – weil das längst unmöglich geworden ist –, sondern seine Folgen mildern wollen. Also individueller Schutz ja, aber keine Lahmlegung einer ganzen Ökonomie.

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In der Tat scheinen Trumps Zahlen zu bedeuten, dass die USA inzwischen recht gut mit der Viruserkrankung umgehen. Obwohl die Zahl der positiv Getesteten zunimmt, steigen die Todesfälle nicht im selben Maße – in Deutschland ist das inzwischen genauso. Ob es am Sommer liegt oder an der Dynamik der Pandemie, wird sich spätestens in zwei, drei Monaten erweisen.

Doch die Diskussion um die gesunkene »case fatality rate« wird auch in einzelnen US-Medien mit der Frage verbunden, wie wesentlich der Lockdown in dieser Lage noch ist. Wenn dieses Argument zöge, müsste Trump für mehr Tests sein, nicht für weniger. Allerdings ist auch das Schindluder groß, das mit den immer neuen Positivtest-Rekorden getrieben wird, die in einem Land, das nicht ganz erstarrt ist, kein Wunder sind. Daneben lassen auch die unterschiedliche Testfrequenz und -intensität am Ende kaum einen Vergleich der Testergebnisse verschiedener Länder zu. Um ein objektives Bild zu bekommen, kann man derzeit nur auf die verschiedenen Todesraten zurückgreifen, von denen eine für vorsichtige Naturen, die andere für wagemutige ist.

Zum Schluss noch ein Petitum: Testergebnisse und Todesfälle werden gerne in absoluten Zahlen diskutiert, so als ob die USA oder Brasilien auf einer solchen Skala irgendwie vergleichbar wären mit kleineren Staaten. Das Formulierungsmuster aus einem WELT-Video lautet: »Tatsächlich gibt es in keinem anderen Land der Welt so viele Corona-Infektionen und -Tote wie in den USA.« Doch dieses Niveau haben wir nicht verdient, und diese Zahlen sagen einfach nichts aus. Wenn man schon vergleicht, dann bitte mit proportionalen Zahlen: Welches Land hat eine höhere oder geringere Todesrate, im Vergleich mit was auch immer? Das gäbe uns einen Maßstab für politisches Handeln, statt nur mit hohlen Superlativen zu beeindrucken.

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