Israelische Polizisten, die mit Knüppeln auf palästinensische Träger eines Sarges einschlagen; Sargträger, die von der Polizei zurückgedrängt werden; und ein Sarg, der in dieser Szenerie fast zu Boden stürzt: Die Bilder, die am Freitag aus Jerusalem in die ganze Welt gingen, „entsetzen“ Politik und Medien, wie nun vielfach zu lesen ist. Am Samstag zeigte sich auch Außenministerin Annalena Baerbock „zutiefst erschüttert“, dass die Trauerfeier nicht „in Frieden und in Würde“ habe stattfinden können.
Nach Tod palästinensischer Journalistin: Wieder Vorverurteilung gegen Israel
Ein Videoschnipsel explodiert weltweit im Netz: Israelische Sicherheitskräfte setzen Schlagstöcke gegen Sargträger bei der Beerdigung einer palästinensischen Journalistin ein. Doch dieser Fall ist nicht so einfach, wie es scheint – haben palästinensische Aktivisten den Sarg zuvor der Familie des Opfers gestohlen?
Entstanden waren die Bilder vor der Beisetzung Schirin Abu-Akles. Die langjährige palästinensische Reporterin des katarischen Senders Al-Dschasira war am Mittwochmorgen am Rande einer israelischen Anti-Terroroperation im palästinensischen Dschenin tödlich von einer Kugel aus bislang unbekannter Quelle getroffen worden.
Kritik aus EU und USA
Die Ereignisse im Vorfeld der Beerdigung und mit ihnen die gesamte Causa Abu-Akle drohen sich nun für Israel zu einem internationalen PR-Desaster auszuwachsen und das Land medial in die Defensive zu drängen, völlig unabhängig davon, ob es in der Sache eine Schuld trifft oder nicht. Denn es lässt sich kaum eine Szene erdenken, die stärker emotionalisieren könnte, als Polizisten, die auf Sargträger einschlagen.
Die Macht dieser Bilder zeigt sich in den Reaktionen der vergangenen Tage: Selbst pro-israelische Kräfte distanzierten sich instinktiv vom Vorgehen der Israelis.
Sowieso Kritik kam von den üblichen Verdächtigen: Die Europäische Union etwa, die durch ihren nicht gerade als besonders israelfreundlich bekannten Vertreter vor Ort präsent war, schimpfte sofort über „unverhältnismäßigen Gewalteinsatz und respektloses Verhalten der Polizei“.
Und auch aus dem Weißen Haus hieß es etwas kryptisch, dass „wir diese [Bilder] offensichtlich nicht rechtfertigen“. Die US-Regierung schaut auch deswegen mit besonderer Anspannung auf die Ereignisse, weil Abu-Akle US-Staatsbürgerin war.
Videoschnipsel nur vermeintlich eindeutig
Ob die Kritik an dem spezifischen Einsatz gerechtfertigt ist, lässt sich aus der Ferne kaum beurteilen. Israel hat in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen mit Videoschnipseln gemacht, die durch die Fiktion der Nähe zum Ereignis vermeintlich eindeutig Fehlleistungen israelischer Sicherheitskräfte belegen sollten, ohne dies tatsächlich leisten zu können.
Im Jahr 2000 etwa hatte eine Kamera die angebliche Tötung des palästinensischen Jungen Mohammed al-Dura gefilmt. Israel erkannte schnell die eigene Schuld an – zu schnell: Später wurden viele Ungereimtheiten in der Geschichte offenbar, die Israelis zogen ihr Eingeständnis wieder zurück.
Auch die kurzen Videoschnipsel, die jetzt zu den Ereignissen bei der Beerdigung im Netz kursieren, scheinen eine eindeutige Realität der israelischen Aggression zu zeigen, jedenfalls die stark gekürzten, die eifrig von interessierter Seite geteilt werden. Indes belegen Videos aus anderen Perspektiven, dass vor dem Eingreifen der Sicherheitskräfte verschiedene Gegenstände in deren Richtung geworfen worden waren.
Gleichzeitig gibt die Polizei an, dass der Sarg von den Trägern entwendet worden sei. Demnach hatten die Absprachen mit der Familie der Getöteten vorgesehen, den Leichnam in einem Leichenwagen zu transportieren, anstatt ihn – so die Polizei – „gegen den Willen der Familie“ in einer unangemeldeten Prozession zu einem entfernten Friedhof zu tragen.
In der Washington Post war zu lesen, dass auch der Bruder der Getöteten die Sargträger aufgefordert habe, den Leichenwagen durchzulassen, um den Sarg einzuladen. Dem steht wiederum eine Äußerung des Bruders in der BBC gegenüber, wonach „wir von der Polizei bombardiert wurden, als wir das Krankenhaus verließen, einfach für nichts“.
Die Polizei hat inzwischen, wohl auf Veranlassung des linken Sicherheitsministers, eine Untersuchung der Vorgänge angekündigt. Die Bilder, die längst auch von den großen internationalen Nachrichtensendern, auch in der Tagesschau, verbreitet wurden, wird sie damit aber nicht mehr einfangen können.
Auch einige Israelis fragen daher kritisch, warum sich die Polizei überhaupt auf diese Szenerie einließ und damit Bilder produzierte, die das palästinensische Propagandadrehbuch sich nicht schöner hätte ausmalen können – zumal bereits im Vorfeld klar war, dass die Stimmung mindestens angespannt sein würde.
Palästinenser schaffen sich eine „Märtyrerin“
Denn seit Tagen stilisieren die Palästinenser die getötete Reporterin ikonographisch zu einer „Märtyrerin“ und einer Sache aller Palästinenser hoch. Der Chef der islamistisch-terroristischen Hamas, Ismail Hanije, etwa jubelte, Abu-Akle werde „in der Erinnerung von Generationen eingeschrieben sein“. Der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, verlieh der Getöteten posthum den „Stern von Jerusalem“ in Anerkennung ihrer „Rolle bei der Verteidigung des Heimatlandes“.
Abu-Akle war am Rande einer israelischen Anti-Terroroperation in Dschenin ums Leben gekommen, während sie eine Presseweste trug. Dschenin ist seit jeher ein Terrorhotspot im Westjordanland, von wo auch einige der Terroristen kamen, die in der immer noch anhaltenden aktuellen Terrorwelle insgesamt bereits 19 Menschen ermordet haben.
Von den Palästinensern hatte es sofort nach dem Tod der Reporterin geheißen, dass diese von israelischer Seite „ermordet“ worden sei. Eine ernsthafte Untersuchung der Fakten hatte zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht stattfinden können, auch weil die Palästinenser eine Kooperation mit der israelischen Seite verweigern und nach eigenen Angaben allenfalls internationale Beobachter beteiligen möchten.
Gleichwohl wurde auch international von interessierter Seite umgehend das Narrativ gesetzt, dass Israel den Tod Abu-Akles beabsichtigt habe. Die als anti-israelisch bekannte Menschenrechtsorganisation Amnesty International etwa reagierte auf die Nachrichten, indem sie auf Twitter wiederholt zum „Ende der israelischen Apartheid“ aufrief. Auch der internationale Account von Fridays for Future behauptete, Abu-Akle sei „vom israelischen Militär ermordet worden“. In Deutschland sprach unter anderem Tarek Baé, ein muslimischer Journalist, umgehend von einem Mord „durch einen gezielten Schuss“ israelischer Truppen.
Regierungen drohen Propaganda auf den Leim zu gehen
Israels Untersuchungen halten nach wie vor an. Dass es am Ende tatsächlich eine israelische Kugel war, die Abu-Akle traf, ist auch nach offiziellen Armeeangaben eine reale Möglichkeit. In der Vergangenheit sind auch israelische Soldaten durch Querschläger aus den eigenen Reihen ums Leben gekommen. Die Behauptung, es habe sich um eine „gezielte“ Tötung gehandelt, ist indes eine Vorverurteilung.
Eine Lüge, der auch internationale Regierungen ein Stück weit auf den Leim zu gehen drohen. Annalena Baerbock etwa vermied zwar – wie andere Regierungen auch – am Samstag, eine Schuld am Tod Abu-Akles zuzuweisen und verwies stattdessen auf eine transparente Aufklärung, die nun stattfinden müsse.
Gleichzeitig framte sie den Vorfall jedoch als eine Angelegenheit der Pressefreiheit: Journalisten dürften „niemals Zielscheibe von Gewalt werden“. Dies aber setzt bereits voraus, dass die Tötung in der Absicht stattgefunden hätte, Berichterstattung zu behindern, gar zu unterdrücken – eine Annahme, für die es nicht einen einzigen Anhaltspunkt gibt.
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