Tichys Einblick

Poker zwischen Elysée, Matignon und Brüssel: Thierry Breton tritt als EU-Kommissar zurück

Thierry Breton, EU-Kommissar für Binnenmarkt, Technologie und Verteidigung und von Präsident Macron kürzlich für eine weitere Amtszeit als EU-Kommissar nominiert, gab diesen Morgen auf X seinen sofortigen Rücktritt bekannt. Seitdem kocht die Gerüchteküche, zumal sein Schreiben gespickt ist mit Anspielungen, die es nunmehr zu dekodieren gilt.

picture alliance / ROPI | EUC

Thierry Breton, EU-Kommissar für Binnenmarkt, Technologie und Verteidigung und von Präsident Macron kürzlich für eine weitere Amtszeit als EU-Kommissar nominiert, gab diesen Morgen auf X seinen sofortigen Rücktritt bekannt:

Seitdem kocht die Gerüchteküche, zumal sein Schreiben gespickt ist mit Anspielungen, die es nunmehr zu dekodieren gilt. Da erwähnt Breton etwa, von der Leyen habe Macron um eine Alternative zu Breton gebeten. War der Hintergrund die irre Quotenregelung, derzufolge unbedingt eine Gender-Parität in der Kommission erzielt werden müsse? Informell gewünscht war scheinbar, daß alle EU-Staaten der Kommissionspräsidentin idealerweise zwei Kandidaten vorschlagen sollten, damit diese nicht nur das für sie interessanteste Profil auswählen, sondern auch auf die Gender-Parität achten konnte. Befreit davon waren allerdings jene EU-Mitgliedsstaaten, die ihren bisherigen Kommissar in eine zweite Amtszeit schickten, was in Frankreich ja der Fall war; gehalten hat sich aber wohl letztlich nur Bulgarien an jenen informellen Vorschlag, so daß natürlich die übliche Kritik von der patriarchalischen Durchsetzung der neuen EU-Kommission die Runde machte und von der Leyens „committment“ für den hehren Kampf der Geschlechterquoten angezweifelt wurde.

Und was genau ist mit Bretons Kritik an der „questionable governance“ der Kommission gemeint? Geht es hier um den seit langem schwelenden Machtkampf zwischen den beiden Top-Politikern, der sich kürzlich noch darin entlud, daß Breton allen Ernstes Elon Musk mit massiven EU-Repressalien drohte, falls dieser nicht besser darauf achte, daß „X“ die EU-Vorschriften zur Bekämpfung angeblicher Fake-News und Haßposts erfülle? Musk hatte Bretons selbstherrliche Drohungen als „faschistisch“ bezeichnet und später mit ziemlich deutlichen Beschimpfungen erklärt, was er von ihm halte.

Von der Leyen hingegen distanzierte sich von ihrem Kommissar, der das Vorgehen nicht mit seiner Chefin und den Kollegen abgesprochen hatte; zahlreiche Medien aller politischen Färbungen befürchteten in der Folge, daß die EU unter Breton zu einem Zensur-Staat verkommen werde, falls seiner Privat-Fehde mit Musk nicht Einhalt geboten werde.

Außerdem war schon beobachtet worden, daß Bretons neues EU-Ressort in den teilweise durchgesickerten neuen Kompetenzzuschreibungen der EU-Kommission um einige Aspekte verschlankt worden war – fühlte Breton sich also zurückgestellt? Daß er sein neues Ressort als bestenfalls sekundär empfand, läßt sich immerhin aus der Anspielung herauslesen, von der Leyen habe Macron ein deutlich wichtigeres Feld versprochen, falls dieser von seiner Unterstützung Bretons ablasse und eine Alternative (wohl eine Frau oder noch besser zwei Kandidaten beider Geschlechter) nominiere.

Wie dem auch sei: Bretons Entscheidung erfolgt in einem politisch höchst interessanten Moment, denn in Frankreich bildet Michel Barnier gerade eine neue Regierung, die den schwierigen Spagat zwischen Macrons Zentristen und der gemäßigten Rechten versucht, um sowohl Chancen auf eine Tolerierung durch Le Pens „Rassemblement National“ als auch, zumindest gelegentlich, durch die neue „Volksfront“ von Linken und Linksextremen zu erhalten.

Es kann sein, daß der Platzhirsch Breton lieber eine wichtige Rolle in der französischen Politik ausüben will als weiterhin die zweite Geige neben von der Leyen spielen zu müssen. Da dürfte ein lautes Türenschlagen in Brüssel und seine offene Kritik an der Kommissionspräsidentin ihm in Paris nur Sympathiepunkte bescheren: von der Leyen gilt von links bis rechts als Inbegriff der Brüsseler Bürokratie und Verkörperung von Merkels Einfluß auf die EU. Und daß Breton großen Ehrgeiz besitzt und eines Tages vielleicht auch noch andere Ämter als ein französisches Ministerium anstreben könnte, steht außer Frage.

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