Mehrere Jahrzehnte des Kennenlernens und der Kooperation habe man verloren, weil man nicht eher Frieden schloss, sagte der Außenminister der Vereinigten Arabischen Emirate, Abdullah bin Sajed Al Nahjan, am Montag am Rande eines historischen Treffens vier arabischer Staaten und Israels in der israelischen Negev-Wüste. Jetzt gelte es das Narrativ, das den Frieden verbaute, zu wandeln und die Zukunft zu verändern.
Zwei Jahre nach Abschluss der sogenannten Abraham-Abkommen sind die Beziehungen Israels zur arabischen Welt so gut wie nie zuvor. Inzwischen hat der jüdische Staat diplomatische Beziehungen zu fünf arabischen Staaten, bisweilen ist sogar ein warmer, herzlicher Frieden zwischen den Völkern ausgebrochen, wie ihn Israel im Nahen Osten bisher nicht kannte. Mit weiteren Mächten bestehen längst Kontakte im Hintergrund, darunter auch Saudi-Arabien.
11 Tote innerhalb von einer Woche
Doch nicht alle wollen Frieden, und das bekommen die Israelis dieser Tage einmal mehr auf bittere Weise vor Augen geführt. Israel findet sich inmitten einer massiven „gal teror“, einer Terrorwelle, wieder, wie sie das Land in dieser Dichte und Schwere seit vielen Jahren nicht erlebt hat, wenn man den terroristischen Beschuss aus dem Gazastreifen auf nahezu das gesamte Territorium vom vergangenen Mai ausnimmt.
Am 22. März tötete ein Araber aus der Beduinen-Stadt Hura in der Negev-Hauptstadt Be’er Scheva vier Israelis. Am 27. März schlugen zwei Araber im nordisraelischen Chadera zu, wo zwei Polizisten ihr Leben verloren. Am Dienstag schließlich eröffnete ein Terrorist in Bnei Brak, einer ultra-orthodoxen Stadt in der Metropolregion Tel Aviv, das Feuer: Fünf Menschen starben, darunter zwei Ukrainer und drei Israelis. Unter den insgesamt 11 Toten befinden sich Juden ebenso wie Araber.
„Der IS erhebt sein Haupt“
In Israel ist die Sorge groß, dass die Gewalt weitergehen könnte, denn am Samstag beginnt der islamische Fastenmonat Ramadan. Hinzu kommen die anstehenden christlichen und jüdischen Feiertage Ostern und Pessach sowie der israelische Unabhängigkeitstag am 5. Mai. Dann jährt sich auch bald die von der Hamas betriebene Gaza-Eskalation vom vergangenen Jahr zum ersten Mal. Bereits am heutigen Mittwoch fällt der Blick auf den sogenannten „Tag des Landes“, den die Palästinenser alljährlich begehen.
Für Beunruhigung sorgen auch die Hintergründe der Anschläge: „Der IS erhebt sein Haupt“, mussten israelische Medien und Politiker in den vergangenen Tagen mit Überraschung und Erschrecken feststellen. Denn die Terroristen von Be‘er Scheva und Chadera hatten Bezüge zu der Terrororganisation, die sich seit Längerem eher auf absteigendem Ast befand und sich nun explizit zu einem der Anschläge bekannte. Die üblich verdächtigen lokalen Akteure wie Hamas und Islamischer Dschihad schienen keine Rolle gespielt zu haben.
Wenngleich auch israelische Araber in der Vergangenheit versuchten, zum IS auszureisen, hat „Daesh“ in Israel doch bislang eine untergeordnete Rolle gespielt. Ob die Anschläge koordiniert waren und angeordnet wurden, ist nicht klar. Es könnten auch Einzeltäter gewesen sein, die sich durch die Terrorwelle zum Handeln animiert fühlten.
Sorge bereitet auch, dass es sich bei den Terroristen bei zwei der letzten drei Anschläge um Araber aus Israel handelte, also Menschen, die eine israelische Staatsbürgerschaft haben und gleichberechtigt im Land, nicht in den Palästinensergebieten, leben. Das ist nicht nur deswegen problematisch, weil den israelischen Sicherheitskräften beim Vorgehen gegen israelische Bürger die Hände stärker gebunden sind als im Fall von Palästinensern.
Terrororganisationen sind auch darum bemüht, die Grenzen zwischen den Palästinensern in den Autonomiegebieten und den Arabern in Israel aufzubrechen und eine „Aktionseinheit“ herzustellen. Während des Beschusses aus Gaza im Mai 2021 war das gelungen und hatte zu massiver Gewalt in Israel selbst geführt, wo Juden und Araber sonst nebeneinanderleben.
Bennett will mit „eiserner Faust“ vorgehen
Israels Premierminister Naftali Bennett bezeichnete die Ausschreitungen von vor einem Jahr am Dienstag als ein „erstes Zeichen“ für das, was jetzt passiert. Er kündigte eine „eiserne Faust“ gegen den Terror an. Die israelischen Sicherheitskräfte seien „die besten der Welt“, bekräftigte er auch angesichts von Fragen in der Öffentlichkeit, warum die Anschläge nicht verhindert werden konnten.
Bennett steht auch innenpolitisch unter Druck: Das rechte Lager, dem er selbst entstammt, blickt sowieso kritisch auf ihn, weil er sich mit einer islamisch-konservativen Partei eingelassen hat, die ihre historischen Wurzeln in der Muslimbruderschaft hat. In seinem ideologischen Lager steht Bennett unter Verdacht, nicht konsequent handeln zu können, weil er sich von Islamisten abhängig gemacht habe.
Jubel unter Palästinensern
Während israelische Medien die Bilder der Getöteten abdrucken, herrscht unter Palästinensern bisweilen Jubelstimmung. Im Internet zirkulierende Videos aus Jerusalem, wonach Palästinenser den jüngsten Anschlag feierten, stellten sich zwar als alt heraus. Ein Fotojournalist berichtete aber, dass in Gaza Süßigkeiten verteilt wurden. Und auch auf Twitter war zu beobachten, wie Nutzer den Attentäter als „Held“ priesen. Umfragen zeigen, dass jeder zweite Palästinenser grundsätzlich dafür ist, zur gewalttätigen Konfrontation zurückzukehren.
Die offizielle palästinensische Nachrichtenagentur „Wafa“ sprach am Mittwoch verharmlosend von einer „Schießoperation“ in Israel. Während die Hamas die Anschläge offensiv bejubelte, hatte der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas zuletzt geschwiegen. Abbas steht selbst unter dem Druck islamistischer Organisationen, finanziert aber mit seiner Behörde auch seinerseits Terror. Am Dienstag verurteilte er die Tötung „israelischer Zivilisten“ in Bnei Brak und nahm damit die Gewalt gegen Sicherheitskräfte von seiner Kritik aus. Israelischen Medienberichten zufolge hatte Israel Abbas zu der Stellungnahme gedrängt.
Auch das deutsche Auswärtige Amt irritiert mit seinem Statement zu den Geschehnissen. Darin kramt man unter anderem das Schlagwort der „Gewaltspirale“ wieder einmal hervor – wohlgemerkt bei islamistischen Anschlägen auf die Zivilbevölkerung.
Das neue Narrativ der Kooperation, von dem der Außenminister der Emirate am Montag sprach, ist bei der Palästinenser-Führung noch nicht angekommen. Und es wird wohl noch Jahrzehnte dauern, wenn es sich überhaupt jemals durchsetzt. Um die Palästinenser könnte es damit zunehmend einsam werden. Noch aber haben sie ihre Unterstützer, und das bei Weitem nicht nur im Nahen Osten.
Sandro Serafin (22) studiert Zeitgeschichte in Potsdam.