„Kneipen-Schießerei“? Die merkwürdige Berichterstattung über den antisemitischen Terror in Tel Aviv
Sandro Serafin
Droht Israel schon wieder mit Selbstverteidigung? Deutsche und europäische Medien lassen mit verqueren Formulierungen tief blicken, die Täter und Opfer beim Terror in Tel Aviv verwischen. Eine Auswahl.
Alle Anschläge wieder. Was zynisch klingt, entspricht leider der Realität: Alle Anschläge wieder tun sich renommierte internationale Medien mit inakkurater Berichterstattung über palästinensische Terrortaten in Israel hervor. Auch nach dem jüngsten Anschlag auf eine Bar in Tel Aviv, bei dem ein Palästinenser am Donnerstag drei Israelis ermordete (TE berichtete), musste man das leider wieder sehen.
In Deutschland griff dieses Mal vor allem der Bayerische Rundfunk beim Formulieren fatal daneben. In der Überschrift eines Online-Beitrages sprach der BR zunächst von einer „Kneipen-Schießerei in Tel Aviv“, so als hätten betrunkene Bar-Gäste um sich geschossen, weil sie sich um Wettschulden, eine Frau oder was auch immer gestritten hätten.
Nach massiver Kritik änderte die Redaktion die Überschrift. Die Leiterin der Onlineredaktion sprach auf Twitter von einer „natürlich“ falschen Überschrift, die „im Team“ passiert und nicht dem Korrespondenten in Tel Aviv unterlaufen sei. Genauere Gründe nannte sie nicht, versprach aber, den Fall „gründlich“ aufzuarbeiten.
Für Kritik sorgte auch eine Formulierung bei tagesschau.de. Dort hatte es in einem Artikel geheißen: „Nach Polizeiangaben hat ‚ein Terrorist‘ das Feuer eröffnet.“ Die Wörter „ein Terrorist“ waren dabei in Anführungszeichen gesetzt. Offenbar sollte es sich um ein Zitat der Polizei handeln, durch die Satzstellung entstand aber bei Lesern zum Teil der Eindruck, tagesschau.de stelle diese Information selbst in Frage.
Internationales Problem
Schieflagen in der Israel-Berichterstattung gibt es aber bei weitem nicht nur in Deutschland. Der österreichische Kurier titelte online: „Israel: Ein 28-Jähriger tötete zwei Gleichaltrige in einer Bar“. Hier darf sich Leser im freien Kopfkino ausmalen, was der Hintergrund sein dürfte: Ein Streit ums Bezahlen der Rechnung? Eine dumme Beleidigung? Oder die Mafia?
Die Fehlleistungen in der Israel-Berichterstattung machen auch nicht vor den renommiertesten internationalen Medien halt. Die britische BBC etwa titelte: „Israel: Palestinian gunman killed after deadly attack at Tel Aviv bar“ („Israel: Palästinensischer Schütze nach tödlichem Angriff in Tel Aviver Bar getötet“). Damit rückte sie den Palästinenser in eine Passivkonstruktion, fast so als wäre er ein Opfer. Das Wort „Terror“ kommt nicht nur in der Überschrift, sondern im gesamten Text nicht vor.
Noch schlechter machte es der als anti-israelisch berüchtigte Guardian, der online titelte: „Israeli forces kill Palestinian after Tel Aviv shooting leaves two dead“ („Israelische Einsatzkräfte töten Palästinenser, nachdem eine Schießerei in Tel Aviv zwei Tote hinterlässt“). Hier schien eine „Schießerei“ vom Himmel gefallen und gleichzeitig ein Palästinenser umgebracht worden zu sein, ohne dass die Überschrift einen Zusammenhang herstellen, geschweige denn den Palästinenser als Terroristen benenne würde.
— Board of Deputies of British Jews (@BoardofDeputies) April 8, 2022
Ein Twitter-Nutzer spießte die Formulierung auf, indem er vermutete, wie der Guardian wohl über den Selbstmord Hitlers berichtet hätte, wenn er sich an den Duktus der Israel-Berichterstattung gehalten hätte: „Deutsches Staatsoberhaupt tot in seinem Bunker gefunden nach Invasion von Alliierten, mit sechs Millionen toten Juden“.
Kampf gegen Windmühlen
Stellt sich nur die Frage: Ist es Unfähigkeit oder Absicht, steckt gar israelbezogener Antisemitismus dahinter? Die Tatsache, dass es sich um Wiederholungstaten mit den immer gleichen Formulierungsschwächen handelt, lässt nicht wenige an der Erklärung zweifeln, dass schließlich jeder Mensch einmal Fehler mache.
In Israel jedenfalls nimmt man die medialen Fehlleistungen aufmerksam zur Kenntnis. Die israelische Botschafterin in Großbritannien erklärte am Freitag, sie sei „schockiert“ angesichts der britischen Berichterstattung über den Anschlag. In Wahrheit dürfte sie kaum überrascht gewesen sein. Sie weiß, dass sie gegen Windmühlen ankämpft, wenn sie die britischen Medien dazu auffordert, Terror gegen Israelis als Terror zu benennen.
Das gilt auch für die die israelische Botschaft in Deutschland: „Checkt gefälligst eure Fakten!“, beschwerte sie sich am Freitag via Twitter beim Bayerischen Rundfunk wegen dessen irreführender Überschrift. Vielleicht gelingt dem BR beim nächsten Anlauf sogar eine bessere Überschrift. Dann findet sich aber sicherlich ein anderes Medium, das bei der Wahl der Überschrift danebengreift und im schlimmsten Fall aus Opfern Täter und aus Tätern Opfer macht.
Den inoffiziellen Negativpreis für die beste – oder wohl eher schlechteste – anti-israelische Überschrift hält übrigens bis heute der Focus. Der schrieb im Jahr 2006 den fast schon legendären Satz: „Israel droht mit Selbstverteidigung“.