Fast ein Monat ist nun ins Land gegangen, seit das ungarische Parlament der Veröffentlichung eines bis dahin geheimen Sicherheitsberichts zustimmte, in dem kurz gesagt vor einer schleichenden Talibanisierung der EU gewarnt wurde. Denn, so die Quintessenz des Berichts, die Taliban und andere islamistische Gruppierungen stehen im Verdacht, die illegalen Migrationsströme nach Europa zu lenken. Auch von IS und Al-Qaida ist dabei die Rede. Auch sie könnten sich im Schleppergeschäft betätigen und so die eigenen Schläfer nach Europa bringen.
Laut dem Bericht hat „die Führung einer Terrororganisation aus dem Nahen Osten den Wunsch geäußert, ganze Menschenhandelsnetzwerke in der (serbischen) Balkanregion zu übernehmen (zu kaufen) und auch deren Schmuggelaktivitäten vollständig unter ihre Kontrolle zu bringen“. Es ist ein florierender Wirtschaftszweig mit Übernahmen, Aufkäufen, vielleicht auch Fusionen. Und dies hier klang beinahe wie eine Beschreibung der Hamas.
Was die Taliban angeht, ist der Bericht zudem eindeutig. Es sei in höchstem Maße „besorgniserregend, dass die Taliban den Menschenschmuggel nicht nur finanziell, sondern insbesondere im serbisch-ungarischen Grenzgebiet auch operativ unter Kontrolle gebracht haben“. Angeblich können die Taliban „problemlos“ einen tadschikischen Pass erhalten, gelangen damit visafrei nach Moskau und von dort nach Belgrad. Das bedeutet, dass die Herrscher Afghanistans aus den Einschleusungen nicht nur finanziellen Gewinn ziehen, sondern sie auch selbst organisieren, durch Stammesverwandte, die selbst als Schleuser fungieren.
Ziel dieser Taliban-Auslandsoperation weit im Westen sei das folgende: „… die internen Streitigkeiten zwischen verschiedenen Gruppen mit afghanischem Hintergrund sollen beigelegt und die Kontrolle über den Versand finanzieller Ressourcen vollständig übernommen werden, d.h. die Taliban-Regierung wird die sehr erheblichen Einnahmen aus dem Menschenhandel als eigene Einnahmen nutzen, oder sie sogar zur Terrorismusfinanzierung nutzen.“ In diesem Fall, kann man hier ergänzen, müsste das Geld nicht nach Afghanistan transferiert werden: Die Terror-Operationen könnten auch in Europa stattfinden. „Darüber hinaus stellen sie (die Taliban) die Bezahlung der Schleusergruppen sowie die Finanzierung der örtlichen Waffenbeschaffung sicher.“ Das sollte allerdings ein Leichtes sein mit den hohen Einnahmen aus dem Schleppergeschäft selbst, bei denen noch immer nicht restlos geklärt ist, aus welchen Quellen die teils hohen Gebühren letztlich gezahlt werden.
Lukratives Geschäft für die Taliban
Mehrere Wochen, nachdem all dies bekannt wurde, wird in anderen EU-Ländern immer noch gefragt, ob die Informationen auch verlässlich sind oder nicht. Dabei hat der ungarische Bericht zunächst etwas Selbstverständliches klar gemacht: dass offene Grenzen – mit inzwischen verminderten Sicherheitsüberprüfungen in Deutschland – für Terroristen durchaus einladend sind. Der Leiter der Abteilung gegen Schlepperei im österreichischen BKA, Gerald Tatzgern, sagte nun der Welt am Sonntag, dass er nicht weiß, ob Taliban wirklich involviert seien. Auszuschließen sei das aber nicht. „Für die Taliban könnte es ein schnelles lukratives und Geschäft sein, besonders vor dem Hintergrund, dass Pakistan bis zu 1,7 Millionen Afghanen ausweist, wovon einige nach Europa geschleppt werden wollen.“ Wegen der hohen Anzahl an afghanischen Staatsangehörigen könne nicht ausgeschlossen werden, dass auch radikalisierte Personen darunter seien.
Und nun sagt es, laut WamS, auch der österreichische Innenminister Gerhard Karner (ÖVP): „Schlepper sind ein Zweig der Organisierten Kriminalität, die die hohen Gewinne aus dieser menschenverachtenden Tätigkeit in weitere illegale Geschäftsfelder investieren – wie etwa Waffenhandel und Terrorismus.“ Das scheint nie anders gewesen zu sein, wenn man Karner recht versteht, und darin ist ihm sogar Recht zu geben. Nur warum haben dann nicht mehr EU-Länder früher für strenge Kontrollen an den Grenzen gesorgt, wenn solche Umstände immer bei illegalen Schleusungen zu befürchten sind?
Erst jüngst hat zuerst Italien, dann auch Österreich und Deutschland neue Begründungen für ihre Grenzkontrollen am Ende der Balkanroute gegeben, und darin fallen genau die Stichworte, die auch Karner hier nennt: illegaler Waffenhandel und die Weiterverbreitung des Terrorismus, terroristischer Netzwerke – zumal im Nachgang des Terrorangriffs der Hamas auf Israel, der überall in der Welt Muslime, seien sie nun Muslimbrüder, IS- oder Al-Qaida-Anhänger dazu ermutigt hat, in ähnlicher Weise loszuschlagen. Davon muss nach einem kurzen Blick auf die Straßen Europas und in seine Medien jeder ausgehen, nicht nur die Innenbehörden, denen man gewöhnlich einen Informationsvorsprung zusprechen würde. Der ungarische Bericht macht es noch einmal deutlich, dass spätestens mit der Taliban-Herrschaft über die Schlepperrouten auch Vertreter von IS und Al-Qaida „nahezu unbemerkt in die Europäische Union“ eindringen können.
Der Österreicher Karner ruft nun immerhin dazu auf, dass die europäischen Staaten endlich „im Kampf gegen diese Kriminellen“ zusammenarbeiten, und zwar eng. Noch einmal im Klartext: Obwohl die generelle Situation sich nicht geändert hat, sprechen die Innenministerien mehrerer Länder nun nicht allein von einer „Migrationssituation“, die zu Grenzkontrollen an den EU-Binnengrenzen führt, sondern endlich auch von konkreten Gefährdungen durch verschiedene Arten der Kriminalität: natürlich Menschenschlepperei, aber auch Waffenschmuggel und politischer Terrorismus. Beide Bedrohungen sind nicht neu, sie könnten allenfalls durch den Ukraine- und den Gaza-Krieg intensiviert worden sein.
Eben darauf weist auch der ungarische Sicherheitsbericht hin, den man nun umständlich „verifizieren“ will, anstatt ihn als erneute Mitteilung einer Selbstverständlichkeit – allerdings mit einem neuen Sahnehäubchen – anzunehmen. Das „Sahnehäubchen“ ist die entscheidende Rolle der Taliban und möglicherweise anderer Terrororganisationen bei der Einschleusung illegaler Migranten in die EU. Das muss man nicht mehr kurios finden, nachdem ein Taliban-Führer sogar in einer Kölner Moschee auftreten konnte, während das Innenministerium mitteilt, dass es kein Einreiseverbot für die radikalen Scharfmacher in Deutschland gibt.
Der Bericht im Detail: Schlepper schießen in Richtung Grenze
Gemäß dem ungarischen Bericht stehen die drei Elemente der ungarischen Verteidigungslinie gegen illegale Migration unter noch einmal erhöhtem Druck. Dabei geht es um das Personal an den ungarischen Südgrenzen und die physische „temporäre Sicherheitsbarriere“, wie die ungarischen Behörden den Grenzzaun im Süden nennen, aber auch um die Gesetzgebung. Das ist ein Einblick, den die Ungarn nicht jeden Tag geben. Denn er zeigt ihre Schwierigkeiten, die auch im eigenen Personalmangel bestehen mögen. Daneben aber in Gesetzgebungszwängen, die nicht von Budapest ausgehen, sondern von zwei anderen Städten mit B – Brüssel und Berlin. Der geplante EU-Migrationspakt stellt dem Bericht nach ein Risiko für den EU-Grenzschutz dar, auch weil er die innere Sicherheit in Ungarn schwächen könnte.
Hinzu kommt der zunehmende Migrationsdruck. Er wird neu akzentuiert durch die gestiegene Terrorgefahr als „Auswirkung des Krieges zwischen Israel und der Hamas“. Die klassischen Routen der illegalen Migration – wie die Türkei-Balkan-Route – können demnach auch von terroristischen Netzwerken genutzt werden. Denn auch die international agierenden Terrororganisationen IS und Al-Qaida haben sich der Erklärung des Hamas-Anführers vom 10. Oktober 2023 angeschlossen, in der er zur Begehung von Terrortaten aufgerufen hatte. Auch daran erinnert der ungarische Bericht.
Auf der anderen Seite weist der Bericht darauf hin (TE berichtete bereits), dass das Geschäft der Schleuser und Schlepper an der ungarisch-serbischen Grenze gewalttätiger geworden ist. „Kürzlich kam es zum ersten Fall, in dem bewaffnete Schmuggler ihre Waffen gegen die serbische Polizei richteten (bislang gab es keine Verletzten oder Todesfälle)“, heißt es in dem noch immer frischen Schriftstück aus dem Oktober. „Die Gewaltbereitschaft überschreitet bereits die serbisch-ungarische Grenze und nimmt weiter zu.“ In mehreren Fällen hätten Schleuser „mit Schusswaffen auf die Grenzjäger gezielt“, so erst in der Woche zuvor. Ähnliche Vorfälle sind von der griechischen Evros-Grenze bekannt.
Eine konkrete Situationsschilderung lautet so: „Am Ortsrand von Röszke, im Bereich des Grenzzeichens E-485, feuerte ein Unbekannter am 20. Oktober 2023 um 01:50 Uhr von serbischem Gebiet aus eine Schuss-Serie auf vier Grenzsoldaten auf ungarischer Seite ab, die gerade Maßnahmen zur Festnahme von neun Migranten durchführten. Die Beamten bemerkten das Feuer an der Rohrmündung. Es gab keine Verletzungen, sie wurden sofort aus dem Gebiet evakuiert.“ Vermutlich waren es Schüsse in die Luft. Das muss nicht so bleiben. Darüber hinaus sei „das Richten von Waffen auf Grenzjäger“ zusammen mit „verbalen Drohungen … schon fast an der Tagesordnung“.
EU stärkt nicht Ungarn den Rücken
Das Problem besteht nun auch darin, dass die meisten Migranten an der serbischen Südgrenze unregistriert durchschlüpfen. 30 bis 50 neue Migranten würden jeden Tag registriert, eine sicher größere Zahl lasse sich aber nicht registrieren, sondern ziehe direkt Richtung Norden weiter. In einem Wald nahe der ungarischen Grenze vermuten die Ungarn tausende Migranten, die auf eine Gelegenheit zum Übertreten der Grenze warten. Die Schleuser bieten auch Komfortpakete an, mit der Unterbringung in Appartements oder Motels. Sie selbst besitzen „ein mobiles Hauptquartier in den Wäldern“ und verstecken ihre belastenden Gerätschaften, sobald die serbische Polizei sich wirklich einmal Zutritt verschafft.
Kurz berichten die Ungarn von den Zahlen: Pro Nacht würden am ungarisch-serbischen Grenzzaun etwa 500 bis 600 illegale Grenzverstöße festgestellt. Das macht rund 4.000 illegale Einreisen in der Woche und über 16.000 im Monat. In der 40. Kalenderwoche wurden sogar 5.600 illegale Migranten am Grenzzaun aufgegriffen und zurückgewiesen, wie es in dem Bericht heißt. Daneben werden die „verhinderten illegalen Grenzübertritte“ relativ konstant bei 2.500 bis 3.000 Versuchen pro Woche angesetzt. In diesen Fällen reichte der Grenzzaun offenbar als Grenzschutz aus, es wurde also keine Zurückweisung nötig. Allein jene Migranten, die den Zaun überwinden und dabei nicht von Grenzjägern aufgegriffen werden, kommen später in Österreich, der Slowakei und zuletzt in Deutschland an. Und das allein an den deutschen Grenzen in Zehntausenden jeden Monat.
Und was machen die EU-Staaten, was macht auch Deutschland gegen diese Bedrohung der
„eigenen Lebensart“ (Fachbereich von EU-Kommissar Margaritis Schinas)? Sie verstärken wohl einige nachgeordnete Grenzkontrollen an der österreichischen und der deutschen Grenze. Auch der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) erinnert an das „Screening“ an den Außengrenzen, das sich auch die SPD auf die Fahnen geschrieben hat und will damit offenbar aufwendig verhindern, dass sich „neben Schleusern und anderen Schwerkriminellen auch Terroristen Sicherheitslücken zu Nutze machen“.
Vertane Liebesmüh’… die Terroristen fängt Herrmann so jedenfalls nicht. Und wenn doch, wird er keinen wirksamen Weg finden, um sie von einem nochmaligen Einreiseversuch abzuhalten. Alle selektiven Sicherungsversuche werden letztlich zum Scheitern verurteilt sein. Aber die EU-Innenminister statten den echten Grenzschutz der Ungarn eben nicht mit stärkerer Legitimität aus, sondern delegitimieren ihn vielmehr, indem sie nun auch Ungarn die Aufnahme illegaler Migranten abverlangen. Was Budapest wiederum als Schwächung der EU-Außengrenze ansehen muss. Mit einem „Funktionieren des Schengenraums“ hat es jedenfalls nichts zu tun, eher schon mit EU-Gleichmacherei.
Faeser vermindert Sicherheitsüberprüfung
Derweil will Nancy Faeser die Sicherheitsüberprüfung von Asylbewerbern vermindern, einfach weil dafür keine Kapazitäten mehr vorhanden sind bei mehr als 33.000 Anträgen im Oktober. Laut einer schriftlichen Anweisung des Innenministeriums an das ausführende Bundesamt für Flüchtlinge und Migration (Bamf) sollen künftig weniger Ausweise oder Urkunden geprüft werden. Wenn der Antragsteller keinen Pass vorlegt, soll der Smartphone-Check entfallen, um die Nationalität auf alternativem Weg festzustellen. Mit anderen Worten: Nancy Faeser gibt ein Instrument für die Feststellung der Nationalität aus der Hand, das auch bei einer etwaigen Abschiebung von Belang wäre.
Auch die Recherchen in EU-Computern sollen vermindert werden. Man weiß eben, wo Zusammenarbeit im Staatenbund nicht erwünscht ist. Statistiken zum Bildungsgrad sollen laut ntv nicht mehr erstellt, die Sprachen- und Dialekterkennung soll nur noch in Einzelfällen stattfinden. Verkauft wird das alles als „Beschleunigung“ der Asylverfahren. Es ist eher ihre Verunsicherung. Schön ist dabei, dass Bild ein Statement einer Faeser-Sprecherin erhielt, wonach die Sicherheit „weiterhin hohe Priorität“ habe – nur sicher nicht höchste Priorität.