Auch neun Monate nach der Machtergreifung durch die Taliban fließen enorme Hilfsgelder in das Land, die auf immer neuen Geberkonferenzen auf Vorschlag der Vereinten Nationen vereinbart werden. Auch Deutschland hat schon im letzten Jahr 600 Millionen Euro bereitgestellt und sich im März nun zu weiteren 200 Millionen Euro bereit erklärt. Das sagte Annalena Baerbock nach der jüngsten virtuellen UN-Geberkonferenz für Afghanistan Ende März. Dieses Geld sollte nicht in die Hände der Regierung fallen, sondern direkt an unabhängige Hilfsorganisationen fließen, so Baerbock.
Besonders gelungen war zugegeben die Überschrift im Tagesspiegel vom 13. September: „Maas bietet Taliban Geld für Afghanistan an“. Als Gegengabe erhoffte sich der SPD-Außenminister eine pluralistische Regierung in Afghanistan, die allerdings nie kam.
Die von der UNO ausgerichtete virtuelle Geberkonferenz für Afghanistan endete mit Zusagen von insgesamt 2,2 Milliarden Euro. Eigentlich hatten die Vereinten Nationen 4,4 Milliarden Euro gefordert – und damit den höchsten Betrag, der je für ein Land gefordert wurde, wie die Zeit mit Rückgriff auf Agenturmeldungen bemerkte. Und ja, in Afghanistan sind Millionen Menschen vom Hunger bedroht. Die Machtübernahme der Taliban war für manche ein rauer Übergang, auch wenn sie in vielen Regionen das Ende der Kämpfe bedeutete.
Das Leben des Volkes wird so nicht verbessert
Nun zeigen Recherchen der deutschen Ausgabe von Business Insider, dass ein großer Teil des Geldes trotz aller Vorsichtsmaßnahmen in den Händen der Taliban landet und von den islamischen Gotteskämpfern zur Versorgung ihrer Truppen benutzt wird. Zugleich entgleite den Taliban die Wirtschaft des Landes. Hochrangige Mitarbeiter verschiedener Banken berichten von einem drohenden Zusammenbruch des Bankensystems. Die Einlagen der Afghanen sind ohnehin seit der Machtübernahme der Taliban Geschichte, als das Handels- und Bankensystem des Landes eingefroren wurde. Angeblich können die Banken nur geringe Beträge auf wöchentlicher Basis auszahlen. Die Gehälter der Angestellten wurden um bis zu 50 Prozent gekürzt, zwei Drittel der Filialen geschlossen.
Die letzte Lieferung von Bargeldpaketen soll 32 Millionen US-Dollar umfasst haben, so Business Insider. Eigentlich sollten diese Mittel – so der mantraartig wiederholte fromme Wunsch der westlichen Geldgeber – sozialen Zwecken, Frauen und Kindern zugutekommen oder die Gehälter der Mitarbeiter internationaler Institutionen (darunter die UN) decken. Insgesamt sind so bereits mehr als 800 Millionen Dollar an das Land geflossen, wie ein Taliban-Vertreter kürzlich der Presse mitteilte.
Laut einem hochrangigen Mitarbeiter der afghanischen Zentralbank wird das Geld mit UN-Flügen nach Kabul gebracht und dann an die private Afghanistan International Bank (AIB) geliefert. Was dann mit dem Geld passiere, wisse man nicht. Niemand weiß, wie es ausgegeben wird. Das Leben des einfachen Volkes werde jedenfalls kaum durch die Zahlungen verbessert, so der Informant.
Taliban: Geld geht an Kämpfer im Norden – was kommt nach dem Zusammenbruch?
Ein weiterer Informant, nun aus Taliban-Kreisen, berichtet, dass der Großteil des Geldes für die Versorgungen von Kämpfern in verschiedenen aktuellen Konfliktherden innerhalb des Landes genutzt werde, etwa in den nördlichen Gebieten. Nur ein kleinerer Teil wird offenbar „als Zeichen des guten Willens“ an die notleidende Bevölkerung weitergegeben. Ein UN-Mitarbeiter bestritt diese Aussagen rundweg: „Das Geld kommt nicht bei den Taliban an.“
Man fragt sich, was ein Ende der Liquidität in einem Land wie Afghanistan, in dem viele auf Selbstversorgung angewiesen sind und ohnehin am Existenzminimum knapsen, überhaupt noch ausmacht. Für die Stadtbevölkerung hätte ein Finanzzusammenbruch sicher katastrophale Folgen. Unruhen wären zu erwarten, die sich vielleicht auch gegen die Taliban richten könnten. Andererseits könnten die Gotteskrieger ihr Regime auch und gerade durch solche Zustände festigen, ohne doch einen noch größeren Exodus ihrer Landsleute verhindern zu können oder zu wollen.