Tichys Einblick
Immer neue Routen, Rückgang nur in Italien

Südrouten: Migration verlagert sich – schwelender Streit mit Frontex geht weiter

Der EU-Grenzschutz am Mittelmeer bleibt konzeptionslos. Im Wettlauf mit den Schleppern hinken die Staaten hinterher. Doch die Migration, die in Griechenland, Spanien und Zypern bleibt, sorgt dort für wachsende Ressentiments. Auf Zypern scheint sogar die UNO in Schleusungen verwickelt.

picture alliance / NurPhoto | George Schinas

Das Bistum Trier ruft zu Spenden auf, nicht für die Versorgung von Witwen und Waisen, nicht zugunsten des Beistands für christliche Glaubensbrüder, die derzeit in vielen Ländern verfolgt werden, sondern selbstverständlich für die „christliche und humanitäre Pflicht“ schlechthin: die Unterstützung nichtsnutziger NGO-Schiffe, die im Mittelmeer herumfahren, um die illegale Einschleusung von Migranten aus Nordafrika anzufeuern. Für die Trierer sind die Regensburger besonders fördernswert. Die in der ostbayerischen Stadt residierende NGO Sea-Eye e.V. hat ein neues Schiff zu Wasser gebracht, die „Sea-Eye 5“. Neu ist es eigentlich nicht, wurde aber im Juli in Italien neu getauft, unter anderem von der oscarnominierten Schauspielerin Sandra Hüller.

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Generalvikar Ulrich Graf von Plettenberg hat selbst Tuchfühlung mit „dieser Rettungsorganisation“ aufgenommen und hält deren Engagement für „überzeugend und absolut richtig“. Dabei ist inzwischen Allgemeinwissen, dass Offene-Grenzen-NGOs und kriminelle Schlepper im zentralen Mittelmeer praktisch Hand in Hand arbeiten. Sie verführen so immer mehr Migranten dazu, in seeuntaugliche Boote zu steigen und ihr Leben zu gefährden. Das Bistum Trier will mit seinem Spendenaufruf auch ein „Zeichen gegen die vor allem von rechten Parteien propagierte Abschottungspolitik“ setzen.

Dabei hat das „Geschäft“ der NGOs – das zum Teil wirklich ein kommerzielles sein mag – im zentralen Mittelmeer zuletzt gewisse Einbußen erlebt. Die italienischen Behörden verfügten immer wieder die Festsetzung von NGO-Schiffen, deren Besatzung sich nicht an die gesetzlichen Vorschriften gehalten hatten. Dieses Vorgehen wurde von den NGOs, die sich ohnehin nicht an die neuen italienischen Regierungserlasse halten wollten, viel kritisiert und konnte vielleicht zur Minderung der Migrationsströme beitragen. Den Hauptanteil wird allerdings die neue Verständigung zwischen der EU, Italien und Tunesien spielen, der mit umfangreichen Geldzahlungen verbunden ist. Auch die Zusammenarbeit der Küstenwachen spielt eine Rolle. 15.000 Migranten sollen daher laut offiziellen Angaben in Tunesien festsitzen. Es dürften mehr sein.

Rückgang in Italien, Zunahme auf Rhodos

Die italienische Regierung hat nun mitgeteilt, dass die illegalen Fahrten über die zentrale Route sich auf einem Zweijahrestief befinden, also noch unter den Zahlen von 2022 liegen, als die breitere Öffentlichkeit noch nicht von einer Krise sprach. Laut dem Innenministerium in Rom landeten im Juli nur noch 7.465 Migranten in Booten an italienischen Küsten an. 2022 waren es doppelt, 2023 gar dreimal so viele gewesen. Ähnlich waren die Verhältnisse auch schon für den Juni. Das wäre immerhin ein Teilerfolg, auch wenn die illegale Migration damit noch nicht gänzlich gestoppt wurde. Auch die neue Route von Libyen nach Kreta scheint zu belegen, dass Melonis Bemühungen etwas gebracht haben.

In Griechenland hat man von Januar bis Juni 2024 etwa 18.500 illegale Einreisen registriert. Besonders stark ist der Zuwachs auf Kreta, der südlich davon gelegenen Kleininsel Gavdos (hier kommen Boote aus Libyen an) und neuerdings auf Rhodos. Direkt vor der kleinasiatischen Küste. haben sich die illegalen Ankünfte schlicht von Norden (Lesbos, Chios, Samos) zur südlichen Ferieninsel Rhodos verlagert. Migranten landen dort in komfortablen motorisierten Booten an Touristenstränden, wie Videos zeigen. Auf anderen Bildern sieht man, wie sich das Rote Kreuz um angelandete Afrikaner kümmert.

Das gesehene Verfahren, von dem es weniger luxuriöse Varianten geben wird, funktioniert aber kaum ohne Pfeiler auf der Insel selbst. Und tatsächlich: Das „Gehirn“ der Schlepper, ein Syrer mit dem Tarnnamen „Abu Hamza“, der einst Asyl in Griechenland fand, sitzt in einer Villa auf der Insel. Ende Juli flog die Schlepperbande auf. Gefunden wurden Handys, Bargeld, falsche Pässe und Personalausweise. Angeblich sollen 60 Prozent der illegalen Einreisen über die Inseln der Dodekanes (rund um Rhodos) von dem Schlepperring organisiert worden sein. Die Vorgehensweise der Schlepper erinnert auch an jene der deutschen NGO „Mare Liberum“ vor einigen Jahren auf Lesbos.

Frontex muss sich entscheiden: Empfangskomitee oder Grenzschutz?

Für Migrationsstaatssekretärin Sofia Voultepsi (Nea Dimokratia, ND) ist das aber noch kein Grund zur Aufregung. Im Fernsehsender Skai befragt, gab sie zu, dass es eine Erhöhung der Ankünfte gebe und man kontinuierlich Migranten von Rhodos auf andere Inseln bringe, weil die „offenen kontrollierten Einrichtungen“ (ND-Sprech zur leichteren Einigung mit EU-Innenkommissarin Ylva Johansson) auf den nördlicheren Inseln errichtet wurden.

Vor allem verlangt Voultepsi, dass sich Frontex (und die EU) entscheiden, was man sein wolle: Empfangskomitee oder Grenzschutzagentur. Tatsächlich wirbt Frontex mit der „Rettung“ illegaler Migranten für sich, die stundenlang auf griechischen Halbinseln gesucht wurden. Derweil verweist die griechische Regierung – auch gegenüber den eigenen Bürgern – auf begrenzte Ressourcen bei der Küstenwache. Wie lange man dies allerdings medial durchhält, wäre bei fortgesetzten Anlandungen die Frage.

Bulgarien ficht laut anderen Nachrichten gerade einen deutlicheren Streit mit Frontex aus und will den EU-Mitarbeitern angeblich zeigen, „wie Grenzschutz funktioniert“. In Griechenland wählt man einen Mittelweg: Man fragt die EU, was sie wirklich will. Als ob man die Antwort nicht kännte. Doch Athen mag es erneut egal geworden sein, wie viele illegale Einreisen stattfinden, solange man sie nur im dafür errichteten System abarbeiten kann.

Zypern: UNO-Mitarbeiter schleuste Migranten ein

In Athen gibt es derweil Bildberichte über illegale Bruchbuden für Migranten, die fast im offenen Tageslicht unterhalb der Aufmerksamkeitsschwelle der Behörden existieren. Im Randbezirk Petroupoli kam es zu Handgreiflichkeiten, da eine NGO dort ein Heim für minderjährige Migranten plant. Die Anwohner fanden das nicht gut. „Ihr seid Räuber und Lügner“, riefen einige der anwesenden Protestler, andere: „Das sind alles Pakistaner und Somalier!“ Man kenne solche Figuren noch aus der eigenen Wehrdienstzeit auf den Ägäis-Inseln: „Wir kennen die, wir haben sie mit den eigenen Augen gesehen.“ Der Bürgermeister gab sich unwissend, man habe keine Kenntnis von den Planungen.

Derweil erzählte Voultepsi in Berlin etwas von der „Vermeidung von Parallelgesellschaften“ und der „Gewöhnung der Flüchtlinge an den europäischen Lebensstil, die demokratischen Institutionen und die Gleichheit der Geschlechter“. Das geschah auf dem kürzlich in Berlin ausgerichteten „World Forum on Democracy & Peace“, wo Voultepsi auf Gesprächspartner aus Europa und der Welt traf.

Die Staatssekretärin zeigt also hier der „Staatengemeinschaft“: Ja, auch Griechenland will Migranten aus anderen Kulturkreisen aufnehmen, ausdrücklich auch „Gästehäuser für unbegleitete Jugendliche“ in den städtischen Ballungsräumen und „sichere Zonen“ in den Aufnahmeeinrichtungen errichten. Das klingt hier beinahe so, als sollten die jungen Männer frühzeitig auf den richtigen Weg und schlechten Einflüssen von älteren Migranten entzogen werden, etwa so wie die Türken einst christliche Kinder einsammelten und sie zu Türken, Moslems und Janitscharen erzogen. Nur ist der Ansatz der westlichen Staaten offenbar ein sehr viel zarterer.

Im östlichen Mittelmeer hat daneben auch Zypern weiter mit ungeordneter, illegaler Migration zu tun. Allerdings gab es dort die Nachricht der Website Philenews.com, dass sogar UNO-Mitarbeiter in der sogenannten „toten Zone“ die Schleuser spielen und Migranten den Weg aus dem besetzten Norden in den Süden zeigen.

Angesichts der Überlastung der Republik führen solche Nachrichten zu Aufruhr. Laut Frontex dürften rund 6.000 illegale Migranten es im ersten Halbjahr 2024 nach Zypern geschafft haben. Damit lag auch das östliche Mittelmeer bei ziemlich genau 25.000 Ankünften, ähnlich wie das zentrale Mittelmeer und die westlichen Routen. Neuere Zahlen aus dem Juli liegen noch nicht durchgehend vor. Aber klar bleibt: Es ist noch ein langer Weg zur Null-Zuwanderung illegaler Art, und die EU-Institutionen kümmert es herzlich wenig. Dort ist kaum jemandem an einem Stopp der illegalen Einreisen gelegen.

Vor allem Deutschland müsste das Steuer in die Hand nehmen

Die EU müsste sich in diesen Fragen einigen, wenn die Einzelstaaten ihre sozialen Sicherungssysteme und kulturellen Traditionen erhalten wollen. Das zeigt sich gerade mit hinreichender Brisanz in England, das diesem Staatenblock nicht mehr angehört, aber eigenständig und in Teilen früher eine ähnlich rasante Zuwanderung zuließ. Die Polizei bequemt sich dort gerade den pakistanisch, bangladeschisch oder sonstwie geprägten Vierteln an, arbeitet ausdrücklich mit „allen Gemeinschaften“, unterstellt sich dabei aber teils selbst dem Schutz der Migrantengemeinschaften, da diese „in sich selbst für die Polizeiarbeit sorgen“. Es sind No-Go-Zonen für die Polizei entstanden, die die griechische Migrations- und Asyl-Staatssekretärin Voultepsi angeblich für ihr Land vermeiden will.

Tatsächlich hat aber Griechenland ebenso wie Spanien in den letzten Monaten hunderttausende illegale Migranten legalisiert. Auch auf den Kanaren geht derweil die mediale Alarmiertheit über die „tausenden Minderjährigen“ weiter, von denen nun rührselige Geschichten von verlorenen Eltern, Schocks und Traumata erzählt werden. Allerdings ist das vorgeschlagene Gesetz zur verpflichtenden Verteilung der Migranten auf alle Regionen des Landes vorerst gescheitert. Der konservative Partido popular lehnte es, unter dem rechten Druck der neuen Vox-Partei, ab. Vox hatte mit dem Rückzug aus Regionalkoalitionen gedroht, sollte die PP das Gesetz mitbeschließen.

Südeuropa schließt sich damit einer Tendenz in Nordwesteuropa an, die auf die Ersetzung fehlender Arbeitskräfte durch Neuzuwanderer setzt. Damit hat sich die Verschwörungstheorie von der „großen Ersetzung“, dem „großen Austausch“ erledigt. Sie ist zur offiziellen Parole der Regierenden und ihrer Umkreise geworden.

Innerhalb der EU kommt aber Deutschland weiterhin eine Hauptrolle bei der Aufnahme der Neuzugänge zu. Denn durch die immer noch besseren Bedingungen, was Infrastruktur, aber vor allem auch staatliche Leistungen angeht, zieht das große Land in der Mitte immer noch die meisten Zuwanderer an. Die Deutschen zahlen also an erster Stelle für diese EU-Experiment der nicht ganz geschlossenen Grenzen, durch die immer gerade so viel Nachschub kommen soll, wie man selbst gebrauchen zu können meint.


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