Tichys Einblick
Spanien als Testfeld

Statt Lockdown: In Madrid gibt es Konzerte, ohne dass die Infektionen stark ansteigen

In Madrid werden Konzerte wieder möglich – allerdings bei Tageslicht. Es gibt dennoch keinen rasanten Anstieg der Infektionen oder eine deutliche Überlastung der Krankenhäuser. Spanien ist zu einem Testfeld für Covid-19-Management-Methoden geworden.

Die Band Sidonie beim Inverfest in Madrid im Januar 2021

IMAGO / Lagencia

Ein Jahr ist es her, als am 8. März die Frauen aufmarschierten in Madrid. Eine lila Welle, angereist aus dem ganzen Land, rollte über die Hauptstadt, die damals bereits Hunderte von Menschen mit dem Coronavirus mit sich zog. Ich war selbst dabei, leichtsinnig, unwissend und voller Lebensfreude, einfach dabei zu sein, während Italien bereits Covid-19-Tote aus den Krankenhäusern schleppte.

Im Rückblick ist klar, diese Demo in Madrid hätte niemals stattfinden dürfen. Die konservative Madrider Regionalchefin Isabel Diaz Ayuso hat damals hart gegen die sozialdemokratische Zentralregierung gewettert, weil die Veranstaltung nicht abgesagt wurde. Jetzt macht es die junge Politikerin selbst ähnlich. Für die Kulturszene ist sie daher inzwischen eine Art Heldin geworden. Gerade hat mit dem „Inverfest“ sogar wieder ein Musik-Festival in Madrid stattgefunden, weltweit eine absolute Ausnahme angesichts der immer noch hohen Inzidenzzahlen, die weit über den deutschen liegen. Vor der Pandemie war Spanien Hotspot für diese Art von Veranstaltungen. Jetzt fangen sie um 12 oder 19 Uhr an und nicht um 22 Uhr oder Mitternacht. 

Zwischen „es satthaben“ und Angst

Spanien ist zu einem Testfeld für Covid-19-Managment-Methoden geworden. Anders als in Deutschland kann hier nach dem harten Lockdown vor einem Jahr jede autonome Region weitgehend selbst entscheiden, wie sie die Bevölkerung schützt, im Rahmen bestimmter Eckdaten. So wird in Valencia und Katalonien seit Monaten ein sehr strikter Kurs gefahren, aber das Resultat ist nicht besser als in Madrid. Auch die Balearen praktizieren seit Monaten einen Lockdown-Kurs, mit der Folge, dass jetzt auch Architekten und Anwälte in den Essensausgaben anstehen und die Zahl der Obdachlosen und Bettler konstant steigt. Der Druck auf die dortige Regierung wächst. 

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Viele aus der Gastronomie-Branche in den weiteren 15 autonomen Regionen, die nicht so liberal sind wie Madrid, wollen nun den Weg der Basken gehen. Dort ging die Lobby vor Gericht und sie bekam Recht. Restaurants dürfen wieder öffnen, womit Spanien ein Kampf auf allen Ebenen gegen den Virus und gegen die wirtschaftliche Pleite bevorsteht. „Der Einfluss der Eröffnung der Hotelbetriebe mit der hohen Inzidenz des Virus nach der Feier von Weihnachten erscheint nicht klar“, schließt die richterliche Anordnung im Baskenland. Klar ist wohl allen, dass in dieser Krise wenig klar ist. Madrids Weg scheint deswegen ein legitimer Versuch.

 

 

Spanische Kreativität zahlt sich aus in dieser Krise

Trotz aller Polemik über die Strategie von Ayuso, die niemand in ihrer konservativen Volkspartei PP auf Regionalebene nachahmt, ist es in Madrid bisher zu keinem rasanten Anstieg der Infektionen oder einer deutlichen Überlastung der Krankenhäuser gekommen. Deswegen haben die Kulturschaffenden auch kein schlechtes Gewissen, wenn in Madrid wieder langsam alles angeworfen wird, immer unter sicheren Bedingungen und in einem anderen Zeitrahmen. Die Spanier haben nach rund 65.000 Covid-19 Toten gelernt, selbst auf sich aufzupassen. Viele wie die 79jährige Teresa Bernat gehen gerade jetzt, kurz vor der Impfung, kaum raus, aus Angst: „Keine Familientreffen mehr“. Abgesehen von der Jugend geht in Madrid niemand ohne den richtigen Mundschutz raus, wird der Abstand in den Restaurants rigoros eingehalten. Desinfiziert wird an allen Ecken in der Metro, den Geschäften und öffentlichen Toiletten. 

Die Besucher der Matinee-Konzerte im Teatro Real, im Madrider Independance Club oder auf dem Rastro, einem Openair Flohmarkt im Zentrum, wissen zu schätzen, dass sie eine gewisse Freiheit genießen in einer Pandemie, die alle irgendwie einschränkt. „Es streichelt die Seele. Für mich ist klar, dass ein Teil meiner psychologischen Stabilität in dieser Krise damit zu tun hat, dass ich weiter in Konzerte gehen kann, auch wenn diese jetzt in Theatern und sitzend stattfinden“, erzählt Sonia Pérez, die seit Monaten im Homeoffice arbeitet und froh ist, wenn sie rauskommt. Die 51jährige liebt Live-Musik und tanzt gerne. Ihr Vater ist Musiker, schwer krank und absoluter Risikopatient in Covid-19-Zeiten, aber Sonia Pérez hat wie viele Madrilenen die Lust am Leben nicht verloren trotz aller Panikmache durch die Medien und Politik. Aber ein wenig Angst bleibt auch bei ihr: „Ich hoffe, dass wir nicht noch die Quittung kriegen“. Klar ist wohl, dass die Demo vom 8. März dieses Jahr nicht stattfinden wird. 

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