Tichys Einblick
Beide verrannt

Spanische Regierung will Notbremse in Katalonien ziehen

Premierminister Mariano Rajoy hat die Katalanen mehrfach gewarnt. Heute um Mitternacht hat er Ernst gemacht. Die Regionalregierung kann keine Zahlung mehr tätigen ohne die Zustimmung Madrids.

Spanish Prime Minister Mariano Rajoy gives a speech during a regional Popular Party (PP) meeting in Barcelona on September 15, 2017. Spain's central government launched its latest salvo against Catalonia, tightening control over regional spending and brushing aside a last-ditch separatist demand for dialogue to allow a banned referendum

© Josep Lago/AFP/Getty Images

Die Chiffre 1-0 erinnert an das Ergebnis einen Fussball-Matches, aber es handelt sich für Spanien nicht um den Sieg von Real Madrid in der Champions League, sondern um einen sehr dramatischen Tag, der unweigerlich als einer der bedeutensten in die spanische Geschichte eingehen wird: Die Katalanen wollen am 1.Oktober gegen alle Widerstände aus dem Rest des Landes und auch in der eigenen Region gegen die Verfassung ein Referendum über die Unabhängigkeit von Spanien durchführen, das in den Medien nur noch unter der Bezeichnung 1-0 läuft.

Spanische Regierung kontrolliert ab heute die Geldströme der Separatisten

Diese Abkürzung ist genauso ungünstig gewählt wie viele Gesten, Pressekonferenzen und Briefings, die in diesen Tagen in Madrid und auch in Barcelona die jeweiligen Interessen verteidigen sollen. Mit dem am Freitag eingeleiteten Schritt des spanischen Finanzministers Cristóbal Montoro wurde jedoch erstmals Ernst gemacht, nach Monaten sich anhäufender Drohungen, die in Katalonien ins Leere liefen: Seit heute kann die Regionalregierung keine zentralen Steuergelder mehr in die Vorbereitungen des Referendums investieren. Alle Zahlungen werden von Madrid kontrolliert und solche, die verfassungwidrig sind, werden nicht zugelassen.

Anlass zu diesem Schritt war unter anderem die Beschlagnahmung von Wahlzetteln für die Abstimmung in einer Druckerei, die von Haushaltsgeldern bezahlt worden waren. Auch die Tatsache, dass der katalanische Regierungschef Carles Puigdmeont 700 Bürgermeister hinter sich bringen konnte, die bei dem Referendum „mitarbeiten“ wollen, auch wenn sie dann ihre Stelle als spanischer Beamter verlieren könnten, hat Madrid alarmiert. Allerdings können Gemeinde und Städte im Prinzip weiter die nach der spanischen Verfassung finanzieren, da die spanische Zentralregierung auf deren Gelder kein Zugriff hat. Hier ist nur die Entziehung des Beamtenstatus und der polizeiliche Eingriff möglich.

Spanien muss Stärke zeigen und gleichzeitig verhandeln

Sollte Premier Mariano Rajoy die Mehrheit der katalanischen Beamten in den kommenden Tagen nicht auf seine Seite ziehen können und wird das Referendum durchgeführt, dann kann der Artikel 155 der spanischen Verfassung in seiner vollen Macht wirksam werden.

„Es ist absolut erstrebenswert, die Autonomie Kataloniens nicht auszusetzen. Vorher müssen alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft werden, damit die aktuelle Separatisten-Regierung nicht die Opfer-Rolle spielen kann. Sie müssen an ihrer eigenen Suppe ersticken.“

Javier Morillas, Wirtschaftsprofessor an der Universidad San Pablo CEU in Madrid

Das würde bedeuten, dass Katalonien der Status der Autonomie komplett und nicht nur die Steuerausgaben betreffend, entzogen wird. Allerdings ist dieser Akt nicht adhoc möglich. Es müssen erst einige Abmahnungen und legale Maßnahmen gegen die Autonomie erfolgen und eine echte Bedrohung der Nation bestehen, damit der Artikel 155 angewandt werden kann. Dieser Beschluss muss zudem vom Senat mit absoluter Mehrheit bestätigt werden und Rajoy wird nach Einschätzung der spanischen Presse auch die Bestätigung durch das Verfassungsgericht anstreben, um sich demokratisch abzusichern, um nicht wieder von den separatistischen Katalanen als der „Diktator“ angeklagt zu werden.

Spanische Geschichte wird auf dramatische Weise aufgearbeitet

Sollte der Artikel 155 seine volle Anwendung finden, würden das Parlament und alle anderen regionalen Institutionen in Katalonien aufgelöst werden: „Aber wir wollen diesen Moment vermeiden, weil es eine absolute politische Niederlage für uns alle und auch für Europa wäre,“ sagt Pablo Casado, Pressesprecher der regierenden Partido Popular in Madrid. Es wäre das erste Mal in der spanischen Geschichte, dass es zu diesem Akt kommt. „Es wäre ein enormer Bruch, der vielleicht irreperabel ist,“ heißt es in Regierungskreisen, wo nicht damit gerechnet wurde, dass die Katalanen nach den Anschlägen in Barcelona am 17. August so weit gehen würden: „Es war falsch, die Katalanen mit ihrem Ansinnen all die Jahre nicht wirklich ernst zunehmen, jetzt sitzen wir in einer Sackgasse. Die Terrororganisation Eta konnten wir zum Schweigen bringen und das Baskenland weitgehend befrieden, jetzt brennt es überall in Katalonien und es fehlt an Feuerlöschern.“

Zerbricht Spanien?
Bei Demo in Barcelona demonstriert Katalonien Unabhängigkeit
Die „Transición“, der Übergang der spanischen Diktatur zur Demokratie, wird in diesen Wochen immer wieder als Grund angebracht, warum die Katalanen so verärgert sind. Dieser Vertrag, der das Land in 17 autonome Regionen und Städte aufteilte, war von Anfang an von vielen schlechten Kompromissen geprägt, damit Spanien nicht erneut in einen Bürgerkrieg verfällt. Deswegen wurde den historischen Unabhängigkeitsansprüchen der Regionen Navarra, Baskenland und Katalonien in gewisser Weise Rechnung getragen. Ihre regionalen Sprachen wurden aufgewertet. Damals bekamen Navarra und die Basken die steuerliche Hoheit zugesprochen, Katalonien hingegen nicht. Grund waren historische Fakten, welche die Katalanen gerne umschreiben würden. Auch sie wollen ihre Steuern selber einnehmen und verteilen.
Barcelona und Madrid haben sich verrannt

Die Verfassungsväter hatten vorgesehen, falls das über Jahrzehnte so gelobte Konstrukt der Transición nicht halten sollte, ein roter Knopf den Bürgerkrieg vermeiden sollte, der Artikel 155: Bei einem verfassungsfeindlichen Verhalten einer Region gegenüber dem gesamten Land kann die Autonomie dieser Region ganz oder teilweise aufgehoben werden. Aber selbst wenn dieser von der absoluten Mehrheit des spanischen Senats als Mittel anerkannt und in Teilen angewandt wird oder auch mit Druck und weiteren Rechtsmassnahmen die Operation „Unabhängigkeit“ verhindert werden kann, hat Madrid dann noch ein ganz anderes Problem.

Die katalanische Regierung will bei Verhinderung des Referendums direkt am nächsten Tag Neuwahlen ansetzen. Sie kann dann damit rechnen, dass ein Großteil der Bevölkerung aus Protest gegen die Härte Madrids für die Separatisten-Parteien ERC, CUP und Junts pel sí stimmen wird. Nur bei einer kompletten Anwendung des Artikels 155 und einer damit einhergehenden Annulierung der Autonomie würden Neuwahlen verhindert werden können. Das ist aber aus Zeitgründen fast gar nicht mehr möglich. Puigdemont hat deswegen bereits angekündigt, dass diese dann wie ein Referendum funktionierten.

„Die Situation ist eskaliert und leider sind sich die spanischen Bürger glaube ich nicht über die vollen Auswirkungen im Klaren,“ sagt Georg Abegg, Partner der Kanzlei Rödl & Partner in Spanien. Die Region hat nicht nur viele Investitionen in den vergangenen Monaten zugunsten Madrid verloren, sondern auch für Europa ist dieser Konflikt gefährlich: „Wir sollten nur an das Referendum in Großbritannien denken, die Auswirkungen haben wir alle unterschätzt.“


Stefanie Claudia Müller ist Korrespondentin für Deutsche Medien in Madrid und Autorin des Buches „Menorca, die Insel des Gleichgewichts“.

Die mobile Version verlassen