Nach Angaben der Tagezeitung „El País“ wurde der spanische Innenminister beim Treffen seiner europäischen Amtskollegen in Bukarest zum ersten Mal laut. Grund war das von Frankreich und Deutschland angestossene, befristete Verteilungsprogramm von illegalen Einwanderern in der EU. Dieser Pakt würde nur solche betreffen, die in Italien und Malta ankommen.
Die Regierungen dieser Länder haben ihre Häfen dicht gemacht für Hilfsorganisationen und auch die „Seerettung” stark unterbunden. Spanien ist dagegen in den vergangenen zwei Jahren zum Hauptziel der illegalen Einwanderung nach Europa geworden. 64.000 Einwanderer kamen 2018 über die spanischen Küsten ins Land, die meisten tauchten ab und machten sich später weiter nach Nordeuropa auf.
Spanien lehnt deutsch-französischen Verteilungs-Vorschlag ab
“Wir unterstützen zeitlich begrenzte EU-Verteilungspakte, aber diese müssen das gesamte Mittelmeer mit einbeziehen“, sagt Spaniens sozialdemokratischer Innenminister Fernando Grande Marlaska. Mit seiner Ablehnung würde Spanien, bisher immer braver Schüler Merkels, zum ersten mal ein Veto ausüben, wobei dieses kaum Auswirkungen hätte, da der Pakt freiwillig ist. Spanien würde in diesem Fall keine weiteren illegalen Einwanderer aus Italien oder Malta annehmen.
Die deutsch-französische Initiative versucht, das seit den „Flüchtlings”wellen nicht mehr funktionierende Dublin-Protokoll aus dem Jahr 2013 zu verbessern. Das ist dringend notwendig, da sich mit Spanien auch viele andere Länder nicht daran gehalten haben. Nur einer kleiner Anteil der vereinbarten Pflichtquote kam wirklich auf der Iberischen Halbinsel an, dafür erreichten das Land immer mehr illegale Einwanderer über das Meer. Lockeffekte gibt es in Spanien anders als in Deutschland wegen einer strikter Sozialpolitik und einer nicht sehr groβzügigen Asylvergabe eigentlich nicht. Von den 2017 rund 31.000 Asyl-Anfragenden bekamen nur rund 600 eine positive Antwort, wie die Hilfsorganisation CEAR in ihrem jüngsten Bericht für Einwanderung aufführt. Allerdings ist Spanien auch nur das Sprungbrett nach Europa, derzeit ist das Land aber auch damit überfordert.
Druck auf Spaniens Küsten lässt nicht nach
Wie „El País“ weiter berichtet, habe der spanische Innenminister Italiens Egozentrismus innerhalb der EU inzwischen satt. Grande Marlaska versucht seit Antritt der Regierung im Juni 2018, zusammen mit Premier Pedro Sánchez allen von der illegalen Einwanderung in der EU Betroffenen, darunter vor allem Deutschland, die spanische Position klar zu machen: den Drahtseilakt zwischen humanitärer Hilfe und dem Stoppen des Immigrantenstroms aus Marokko. Sánchez traf sich dazu auch im Sommer in Andalusien mit Angela Merkel zu einem tête à tête und zeigte ihr die Problematik hautnah. Europa hat daraufhin auch Hilfen für Marokko locker gemacht und Spanien Investitionen im Nachbarland angekündigt.
Beim Treffen mit Merkel verpflichtete sich Sánchez, dass an der deutsch-österreichischen Grenze überprüfte illegale Einwanderer binnen 48 Stunden nach Spanien zurückgebracht werden können, wenn sie dort bereits einen Asylantrag gestellt haben. Das sind jedoch die wenigsten. Merkel versprach im Austausch mehr Geld für den Küstenschutz. Aber bisher half alles nichts. Spanien kämpft weiter mit illegalen Einwanderern auf dem Meer. Hinzu kommt der nicht nachlassende Strom aus Venezuela. In den vergangenen vier Jahren kamen nach Angaben des spanischen Statistikamts INE rund 280.000 Venezulaner nach Spanien, die meisten über den Luftweg mit einem Touristenvisum.
Grande Marlaska kämpft seit Monaten vergeblich um Gehör
Rund 52.000 Venezulaner haben nach offiziellen Angaben in Spanien einen Antrag auf Asyl gestellt. In diesem Jahr wird mit weiteren 60.000 gerechnet, die zu den noch immer zu bearbeitenden 68.000 hinzukommen. Spaniens Behörden sind mit dem Strom illegaler Einwanderer komplett überlastet. Diesen Stau durch eine Aufstockung der Mitarbeiter in der zuständigen Behörde nicht aufzulösen, könnte auch Strategie sein, denn vor Weihnachten sagte Premier Sánchez im Kreis von Journalisten erneut, dass er keine massenweisen Aufenthaltsgenehmigungen für die inzwischen nach verschiedenen Schätzungen eine Millionen sich illegal in Spanien aufhaltenden illegalen Einwanderer verteilen würde. Die Venezulaner bekommen normalerweise nur schnell eine Aufenthaltsgenehmigung, wenn sie spanische Vorfahren nachweisen können.
Derweil kämpft Grande Marlaska weiter, ziemlich alleine wie es scheint, aber der humanitäre Aspekt rückt dabei aus politischem Zwang von rechts immer mehr in den Hintergrund. Zwei Schiffe von Hilfsorganisationen hat er gerade am Auslaufen aus spanischen Häfen gehindert, weil nicht klar ist, wer die Geretteten aufnehmen soll. Zudem lässt er untersuchen, ob die Schlauchboote, in denen die von Marokko kommenden Afrikaner übersetzen, nicht von Spaniern bereitgestellt werden. Der spanische Hilfsverband „La Asociación Pro Derechos Humanos de Andalucía“ (APDHA) hatte in den vergangenen Wochen zudem beklagt, dass versucht werde, die spanische Meeresrettungs-Mannschaft vor Ort abzubauen, um auf diese Weise Lockeffekte zu reduzieren. Wenn keiner gerettet würde, dann komme vielleicht auch keiner mehr, sei das Kalkül.
Widersprüchlichkeiten geben der radikalen Vox Aufwind
Das Chaos an den spanischen Außengrenzen und im Land mit Hunderttausenden, die untergetaucht sind und nur illegale Arbeiten durchführen können, hat zu einem Erstarken der rechten Partei VOX geführt, die jetzt auch im andalusischen Parlament sitzt. Andalusien ist die Region, die am meisten von der illegalen Einwanderung betroffen ist. Zum Erstarken trägt auch die gerade entfachte Diskussion bei, ob die Stacheldrahtzäune an den Grenzen der spanischen Exklaven Ceuta und Mellila ausgeweitet werden sollen. Er ist vielen Menschenrechtsorganisationen ein Dorn im Auge, obwohl eine Grenze ja illegale Einwanderer abhalten soll. So argumentiert auch die Hafenverwaltung von Mellila, die aus diesem Grund auf ihrem Areal gerne weiter Stacheldraht ausrollen würde. Grande Marlaska jedoch stoppte das Ansinnen vorerst.
Es hat lange gedauert, aber jetzt heizen diese konstanten Widersprüchlichkeiten in der spanischen Einwanderungspolitik auch hierzulande die politische Debatte an. Angesichts des Aufwinds der Rechten sehen sich PP-Chef Pablo Casado und auch Ciudadanos-Vorsitzender Albert Rivera gezwungen, im gleichen Modus wie VOX aufzutreten, welche nicht nur die massive Einwanderung nach Spanien kritisieren, sondern auch den erstarkenden Feminismus in ihrem Land. Casado proklamierte sich bereits Ende 2018 als „Führer der Immigranten, die früh aufstehen“. Der Konservative, der seinen politischen Opponenten Sánchez öffentlich als „notorischen Lügner“ oder „Hochverräter“ bezeichnet, warnt vor einigen Wochen jeden, der plant nach Spanien zu kommen: „Entweder passen sie sich unseren Sitten an oder sie haben sich im Land geirrt“.