Pedro Sánchez liebt diesen Moment, wenn er mit seinem perfekt sitzenden Anzug und seiner athletischen Figur vor die ausländische Presse treten kann. Besonders wenn deutsche Parteifreunde ihn einladen, kann er seinen Kritiker zuhause zeigen: „Schaut her, ich kann auch mit den schwierigen Deutschen.“ Sánchez, der fließend Englisch und Französisch spricht, hat bereits mehrfach bewiesen, dass er ein perfekter internationaler Gastgeber, genauso wie sein Vorgänger und interner Parteikritiker Felipe González, der Spanien in die Demokratie und in die EU verholfen hat, aber am Ende in verschiedene Korruptionsskandale verwickelt war. Der inzwischen sehr behäbige González macht kein Hehl daraus, dass er kein Fan von Sánchez ist. Beide Sozialdemokraten haben jedoch eines gemeinsam, glaubt der Spezialist für internationale Beziehungen an der spanischen Universidad Europea, Frederic Mertens de Wilmars: „Sie wissen, wie sie das meiste aus der EU für sich rausholen. Spanien hat dem deutschen Steuerzahler viel zu verdanken, unter anderem sechs LNG-Terminals, die das Land nun in die Lage versetzen, in Brüssel Vorschläge einzubringen, die auch für sie von enormem wirtschaftlichem Nutzen sind.“
Sánchez ist Deutschlands Musterschüler
Sánchez, der als erster dem Aufruf der Deutschen folgte und sein Land per königlichem Dekret trotz vieler Proteste aus der Opposition zum Energiesparen zwang, profitiert davon, dass Spanien wegen eines ausgeglichenen Energie-Mix derzeit sogar zu viel Strom und Treibstoff auf Lager hat. „Wir haben 35% der LNG Terminals in Europa und bekommen Gas aus vielen verschiedenen Ländern, können derzeit aber nicht alles exportieren, weil die Verbindungen fehlen,“ klagte der Premier bei seinem letzten Besuch in Berlin, wo er als erster spanischer Politiker auf Schloss Meseberg zu einer deutschen Kabinettsitzung eingeladen war. Dort forderte er eine Reform des europäischen Energiemarktes. Das „Merit-Order-Prinzip“, nach dem die teuerste Stromquelle als Preisreferenz für andere Energien gilt, soll eventuell abgeschafft werden. Dafür soll das 2019 aufgegebene Midcat-Projekt, das aufgrund seiner hohen Kosten und des bisher niedrigen russischen Gaspreises bisher wenig rentabel schien, wieder auf den Tisch.
Midcat soll von der EU finanziert werden
Eine Gas-Verbindung Frankreichs und Deutschland nach Italien, das mit Algerien eine Erhöhung der Gaslieferungen aushandeln konnte, gibt es bereits. Sánchez will, dass das Projekt bis zur EU-Präsidentschaft Spaniens im Juli 2023 steht. „Die Kosten betragen jedoch sicherlich mehrere Milliarden Euro,“ sagt Mertens. Und die Deutschen hätten mit Nord Stream 2 schon ein solches mit öffentlichen Mitteln finanziertes Projekt in den Sand gesetzt. Der Maghreb sei ein ähnlich instabiler Partner wie Russland, warnt er. Dennoch will Spanien daran festhalten und bittet erneut die EU, die Kosten zu übernehmen. „Die Iberische Halbinsel würde aus der energetischen Isolation mit dem Rest Europas gerissen und hätte die Chance, eine komplett neue Industrie aufzubauen. Allerdings nur, wenn über die Pipeline auch grüner Wasserstoff transportiert wird,“ sagt Mertens. Neben der Finanzierung ist unklar, bis wann Midcat operativ sein könnte. Frankreich, das schon 2019 das Projekt wegen der Instabilität Algeriens abgelehnt hatte, spricht von Jahren. Spaniens Regierung glaubt, es könnte in acht Monaten stehen.
Spanien hat nicht ideologisch, sondern pragmatisch gehandelt
Sánchez hat derzeit gegenüber Frankreich und Deutschland einige Asse in der Hand. Die Strom- und Spritpreise dort sind vergleichsweise moderat dank einer durchgeboxten preislichen Trennung des iberischen Strom- und Gasmarktes, was Brüssel nur genehmigt hatte, weil Portugal und Spanien bisher wenig Energie exportieren. Am spanischen Großhandelsmarkt wurde die Megawattstunde im August 2022 für durchschnittlich 154,89 Euro gehandelt, 67 Prozent unter dem Niveau des deutschen Marktes und 69 Prozent niedriger als in Frankreich. Auch einschließlich der Kosten der „iberischen Lösung“, steht Spanien derzeit wesentlich besser da als Deutschland, das immer mehr industrielle Investitionen verliert wegen der hohen Energiepreise. Zudem ist Spaniens Energiemix seit 20 Jahren nachhaltiger als der deutsche: Kohle spielt de facto keine Rolle mehr, Nuklearenergie wurde zurückgefahren. Erneuerbare Energien, hier vor allem Hydraulik, machen dagegen fast bereits 50 Prozent des Stromverbrauchs aus, weswegen Spanien auch einer der EU-Hauptproduzenten von grünem Wasserstoff ist.
Die Übergewinnsteuer macht Sinn
Fraglich ist aber noch, wie das Gas aus der Mitte Spaniens dann nach Deutschland kommt, per Midcat oder per Schiff? Nachfragen beim spanischen Gasnetzbetreiber Enagás oder bei Iberdrola können keine Klarheit bringen. Auch geopolitisch könnte der Midcat-Plan nach hinten los gehen. Derzeit gibt es von Algerien zwei Pipelines nach Spanien, eine direkt und eine, die über Marokko führt, derzeit aber kein Gas nach Europa exportiert, weil Algerien nicht will, dass der wegen Gebietsstreitigkeiten in der Westsahara verhasste Nachbar wirtschaftlich davon profitiert. Hier ist noch einige Überzeugungsarbeit notwendig, damit diese dauerhaft Frieden miteinander schlieβen und die EU nicht mehr mit wilden Drohungen unter Druck setzen. Nur wenn diese Länder sich demokratisieren, dürfte gesichert sein, dass weniger Menschen über den Strom von Gibraltar nach Europa kommen und die radikale Islamisierung Afrikas gestoppt werden kann. „Am Midcat hängt viel mehr als nur Gas und das wissen alle, die mit der Idee spielen,“ sagt Mertens.