Tichys Einblick
Ideologisch statt pragmatisch

Macht Gas aus dem Maghreb bis nach Deutschland Sinn?

Spanien hat sich in der Energiekrise pragmatisch positioniert. Die geplante Gaspipeline Midcat könnte bald Realität werden.

Robert Habeck mit der spanischen Ministerin für ökologischen Wandel Teresa Ribera vor einer Sondersitzung des Rates der EU zum Thema Energie in Brüssel, 26. Juli 2022

IMAGO

Pedro Sánchez liebt diesen Moment, wenn er mit seinem perfekt sitzenden Anzug und seiner athletischen Figur vor die ausländische Presse treten kann. Besonders wenn deutsche Parteifreunde ihn einladen, kann er seinen Kritiker zuhause zeigen: „Schaut her, ich kann auch mit den schwierigen Deutschen.“ Sánchez, der fließend Englisch und Französisch spricht, hat bereits mehrfach bewiesen, dass er ein perfekter internationaler Gastgeber, genauso wie sein Vorgänger und interner Parteikritiker Felipe González, der Spanien in die Demokratie und in die EU verholfen hat, aber am Ende in verschiedene Korruptionsskandale verwickelt war. Der inzwischen sehr behäbige González macht kein Hehl daraus, dass er kein Fan von Sánchez ist. Beide Sozialdemokraten haben jedoch eines gemeinsam, glaubt der Spezialist für internationale Beziehungen an der spanischen Universidad Europea, Frederic Mertens de Wilmars: „Sie wissen, wie sie das meiste aus der EU für sich rausholen. Spanien hat dem deutschen Steuerzahler viel zu verdanken, unter anderem sechs LNG-Terminals, die das Land nun in die Lage versetzen, in Brüssel Vorschläge einzubringen, die auch für sie von enormem wirtschaftlichem Nutzen sind.“

Sánchez ist Deutschlands Musterschüler

Sánchez, der als erster dem Aufruf der Deutschen folgte und sein Land per königlichem Dekret trotz vieler Proteste aus der Opposition zum Energiesparen zwang, profitiert davon, dass Spanien wegen eines ausgeglichenen Energie-Mix derzeit sogar zu viel Strom und Treibstoff auf Lager hat. „Wir haben 35% der LNG Terminals in Europa und bekommen Gas aus vielen verschiedenen Ländern, können derzeit aber nicht alles exportieren, weil die Verbindungen fehlen,“ klagte der Premier bei seinem letzten Besuch in Berlin, wo er als erster spanischer Politiker auf Schloss Meseberg zu einer deutschen Kabinettsitzung eingeladen war. Dort forderte er eine Reform des europäischen Energiemarktes. Das „Merit-Order-Prinzip“, nach dem die teuerste Stromquelle als Preisreferenz für andere Energien gilt, soll eventuell abgeschafft werden. Dafür soll das 2019 aufgegebene Midcat-Projekt, das aufgrund seiner hohen Kosten und des bisher niedrigen russischen Gaspreises bisher wenig rentabel schien, wieder auf den Tisch.

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Als Midcat wird die fehlende Gas-Verbindung zwischen Frankreich und Spanien bezeichnet. Vom katalanischen Hostalric bis ins französische Barbaira müssen noch 226 Kilometer an Rohren verlegt werden, um einen Transport vom Maghreb bzw. den spanischen Häfen nach Deutschland oder Frankreich zu ermöglichen. Auf jeder Seite sind das ungefähr 100 Kilometer. Nun haben die Deutschen zwar erstmal die konkrete Debatte verschoben und die Franzosen zweifeln seit jeher, ob eine weitere bessere direkte Gaspipeline mit Spanien Sinn macht. Der Energie- und Umweltexperte der IE University in Madrid, Francisco Seijo, glaubt, dass das vor allem Wettbewerbsgründe hat: „Die Franzosen waren bisher die Energieagenten Europas.“ Derzeit funktionieren jedoch die Hälfte der Kernkraftwerke nicht, weswegen sie erstmals auch auf Gas und Strom aus Spanien angewiesen sind.
Midcat soll von der EU finanziert werden

Eine Gas-Verbindung Frankreichs und Deutschland nach Italien, das mit Algerien eine Erhöhung der Gaslieferungen aushandeln konnte, gibt es bereits. Sánchez will, dass das Projekt bis zur EU-Präsidentschaft Spaniens im Juli 2023 steht. „Die Kosten betragen jedoch sicherlich mehrere Milliarden Euro,“ sagt Mertens. Und die Deutschen hätten mit Nord Stream 2 schon ein solches mit öffentlichen Mitteln finanziertes Projekt in den Sand gesetzt. Der Maghreb sei ein ähnlich instabiler Partner wie Russland, warnt er. Dennoch will Spanien daran festhalten und bittet erneut die EU, die Kosten zu übernehmen. „Die Iberische Halbinsel würde aus der energetischen Isolation mit dem Rest Europas gerissen und hätte die Chance, eine komplett neue Industrie aufzubauen. Allerdings nur, wenn über die Pipeline auch grüner Wasserstoff transportiert wird,“ sagt Mertens. Neben der Finanzierung ist unklar, bis wann Midcat operativ sein könnte. Frankreich, das schon 2019 das Projekt wegen der Instabilität Algeriens abgelehnt hatte, spricht von Jahren. Spaniens Regierung glaubt, es könnte in acht Monaten stehen.

Spanien hat nicht ideologisch, sondern pragmatisch gehandelt

Sánchez hat derzeit gegenüber Frankreich und Deutschland einige Asse in der Hand. Die Strom- und Spritpreise dort sind vergleichsweise moderat dank einer durchgeboxten preislichen Trennung des iberischen Strom- und Gasmarktes, was Brüssel nur genehmigt hatte, weil Portugal und Spanien bisher wenig Energie exportieren. Am spanischen Großhandelsmarkt wurde die Megawattstunde im August 2022 für durchschnittlich 154,89 Euro gehandelt, 67 Prozent unter dem Niveau des deutschen Marktes und 69 Prozent niedriger als in Frankreich. Auch einschließlich der Kosten der „iberischen Lösung“, steht Spanien derzeit wesentlich besser da als Deutschland, das immer mehr industrielle Investitionen verliert wegen der hohen Energiepreise. Zudem ist Spaniens Energiemix seit 20 Jahren nachhaltiger als der deutsche: Kohle spielt de facto keine Rolle mehr, Nuklearenergie wurde zurückgefahren. Erneuerbare Energien, hier vor allem Hydraulik, machen dagegen fast bereits 50 Prozent des Stromverbrauchs aus, weswegen Spanien auch einer der EU-Hauptproduzenten von grünem Wasserstoff ist.

Die Übergewinnsteuer macht Sinn

Ende mit „Wende“
Deutschland ist sinkbar – wie die Titanic
Sánchez hat den Deutschen auch gezeigt, wie Energieunternehmen vom Spekulieren abgehalten werden können. Seine Regierung führte trotz Proteste der Betroffenen die Übergewinnsteuer ein. Denn für Spaniens Wirtschaft ist die Transformation auf Grün unternehmerisch sehr verlockend, alle Konzerne profitieren von dem Hype um Wasserstoff und Elektroautos. „Viel ist klar undurchdachtes Greenwashing,“ sagt Mertens. Konzerne wie Acciona, Enagás, Iberdrola, Repsol und Naturgy bilden den Kreis der Hauptbegünstigten von Sánchez Politik, die in Teilen durch 70 Mrd. Euro Direkthilfen aus Brüssel im Rahmen der Next Generation Fonds finanziert wird. Der auch in Deutschland sehr aktive Windenergieriese Iberdrola unterhält 2,5 Stunden von Madrid entfernt, in Puertollano, die größte grüne Wasserstoffanlage für industrielle Zwecke in Europa, deren Investition sich auf 150 Millionen Euro belaufen. Die Fabrik besteht aus einer 100 Megawatt starken Photovoltaik-Solaranlage und einem Lithium-Ionen-Batteriespeichersystem. Schon im vergangenen Jahr sollte der Betrieb beginnen, aber noch fehlen die Gelder aus Brüssel. Jetzt wurde der Oktober als Start angepeilt.

Fraglich ist aber noch, wie das Gas aus der Mitte Spaniens dann nach Deutschland kommt, per Midcat oder per Schiff? Nachfragen beim spanischen Gasnetzbetreiber Enagás oder bei Iberdrola können keine Klarheit bringen. Auch geopolitisch könnte der Midcat-Plan nach hinten los gehen. Derzeit gibt es von Algerien zwei Pipelines nach Spanien, eine direkt und eine, die über Marokko führt, derzeit aber kein Gas nach Europa exportiert, weil Algerien nicht will, dass der wegen Gebietsstreitigkeiten in der Westsahara verhasste Nachbar wirtschaftlich davon profitiert. Hier ist noch einige Überzeugungsarbeit notwendig, damit diese dauerhaft Frieden miteinander schlieβen und die EU nicht mehr mit wilden Drohungen unter Druck setzen. Nur wenn diese Länder sich demokratisieren, dürfte gesichert sein, dass weniger Menschen über den Strom von Gibraltar nach Europa kommen und die radikale Islamisierung Afrikas gestoppt werden kann. „Am Midcat hängt viel mehr als nur Gas und das wissen alle, die mit der Idee spielen,“ sagt Mertens.

Anzeige
Anzeige
Die mobile Version verlassen