Tichys Einblick
In der Hand von Separatisten

Spanien: Erfolgreiche Erpressung

Die umstrittene Regierung von Pedro Sánchez hat sich sehenden Auges in die Hand der katalanischen Autonomisten gegeben, die nicht Spanien, sondern ihre Region an erste Stelle setzen. Diese diktiert nun, wie das Königreich auszusehen hat. EU-Recht spielt wie in Polen keine Rolle. Von Thomas Punzmann

IMAGO / ZUMA Wire

Ende letzten Jahres drohte der Führer der katalanischen Separatistenpartei JUNTS, Carles Puigdemont, vor Genugtuung schier platzend, dem alten und neuen spanischen Präsidenten Pedro Sánchez, dass, „anders als in der letzten Legislaturperiode, in der die Regierung von Pedro Sánchez genügend Stimmen hatte, sie sich die Zustimmung von JUNTS in dieser Legislaturperiode nun Tag für Tag, Vereinbarung für Vereinbarung, verdienen muss“. „Ohne unsere Zustimmung hat Pedro Sánchez diesmal keine Chance. Gibt er unseren Forderungen nicht nach, wird er auf dem Müllhaufen der Geschichte landen.“

Seit Mittwoch, dem 10. Januar, weiß Sánchez, dass das kein leeres Gerede ist.

Seine sozialistisch-kommunistische Koalition, die vom politischen Arm der Terrororganisation ETA, der katalanischen Separatistenpartei JUNTS, deren Führer Puigdemont als Justizflüchtling nicht nach Spanien einreisen kann, und weiteren nach Unabhängigkeit strebenden Parteien im Dezember gewählt worden war, wurde in bisher nicht gesehener Art und Weise vorgeführt und gedemütigt.

Die Sprecherin von JUNTS Míriam Nogueras erklärte, noch während die Beratung zur Abstimmung über die Decretos de Leyes lief, von der die Auszahlung von EU-Fonds von über 10 Milliarden Euro abhing, dass ihre aus sieben Mitgliedern bestehende Fraktion nur zustimmen würde, wenn alle ihrer Forderungen erfüllt würden.

JUNTS lehnt besonders das erste Dekret wegen einer darin enthaltenen Änderung ab, die die Aussetzung aller vor dem Europäischen Gerichtshof angefochtenen Gesetze vorsieht. Die Partei fürchtet, wahrscheinlich nicht zu Unrecht, dass diese Änderung vor allem auf das noch zu verabschiedende Amnestiegesetz angewandt werden sollte.

Würde die Strafkammer des Obersten Gerichtshofs oder ein anderer Richter aufgrund von Zweifeln am Amnestiegesetz eine Anfrage an den EuGH stellen, wäre die Anwendung des Amnestiegesetzes auf Verurteilte und Angeklagte der Separatistenprozesse, einschließlich Puigdemont selbst, bis zu einer Entscheidung des EuGH, ausgesetzt worden.

Außerdem forderte JUNTS, das Gesetz über Kapitalgesellschaften zu reformieren. Unternehmen, die nach der für illegal erklärten Abstimmung über die Unabhängigkeit 2017 den Firmensitz von Katalonien nach Spanien verlegt hatten, sollten zur Rückkehr nach Katalonien „aufgefordert“ werden. Unternehmen, die nicht zurückkommen, sollen, so die Forderung von JUNTS, bestraft werden.

Míriam Nogueras formuliert das so: „Wir arbeiten für unser Land und für die Bürger Kataloniens und nicht für diese Regierung oder das Königreich.“ Weiter betonte sie, dass JUNTS „die Unternehmen, die Katalonien aufgrund der ‚Boshaftigkeit der PP und des Königs‘ verlassen hätten, zu einer Rückkehr nach Katalonien ‚ermutigen‘ zu wollen. Diejenigen die dies nicht tun, müssten aber bestraft werden.“ „Alles, was wir fordern, gehört Katalonien“, versicherte sie und betonte, dass JUNTS die Regierung unterstützen würde, wenn ihre Forderungen vollumfänglich erfüllt würden. Aber nur in diesem Fall. „Die Dinge“, so Nogueras abschließend, „werden nicht so bleiben, wie sie jetzt sind.“ Rechtliche Probleme, zum Beispiel das der Niederlassungsfreiheit, speziell der durch europäisches Recht garantierten Niederlassungsfreiheit, kann sie dabei, auch bei den geforderten Strafzahlungen für Unternehmen, die sich weigern ihren Firmensitz nach Katalonien zurückzuverlegen, nicht erkennen.

Spannend wird sein, wie die EU auf diese Abstimmung reagiert. Die spanische Zeitung „El Mundo“ schreibt in einem Beitrag, dass diese Gesetze im Widerspruch zu allen Grundsätzen der EU stehen würden. Allerding gibt das jüngste Beispiel in Polen, wo ebenfalls eine linke Regierung mit aktiver Duldung durch die EU extreme Beinfreiheit genießt, wenig Anlass zur Hoffnung.

Hier alle Forderungen, die die sozialistisch-kommunistische Koalition in letzter Sekunde, um ihre Macht zu sichern, akzeptiert hat:

Amnestie

Die Koalition von PSOE und SUMAR akzeptierte den Artikel der Zivilprozessordnung zu streichen, der die Anwendung des Amnestiegesetzes im Falle einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof aussetzen würde. Dieses Gesetz, das in einem Entwurf vorliegt, soll nicht nur das Aufheben früherer Urteile, sondern auch die Anklage von an Prozessen gegen Separatisten beteiligte Richtern und Staatsanwälten ermöglichen. Und, wenn man schon einmal dabei ist, zweifelhafte Gesetze zu verabschieden, könnten auch gleich, so der Plan, noch weiter zurückliegende Korruptions- und Geldwäscheurteile aufgehoben werden.

„Flüchtige“ Unternehmen

Die Regierung hat auch einer Reform des Gesetzes über Kapitalgesellschaften zugestimmt, um ein Dekret der PP rückgängig zu machen, das 2017 die Abwanderung von Unternehmen aus Katalonien begünstigten sollte, die den Verlust der Rechtssicherheit nach der Durchführung des illegalen Referendums befürchteten. Fragen, ob diese Reform nur Anreize für die Rückkehr von Unternehmen oder eben auch Sanktionen für diejenigen, die sich dem widersetzen, beinhaltet, wurden von JUNTS nicht beantwortet.

Immigration

Die Separatisten haben auch die vollständige Delegation der Einwanderungsbefugnisse an die Generalitat (Regierung der Autonomie Kataloniens) erreicht, obwohl sie dieser Regierung, die allein von der ERC kontrolliert wird, nicht einmal angehören. Die Delegation dieser Machtbefugnisse wird durch ein „spezifisches organisches Gesetz für Katalonien“ erfolgen. Mehrere Bürgermeister von JUNTS hatten in den letzten Wochen darum gebeten, mehrfach straffällig gewordene Einwanderer aus ihren Gemeinden ausweisen zu können.

Die Präsidentin des Landes Madrid, Isabel Ayuso, bemerkte dazu; „Wird es die Europäische Union zulassen, dass eine De-facto-Nation entsteht, denn das ist es ja, was passiert, wenn man Ausländer und Einwanderung kontrolliert. Werden sie eine Grenze zu Spanien errichten?“ „Mich beunruhigt das Bild, das Spanien in der Welt abgibt. Es ist das eines Landes, das von außen, nicht durch Politik, sondern durch Erpressung, gesteuert wird.“

Defizit

Ein weiterer wichtiger Punkt für die Interessen der JUNTS ist die Veröffentlichung der Steuerbilanz, einer Berechnung des staatlichen Defizits mit Katalonien, die die Erben der Convergència nutzen werden, um das Erlöschen der „historischen Schulden“ zu fordern und die Zustimmung zu einem Wirtschaftsabkommen nach baskischem Vorbild zu verlangen.

Darüber hinaus wird der Staat die gesamten Kosten für die Subventionierung des öffentlichen Verkehrs übernehmen. Sprich: spanische (und europäische) Steuerzahler.

Olivenöl wird zu einem Grundnahrungsmittel erklärt, auf das keine Mehrwertsteuer mehr erhoben werden wird.

Der Verlauf der gestrigen Abstimmung, bei der sich JUNTS zum Teil enthalten, zum Teil nicht teilgenommen hat, zeigt das Dilemma, in das sich Sánchez und seine, unter sich ebenfalls vollkommen zerstrittenen, kommunistischen Koalitionspartner manövriert haben. Ein Teil dieser kommunistischen Sammelbewegung, Podemos, ließ diesen Mittwoch ein Dekret ihrer Intimfeindin Susana Díaz durchfallen.

Für Oppositionschef Alberto Núñez Feijóo besteht kein Zweifel daran, dass Puigdemont die Regierung Sánchez erfolgreich erpresst hat. Bei einem Auftritt vor der Presse sagte er, „dass sich diese ehrlose und demütigende Unterwerfung der Regierung noch öfter wiederholen werde“. „Wie kann man ein Land so regieren, was für Verhandlungen erwarten uns bei jedem Gesetz, bei jedem Haushalt?“

Was gestern geschehen ist, bedeutet nicht, auch wenn sie gefährlich ins Wanken geraten ist, das Ende der Regierung Sánchez. Klar wurde aber auch, dass der Rahmen in dem sich die Regierung bewegen kann, sehr eng gesteckt ist und von einer Partei mit sieben Sitzen im Kongress bestimmt wird, die von dem vor der Justiz flüchtigen Carles Puigdemont angeführt wird. Und diese Partei, und wahrscheinlich auch die anderen Splitterparteien, auf die Sánchez angewiesen ist, haben gestern zum ersten Mal ihre Macht praktisch erlebt.

Sánchez dagegen hat gestern, in einer für ihn demütigenden Weise, erfahren, dass das Amnestiegesetz nicht ausreichen wird und dass immer weitere und weitergehende Zugeständnisse gefordert werden. Damit ist sein Dilemma beschrieben: Um, zumindest nominell, an der Macht bleiben zu können, wird er diesen Forderungen nachgeben müssen. Durch das Nachgeben wird er seine Macht aber faktisch verlieren.

Thomas Punzmann ist Galerist in Frankfurt am Main.

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